Vor dem Rennwochenende hatte sich Ferrari in einer schwächeren Ausgangsposition gesehen. Charles Leclerc sah zwischen der Achterbahn von Suzuka und der Highspeed-Piste von Spa-Francorchamps zu viele Ähnlichkeiten. In Belgien hatte Max Verstappen Kreise um die Konkurrenz gefahren. Nicht einmal eine Startplatzstrafe hinderte ihn an einem einfachen Sieg. Das beförderte die Angst in Maranello, dass es in Japan ähnlich laufen könnte.
Der Trainingsfreitag brachte keine Anhaltspunkte zum Kräfteverhältnis. Er diente nicht als Referenz. Der Regen führte dazu, dass die Teams blind in den Qualifikations-Samstag gingen. Doch schon im dritten Training zeichnete sich ab, dass die roten Autos ein wehrhafter Herausforderer sein würden. Verstappen war zwar drei Zehntelsekunden schneller. Jedoch hatte der Drittplatzierte Charles Leclerc den Motor weniger stark aufgedreht.

Fünfte Saison-Pole für Verstappen
In der Qualifikation begegneten sich die Spitzenautos der Saison dann auf Augenhöhe. Im Q3 passte fast nichts mehr zwischen den Red Bull und den Ferrari. Verstappen errang seine fünfte Pole der Saison um die Winzigkeit von zehn Tausendstel gegenüber Leclerc und 57 Tausendstel gegen Carlos Sainz. Die Ferrari-Fahrer wussten, wo sie das Haar in der Suppe fanden. Beide waren unglücklich mit ihrem letzten Abschnitt.
Zuerst Leclerc: "Ich hatte Schwierigkeiten, die Reifen über die Runde zusammenzuhalten. Wenn ich im ersten Sektor schnell war, sind sie mir hinten heraus auseinandergefallen. So wie in meiner letzten Runde." Der Monegasse steigerte sich zwar im letzten Versuch dank eines überragenden Mittelsektors, verfehlte die Bestmarke allerdings. In seiner Idealzeit – der Kombination aus den besten drei Abschnitten der Qualifikation – käme er auf eine Runde von 1:29.257 Minuten. 57 Tausendstel besser als bei seiner schnellsten Q3-Zeit.
Sainz haderte mit der letzten Schikane. "Da habe ich es liegengelassen. Wir sind mit einem guten Basis-Setup ins dritte Training gegangen. Da sind wir inzwischen gut drin. Dann geht es ans Feintuning. Und es stellt sich die Frage, wer auf der besseren Seite steht, wenn es wie zwischen uns und Red Bull nur um ein halbes Zehntel geht. Heute war es Max", ärgerte sich der Spanier. In seiner Idealzeit wäre eine Runde von 1:29.247 Minuten herausgesprochen. Schneller als die des Teamkollegen.
Verstappen steht Norris im Weg
Doch auch Verstappen kam nicht ungeschoren davon. Seine letzte Runde verbaute er sich in der ersten Kurve. "Da hatte er einen kostspieligen Wackler drin", berichtet Sportchef Helmut Marko. Dem Weltmeister reichte die erste Q3-Runde für die Pole Position. Auch er brachte seine besten Sektoren nicht in eine echte Runde auf der Rennstrecke. Sonst wäre er auf 1:29.221 Minuten gekommen. Und wäre ebenfalls vor den Ferrari gestanden.
Nach der Qualifikation ging die Zitterpartie weiter. Die Sportkommissare untersuchten einen Zwischenfall zu Beginn des Q3. Da war Verstappen in der schnellsten Kurve der Rennstrecke Lando Norris im Weg gestanden. Verstappen kam nachträglich mit einer Verwarnung davon. Norris hatte seinen McLaren links ins Gras lenken müssen. "Am Funk hat er nichts gesagt. Nach der Qualifikation fordert er eine Strafe", beschwerte sich Marko. Verstappen entschuldigte sich auf der Rennstrecke per Handzeichen bei seinem Kollegen.
Der schnellste Mann der Qualifikation schilderte den Vorfall aus seiner Sicht. "Alle befanden sich in ihrer Outlap. Jeder hat zu seinem Vordermann hin Platz geschaffen, um in sauberer Luft fahren zu können." Vor Verstappen fuhr zu diesem Zeitpunkt Sainz. "Aus irgendeinem Grund wollte mich Lando noch vor der schnellen Runde überholen. Ich hatte kalte Reifen, und kam nicht schnell genug weg, als ich ihn im Rückspiegel sah." Das Heck des Red Bull brach sichtbar aus. Verstappen schlitterte nach links in die Fahrspur von Norris. "Sein Überholmanöver hat diese Situation überhaupt heraufbeschworen. Wenn jeder mit etwas mehr Respekt handelt, passiert so etwas nicht."

Stewards pro Verwarnung
Zwischen den Fahrer gibt es für die Aufwärmrunde so eine Art Gentlemen's Agreement, dass man sich gegenseitig in Ruhe lässt. Was aber öfters mal gebrochen wird, wenn es die Situation erfordert. Norris sieht kein Fehlverhalten seinerseits und sprach sich vor den TV-Mikrofonen für eine Bestrafung aus. "Es gibt keine klare Regel, was man in der Outlap machen darf und was nicht. Was Max getan hat, sollte man aber nicht dürfen."
Die Anhörung bei den Stewards endete mit einem Klapps für Verstappen. Der Weltmeister habe zur selben Zeit Gas gegeben, als Norris sich dazu entschloss, ihn zu überholen. Mit fehlender Reifentemperatur habe Verstappen kurzfristig die Kontrolle über sein Auto verloren, was in einem Quersteher gegen den Uhrzeigersinn mündete. Norris sprach bei den Kommissaren von einem unglücklichen Zwischenfall, erinnerte sie aber daran, dass es in der Verantwortung der Fahrer liege, zu jeder Zeit die Kontrolle zu behalten. Da ähnliche Fälle zuvor mit Verwarnungen geahndet wurden, entschieden sich die Sportkommissare dafür.
Sei es, wie es sei. Auf der Rennstrecke duellierten sich Red Bull und Ferrari in ihrer eigenen Welt. Der Trend der Saison setzte sich fort. Das dunkelblaue Auto war etwas schneller auf den Geraden. Der Ferrari punktete in den Kurven. In der Qualifikation war man ohnehin immer stark. Der neue Unterboden scheint den erhofften Effekt zu haben. Ferrari setzte Red Bull auf einer der Paradestrecken für den RB18 zu. Immer dort, wo Effizienz ins Spiel kommt, glänzt der Red Bull. Aus dem Ferrari-Team heißt es: "Das ist ein gutes Zeichen für uns, dass wir sie unter Druck setzen konnten."
Beim Anpressdruck sind sich die Rivalen weitgehend einig. Beide fahren mit sichtbar weniger Heckflügel als Mercedes, die auf Maximalstufe gingen. Ferrari hat eine Spur weniger Flügel als der Red Bull. So kann man mit dem effizientesten Auto im Feld bei Geradeausfahrt mithalten. Bei den vier Speed-Messungen hält sich der F1-75 im Dunstkreis des Red Bull.
Wetter als große Unbekannte
Die Frage ist, ob Ferrari diesen Mal auch über die Distanz ein echter Gegner sein wird. Oder ob die Scuderia für den herausgenommenen Abtrieb im Rennen bezahlen wird. Suzuka strapaziert die Reifen extrem. In den letzten Grand Prix überhitzten die Pirellis am roten Auto. Leclerc schiebt es weniger auf seinen Dienstwagen. "Red Bull hat uns beim Speed überholt. Dieses Defizit mussten Carlos und ich versuchen, irgendwie auszugleichen." Dabei sind die Reifen früher eingegangen. "Unsere Reifenabnutzung sollte wieder besser sein", glaubt Red-Bull-Sportchef Marko. "Und Max kann das Rennen von vorne kontrollieren."
Das Wetter ist die große Unbekannte. "Es könnte vor, während oder nach dem Rennen regnen", spielt Sainz den Wetterfrosch. Und dann könnte plötzlich mit Mercedes vielleicht sogar ein Gegner von hinten kommen. Die Silberpfeile waren am Freitagnachmittag gut aufgestellt auf einer feuchten Bahn. Der große Heckflügel wäre eine Hilfe für Lewis Hamilton und George Russell.
"Wir haben keine großen Kompromisse vorgenommen", schildert Leclerc. Ferrari ging auf maximalen Speed. Wie Red Bull. Die Geschwindigkeit in Quali und Rennen – mit Annahme einer trockenen Bahn – hatte Priorität. "Wir haben zwischen Qualifikation und Rennsonntag hoffentlich einen guten Mittelweg gefunden", äußert sich Verstappen.