Dieser Red Bull bleibt eine Wundertüte. Sein Arbeitsfenster ist schmal wie ein Briefkastenschlitz. Jedes Wochenende aufs Neue versuchen Fahrer und Ingenieure, dieses magische Fenster zu treffen. Findet man das perfekte Setup, hat Max Verstappen ein Auto, mit dem er gewinnen kann. Sportchef Helmut Marko bedauert: "Dieses Auto hat großes Potenzial, aber es ist schwer abzurufen."
Wie schwer, hängt von dem Streckenlayout und den Bedingungen ab. Schnelle Kurven wie in Melbourne, Suzuka oder Jeddah helfen. Mittelschnelle oder langsame, wo man das Auto stark drehen muss, sind Gift. Ist der Asphalt rau, überhitzen die Reifen zu schnell. Ist er glatt und bietet viel Grip, hilft das Red Bull. Hitze ist ein Steilpass für McLaren. Wird es kühler, bewegt sich das Fenster auf Red Bull zu. Marko fordert deshalb. "Wir können uns auf solche Zufälligkeiten nicht länger verlassen."
Auf Strecken wie Shanghai und Bahrain war selbst Verstappen chancenlos. Da bremst ihn das Grundproblem des Autos aus. Überall dort, wo die Vorderräder stark eingeschlagen werden oder das Auto über die Längsachse rollt, verschiebt sich zwischen Einlenken und Scheitelpunkt die Balance. Das Auto rutscht, und die Reifen heizen sich auf. Das straft den Fahrer dann auch in den Folgekurven, auch wenn die vom Profil her dem Red Bull besser passen würden. Auf eine Renndistanz potenziert sich das Problem.

Das Arbeitsfenster des Red Bull RB21 ist extrem klein. Nur Max Verstappen kann das Potenzial des Autos umsetzen.
Mehr Abtrieb ist keine Patentlösung
Die Eigenheiten des Red Bull sind nicht neu. "Mit denen kämpfen wir seit dem Rennen in Imola im letzten Jahr", erinnert sich Marko. Das war der Moment, an dem Red Bull auf die Offensive von McLaren reagieren musste, an dem auch Ferrari und Mercedes stärker wurden.
Die Ingenieure reagierten mit mehr Abtrieb. Doch das ist mit diesen Groundeffect-Autos ein zweischneidiges Schwert. Mehr Anpressdruck kommt oft mit Nebenwirkungen wie Instabilität oder einer indifferenten Balance. Steckt man erst einmal in diesem Teufelskreis, kommt man nur schwer wieder raus.
In den Jahren 2022 und 2023 blieb Red Bull von diesen Phänomenen weitgehend verschont, weil das Auto haushoch überlegen war. Die Aerodynamiker mussten gar nicht ans Limit und bewegten sich so auf sicherem Terrain. Als man es mit einem Unterboden-Upgrade beim GP Spanien 2023 zum ersten Mal auf die Spitze trieb, merkte Verstappen sofort, dass beim Einlenken das Heck leicht wurde und das Auto zum Scheitelpunkt hin ins Untersteuern fiel.
Das war aber noch so dezent, dass der Meister das mit seiner Klasse überspielen konnte. Unter dem Strich war die Rundenzeit schneller. Das zählte. Also bewegten sich die Ingenieure vorsichtig weiter in diese Richtung. Bis irgendwann das Pendel umschlug und selbst ein Verstappen das Fahrverhalten als störend empfand. Ex-Pilot Sergio Perez war da schon längst verloren.

Liam Lawson kam mit dem Red Bull nicht zurecht und musste nach zwei Rennen für Yuki Tsunoda Platz machen.
Das Problem des Teamkollegen
Liam Lawson stellte das Gleiche fest. Der Neuseeländer fand ein Auto vor, das für ihn unfahrbar war. Kaum saß er wieder im Toro Rosso, fand Lawson zu seinem alten Speed zurück. In Jeddah hatte er das Tempo von Isack Hadjar. Jetzt muss sich Yuki Tsunoda mit dem Red Bull herumschlagen. Ihm kommt entgegen, dass sein Fahrstil eher Richtung Verstappen geht.
Trotzdem fällt auf, dass Tsunoda näher am Weltmeister dran ist, solange sich Fahrer und Ingenieure noch in der Findungsphase befinden und alle über das Auto schimpfen. Wenn Verstappen dann endlich mit dem Auto zufrieden ist, geht die Schere auf. In Jeddah von vier auf neun Zehntel. Das deutet darauf hin, dass ein Auto, das Verstappen passt, nur höchst selten auch dem Teamkollegen zugutekommt.
Der vierfache Weltmeister hat einen extremen Fahrstil. Er will eine Vorderachse, die auf Befehl einlenkt. Das Heck kontrolliert er mit seinen Reflexen oder dem Gaspedal. Solange die Tendenz zum Übersteuern im Rahmen bleibt. Möglicherweise ist es bei dem Abtriebsniveau, das man mittlerweile erreicht hat, auf bestimmten Strecken unter bestimmten Bedingungen gar nicht mehr möglich, das Auto so abzustimmen, dass es bei der Fahrweise von Verstappen stabil bleibt.
Lando Norris erlebt dieses Phänomen gerade bei McLaren. Obwohl der neue MCL39 ein besseres und schnelleres Rennauto als sein Vorgänger ist, klagt Norris, dass es nicht mehr so zu seinem Fahrstil passt wie das 2024er-Modell. Norris kommt Verstappens Fahrstil am nächsten. Sein Problem ist, dass McLaren einen Teufel tun wird, das Auto für den Engländer maßzuschneidern. Man hat mit Oscar Piastri einen Fahrer, der genauso schnell ist. Also werden die Ingenieure immer die goldene Mitte suchen.
Verstappen und Norris brauchen zum Einlenken viel Abtrieb auf der Vorderachse. Um den Anpressdruck in schnellen Kurven nach hinten zu transferieren, müsste man den Frontflügel unter Last stärker verbiegen als es möglich oder erlaubt ist. Das könnte mit den neuen Regeln ab dem GP Spanien für manche ein noch größeres Problem werden.