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Mercedes vs. Red Bull
Schwachstellen der WM-Rivalen

Der Titelkampf hat eine neue Dynamik bekommen. Red Bull versteht sein Auto nicht mehr, Mercedes seine Motoren. Beides kann am Ende die Weltmeisterschaft entscheiden.

Red Bull - Formel 1 - GP Türkei 2021
Foto: Red Bull

Diese Weltmeisterschaft schreibt immer neue Geschichten. Symbolhaft dafür steht der ständige Wechsel der Tabellenführung. Nach dem Rennen in Istanbul hat Max Verstappen die Nase vorn. Es ist bereits das fünfte Mal in diesem Jahr, dass sich das Titelrennen dreht. Bei 262,5 zu 256,5 Punkten zugunsten von Verstappen ist noch nichts entschieden. Schon in Austin könnte die Führung wieder wechseln.

Am Anfang der Saison lag der Fokus in der Bewertung des Titelkampfes darauf, wer das schnellere Auto und den besseren Motor hat. Im Sommer verlagerte sich das Interesse darauf, wer im technischen Wettrüsten eher den Stecker zieht. Dann, wer mehr Fehler macht. Dann wer die Big Points holt und wer nicht. Jetzt sind wir in einer Phase angelangt, in der die Weltmeisterschaft davon abzuhängen scheint, wer die größeren Baustellen hat.

Unsere Highlights

Grob gesagt: Red Bull versteht sein Auto nicht mehr, Mercedes seine Motoren. Was wiegt schwerer? Was ist einfacher abzustellen? Womit lässt sich leichter leben? Die Wende war gewissermaßen der GP England. Dort holte Lewis Hamilton einen Big Point, weil Red Bull in Silverstone eigentlich das schnellere Auto hatte. Red Bull wusste das. Deshalb fiel die Reaktion nach der Kollision der beiden WM-Gegner so heftig aus.

Mercedes - Formel 1 - GP Ungarn 2021
Motorsport Images
Seit dem GP Ungarn hatte meist Mercedes das schnellere Auto.

Wende beim GP Ungarn

Danach nahm die WM eine seltsame Wende, die selbst für die Beteiligten zum Teil ein Rätsel ist. Seit dem GP Ungarn hatte Mercedes in fünf von sechs Fällen das schnellere Paket. Nur Zandvoort ging an Red Bull. Seit dieser Zeit schleichen sich beim Mercedes Probleme mit den Motoren ein. Der Verschleiß ist so hoch, wie er noch nie war. Es ist kein spezifisches Problem des Werksteams, denn auch die Kunden sind davon betroffen.

Dass das Pendel beim Auto zuletzt Richtung Mercedes schwang, überrascht. Der Weltmeister brachte in Silverstone sein letztes großes Upgrade ans Auto. Red Bull hatte noch in Sotschi eine Frontflügel-Adaption im Gepäck. Eigentlich müsste der Herausforderer davon profitieren. Tut er aber nicht. Weil der RB16B schwerer abzustimmen ist. In gewissen Abtriebsfenstern tut sich Red Bull schwer, das Auto auszubalancieren. Meistens dann, wenn einer der beiden großen Heckflügel am Auto ist.

Tritt dann ein unerwartetes Problem auf, wie in der Türkei überraschend guter Grip, steht Red Bull komplett im Wald. Es dauert dann immer einen Trainingstag und eine Nachtschicht in der Fabrik in Milton Keynes, bis eine Lösung gefunden ist. In der Zwischenzeit aber hat Mercedes weiter an seinem Paket gefeilt. Der Verlust eines ganzen Tages ist in diesem engen Rennen praktisch nicht aufzuholen.

Es fällt auch auf, dass an vier der letzten sechs GP-Wochenenden irgendwann regnete. Das sind die Momente, in denen man treffsicher mit dem Setup reagieren muss und in denen man nicht kontinuierlich an seinem Auto arbeiten kann. Mercedes machen diese Störfaktoren offenbar weniger aus. Dass man in Spa mit zu wenig Abtrieb in die Qualifikation gegangen ist, war ein Poker in der berechtigten Aussicht auf besseres Wetter am Sonntag. Was dann nicht eintrat.

Lewis Hamilton - Mercedes - GP Türkei - Istanbul - Formel 1 - 9. Oktober 2021
Jerry André
In Istanbul reagierte Mercedes besser auf die ungewöhnlichen Bedingungen.

Mercedes versteht Auto besser

Beim Streckenprofil des Istanbul Park ging man eigentlich von einer 50/50 Chance aus. Doch Mercedes diktierte dort eindeutig das Tempo. Auf trockener und nasser Fahrbahn. Auf eine Runde und über die Distanz. Wenn Valtteri Bottas, der kein ausgewiesener Regenspezialist ist, mit 14 Sekunden Vorsprung auf Verstappen ins Ziel kommt, muss sich Red Bull ernsthaft Sorgen machen.

Bei Mercedes kann man sich die starke Form des W12 nicht so ganz erklären. Vielleicht ist es ja die Schwäche des Red Bull, der seinen Ingenieuren Rätsel aufgibt. Manchmal ist es besser, wenn man nicht jede Woche neue Teile an sein Auto schraubt.

Mercedes-Teamchef Toto Wolff macht einen Erklärungsversuch, warum die Silberpfeile gerade Oberwasser haben: "Wir verstehen unser Auto besser unter den Regeln, die uns am Anfang des Jahres noch Probleme bereitet haben. Das Auto hat mehr Speed als im Frühjahr und Sommer, weil wir es anders einstellen."

Der andere Teil der Wahrheit ist, dass die Aerodynamik-Stufe, die in Silverstone gezündet wurde, viel mehr Rundenzeit gebracht hat, als damals kommuniziert wurde. Nicht sofort, aber mit der Zeit. Auch da brauchten die Ingenieure eine Weile, ihr Paket zu verstehen. Es fällt Mercedes jetzt viel leichter, die Abtriebsverluste, die durch die neue Unterboden-Regel entstanden sind, zu kompensieren.

Lewis Hamilton - Formel 1 - GP England 2021
Wilhelm
Das Mercedes-Upgrade von Silverstone entfaltet jetzt erst seine ganze Wirkung.

Red Bull verdächtigt Mercedes-Motor

Red Bull versteift sich in seinen Erklärungen zu dem Zwischenhoch von Mercedes darauf, dass es mit dem Motor zu tun haben muss. Nach Messungen des WM-Zweiten mobilisiert Mercedes seit Silverstone viel mehr Power, speziell beim Beschleunigen. Die Silberpfeile waren demnach in der Türkei auf den Geraden mit geschlossenem DRS schneller als Red Bull mit offenem.

Teamchef Christian Horner kann sich diesen Leistungsschub nur damit erklären, dass der Rivale irgendwo und irgendwie Leistung gefunden hat. Man vermutet, dass Brixworth in Grauzonen fischt. Eine erste Anfrage an die FIA bekam eine abschlägige Antwort. Doch Red Bull hält das Thema weiter am Köcheln. Laut Horner werden weitere Verdachtsmomente geprüft.

Mercedes beteuert, dass die Motoren seit Saisonbeginn identisch sind. Man habe im Verlauf der Saison nur die Fahrbarkeit etwas verbessert. Weil sich seit dem GP Ungarn auch schlagartig Williams und McLaren verbessert haben, ging der Verdacht um, dass Mercedes generell einfach mehr Leistung für Samstag und Sonntag freigibt und deshalb jetzt mit Schäden bezahlt. Ein Ingenieur dementiert: "An der Kalibrierung der Motoren hat sich nichts geändert."

Red Bulls einseitige Sicht der Dinge kann ein Fehler sein, weil sie möglicherweise den Blick auf eigenen Schwächen verstellt. Andererseits gehört es zum Spiel, die FIA mit Anfragen zu bombardieren, in der Hoffnung irgendwann einmal zu treffen. Und wenn es nur darum geht, beim Gegner Unruhe zu schüren.

Lewis Hamilton - Mercedes - Formel 1 - GP Steiermark - 26. Juni 2021
Wilhelm
Bei Lewis Hamilton ist die Sorge groß, dass der Motor noch einmal gewechselt werden muss.

Braucht Hamilton fünften Motor?

Der größte Verbündete von Red Bull ist derzeit der Mercedes-Motor. Bottas musste schon zwei Mal in der Startaufstellung nach hinten. Hamilton erwischte es in der Türkei. Und so wie Toto Wolff die Motorensituation darstellte, darf man nicht ausschließen, dass auch Hamilton noch einen fünften Motor braucht.

Man könnte jetzt sagen, dass im Honda-Lager auch schon drei von vier Fahrern bei der vierten Antriebseinheit angelangt sind, doch das waren alles Unfallschäden. Honda beteuert, dass man bei einem normalen Verlauf der Saison mit dem Kontingent von drei Einheiten ausgekommen wäre.

Die Motorprobleme können Mercedes noch auf den Kopf fallen. Sie kamen genauso plötzlich wie Red Bulls Defizite beim Auto. Es habe zwar schon früher in der Saison ein paar Mal Alarm gegeben, doch die ersten Antriebseinheiten überstanden ohne Defekt die ersten sechs GP-Wochenenden und dazu noch einige Freitagstrainings. Daran ist im Moment gar nicht mehr zu denken.

Rückblickend war Hamilton zu einem Motortausch in der Türkei gezwungen. Es gab praktisch keinen Spielraum mehr. Der erste Motor ist in Zandvoort verendet, der zweite wurde geplündert, um seinen Turbolader, die MGU-H und MGU-K dem vierten zu geben.

Dem dritten Triebwerk, das in Spa debütierte und erst drei Rennen auf dem Buckel hatte, traut man eigentlich keinen Renneinsatz mehr zu. "Wir müssen die Entscheidung noch treffen, ob er noch ein Mal ein Rennen bekommt oder nur noch an Freitagen verwendet wird", gab Wolff zu.

Das hieße: Hamiltons vierter Motor müsste einschließlich dem GP Türkei sieben Rennen halten. Eine ambitionierte Aufgabe angesichts der momentanen Misere. Zunächst ging man davon aus, dass es immer nur alte Motoren erwischt. Doch die vierte Einheit von Bottas, die in Monza Premiere feierte und in Sotschi schon wieder ausgebaut wurde, wurde nach nur 931 Kilometern aus dem Pool entfernt.

Mercedes Fabrik - Brixworth - 2019
Mercedes
Red Bull hat bereits zahlreiche Mercedes-Angestellte aus der Motoren-Fabrik in Brixworth abgeworben.

Was kostet der Personalverlust?

Mercedes kann im Moment wenig tun, um die Probleme zu lösen. Es ist zu spät in der Saison, um noch einzugreifen. Die meisten Ingenieure arbeiten schon an der E10-Anpassung für 2022 und die Probleme mit dem aktuellen Verbrennungsmotor sind auch noch nicht alle verstanden. Toto Wolff meinte: "Wir können die Probleme im Moment nur eingrenzen und uns so gut wie möglich durchschlagen. Es macht keinen Sinn mehr neue Teile zu konstruieren."

Eine Erklärung für die rätselhaften Verluste gibt es noch nicht. Man würde auf ein fehlerhaftes Los von Teilen tippen, aber dann beträfe es eine Charge und nicht alle. Ein Ingenieur bringt ins Spiel, dass vielleicht der große Aderlass in der Motorenfabrik in Brixworth erste Auswirkungen zeigt. Red Bull hat bei Mercedes High Performance Powertrains Mitarbeiter im zweistelligen Bereich abgeworben. So etwas sorgt immer für Unruhe.

Die Fahrer müssen mit dem leben, was ihnen die Techniker bieten. Sowohl Verstappen als auch Hamilton haben in Istanbul zum ersten Mal darüber gesprochen, dass für sie keine Welt zusammenbrechen würde, wenn sie am Ende nur Zweiter werden. Solange man sich selbst nichts vorzuwerfen hat. Das klingt so, als läge nicht mehr alles in diesem Titelrennen in ihrer Hand.

In den letzten beiden Rennen hat sich Hamilton einiges vorzuwerfen. Er wollte schlauer sein als seine Strategen. In Sotschi kam er noch mit einem blauen Auge davon. Zwei Wochen später verspielte er mit seinem Hinauszögern des Boxenstopps einen möglichen dritten Platz. Verstappen dagegen scheint einen Lernprozess durchgemacht zu haben. Er hat gelernt Zweiter zu werden, statt das Unmögliche zu versuchen. Das könnte er noch brauchen, wenn er Weltmeister werden will.

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