Andy Stevenson zählt zu den Veteranen im Formel-1-Geschäft. Der Sportdirektor von Aston Martin arbeitet in diesem Team, seit es unter dem Namen Jordan 1991 in die Formel 1 eingestiegen ist. Stevenson gilt als einer der versiertesten Regelkenner der Szene. Fernando Alonso kann sich auch bei ihm bedanken, dass er seinen dritten Platz beim GP Saudi-Arabien zwei Stunden nach seiner Bestrafung zurückbekam.
Der Spanier hatte sich eine Fünfsekunden-Strafe eingehandelt, weil er sein Auto zu weit links in der Startbox platziert hatte. Das ist zwar drei weiteren Fahrern auch passiert, doch keiner stand so krass neben der Box wie Alonso. Was damit zu tun hatte, dass er 30 Meter vor seinem Startplatz noch einen Burnout hinlegte und er dabei gleichzeitig von der rechten auf die linke Seite wechselte, um so lange wie möglich auf der sauberen Seite zu bleiben.

Strafenchaos im Fall Alonso
Die Strafe musste beim Boxenstopp abgedient werden. Aston Martin ließ sich absichtlich etwas Reserve, bis die Mechaniker die Arbeit aufnahmen. Es sollte nicht das Gleiche passieren wie bei Alpine, als Esteban Ocon eine weitere Strafe kassierte, weil die Mechaniker drei Zehntel zu früh Hand anlegten.
Und doch musste Aston Martin nach dem Rennen erfahren, dass der dritte Platz von Alonso in Gefahr war. Einige Runden vor der Zielflagge hatte Mercedes die Sportkommissare darauf aufmerksam gemacht, dass der hintere Wagenheber vor Ablauf der Strafe das Auto berührte.
Das sollte den Tatbestand der "Arbeit am Auto" erfüllen. Angeblich hätten sich die Teammanager bei einer Sitzung am 10. Januar darauf geeinigt. Die Sportkommissare sahen danach keine andere Möglichkeit, als Alonso eine weitere Strafe aufzubrummen. Fünf Sekunden für das Berühren des Autos und folgerichtig fünf Sekunden dafür, dass damit auch "gearbeitet" wurde. Kurz nach der Siegerehrung erfuhr Alonso, dass er seinen Pokal abgeben musste.
FIA-Archiv als Beweisgrundlage
Obwohl auf dem Weltbild der TV-Übertragung nicht eindeutig erkennbar war, ob der Wagenheber tatsächlich in Berührung mit dem Auto kam, wollte sich Stevenson nicht auf eine Diskussion einlassen, was man sieht und was man nicht sieht. "Nur im Ernstfall hätten wir diesen Weg verfolgt."
Innerhalb von nur 30 Minuten tauchte der 55-jährige Engländer im Büro der Schiedsrichter auf und präsentierte ihnen die Mitschrift von dem Treffen der Sportkommissare, an dem angeblich eine Einigung darüber erzielt wurde, dass Berühren gleich Arbeit ist. Tatsächlich aber wurde gar nicht darüber abgestimmt. "Ich konnte mich noch gut an das Meeting erinnern, weil es ja erst im Januar war." Auch Sauber-Sportchef Beat Zehnder hätte sofort Munition parat gehabt: "Ich habe alle Meetings seit 2003 im Wortlaut archiviert." Darunter ist auch ein Treffen von 2013, in dem die Teammanager sich darauf einigten, dass Berühren nicht gleich Arbeit ist.
Damit war der Sporthoheit schon mal die Grundlage für die erste Strafe entzogen. Stevenson präsentierte gleichzeitig einen Fall von Esteban Ocon von 2022, in dem eindeutig das Auto berührt wurde, aber nichts passierte. Die FIA hat für alle möglichen Vergehen, die mit einer Bestrafung geendet haben ein Archiv, in dem es zu den einzelnen Fällen Videomaterial gibt. Die Teams haben Zugriff auf Zwischenfälle aller Art seit der Saison 2019.

Wie sieht Lösung für Zukunft aus?
Stevenson und die Sportkommissare begannen daraufhin nach Strafen für zu frühes Arbeiten am Auto beim Absitzen einer Strafe bei einem Boxenstopp zu suchen. Das Studium ergab bei sechs weiteren Vorfällen, dass die Mechaniker mit Werkzeugen das Auto berührt hatten, für die Berührung aber nicht extra bestraft wurden. "Da wir nachweisbar nicht zu früh am Auto gearbeitet haben, war auch das angebliche Berühren irrelevant. Wir konnten weder für das eine noch das andere bestraft werden", erzählte Stevenson.
In der Woche nach dem GP Saudi-Arabien trafen sich die Sportdirektoren erneut, um mit der FIA eine Lösung zu finden, damit sich das Problem nicht wiederholt. Das Formel-1-Management zeigte sich nicht amüsiert darüber, dass das Resultat innerhalb von zwei Stunden zwei Mal geändert wurde.
Stevenson schlägt vor, dass man in Zukunft für das bestraft werden sollte, was er gerade noch abgebogen hatte. "Der Klarheit wegen ist es am einfachsten, wenn das Berühren als Arbeit interpretiert wird. Andersherum muss man erst definieren, wie viel Kontakt mit dem Auto Arbeit ist und was nicht."