Drittes Rennen, dritte Pole Position, dritter Sieg. Red Bull war in Melbourne in Feierstimmung. Erstmals seit 2011 gewann der Rennstall aus dem englischen Milton Keynes wieder im Albert Park. Max Verstappen strich einen Posten von der Bucket List. Nie zuvor hatte der Doppelweltmeister in Australien triumphiert. Red Bulls Sportchef Helmut Marko rechnete genüsslich vor: "Das war unser 350. Start in der Formel 1. Der 37. Sieg für Max. Der 95. als Team. Und das fast auf den Tag genau, als Red Bull vor 36 Jahren auf den Markt kam."
In der Weltmeisterschaft hat Red Bull bereits 123 Punkte angehäuft. Der erste Verfolger, Aston Martin, steht bei 65. Das schnellste Auto setzte sich am Ende wieder durch. Im Gegensatz zu den ersten Rennen war es dieses Mal aber kein Spaziergang durch den Park. Der dritte Grand Prix der Saison hatte einige Stolperfallen aufgestellt, die Verstappen aber nicht zu Sturz brachten.
Zum Beispiel die drei stehenden Starts. In der ersten Runde verlor der WM-Führende zwei Positionen gegen die Mercedes von George Russell und Lewis Hamilton. "Ich musste vorsichtig sein. Ich habe in solchen Situationen am meisten zu verlieren. Unser Auto ist schnell. Selbst wenn ich ein oder zwei Positionen verliere, ist es nicht das Ende der Welt."

Verstappen und die Starts
Auch der zweite Start nach dem ersten Rennabbruch passte nicht so recht. Verstappen gelang es nicht, Hamilton zu attackieren. Der dritte Start nach der zweiten Rennunterbrechung war der beste des Tages. "Wenigstens habe ich mich gesteigert", sagte der 25-jährige Niederländer, der die WM mit 15 Punkten vor Teamkollege Sergio Perez anführt, mit leicht ironischem Unterton. Kalte Reifen erschwerten ihm das Leben. Das ging seinen Konkurrenten allerdings nicht anders.
Selbst das organisierte Chaos brachte Verstappen nicht zu Fall. Der Sieger beklagte sich über die roten Flaggen. Aus seiner Sicht hätte es ausgereicht, wenn nach dem Magnussen-Unfall wenige Umläufe vor Rennende ausschließlich das Safety-Car ausgerückt wäre. Sportchef Helmut Marko sprang ihm bei. "Es lagen zwar relativ viele Trümmerteile herum. Man hätte es aber über ein Safety-Car regeln können."
Der Führende hat am meisten zu verlieren. Von daher ist es nachvollziehbar, dass man sich eine andere Entscheidung gewünscht hätte. Man stelle sich vor, Verstappen hätte das schon sicher geglaubte Rennen noch verloren. Dann wären die Klagen groß gewesen. Doch der Titelverteidiger ließ nichts mehr anbrennen. So gab es keine Klagen, sondern versöhnliche Töne. Red-Bull-Teamchef Christian Horner warb für Verständnis – für beide Positionen. "Wenn du mit fast zehn Sekunden führst, ist ein Abbruch das letzte, was du sehen willst. Jedoch hat für die Rennleitung der Zustand der Strecke, und damit die Sicherheit, oberste Priorität."
Aero und Mechanik Hand in Hand
Dieser Red Bull RB19 stellt die Konkurrenz noch immer vor ein Rätsel. Sie sieht, was Red Bull macht, versteht aber noch nicht, wie. Da wäre das frühe Aufsetzen auf den Geraden. Schon bei relativ niedrigen Geschwindigkeiten schlägt die Schutzplanke auf dem Asphalt auf. Die Gegner runzeln die Stirn. Wie kann es sein, dass der Red Bull im Rennen die Planke nicht mehr als den erlaubten Millimeter abrubbelt?
Der tiefliegende RB19 ist bei der Abnutzung sicher am Limit, aber eben nicht darüber hinaus. Jedenfalls hat die FIA nichts zu beanstanden. Die Konkurrenz muss herausfinden, was Red Bull da anstellt. Vor allem auch im Hinblick auf die schnellen Kurven. Wer dort zu stark aufschlägt, bezahlt es mit einem unruhigen Fahrverhalten. Doch Red Bull schafft es, in Highspeed-Passagen die Bodenfreiheit so zu kontrollieren, dass gleichmäßiger Anpressdruck vorliegt. Sicher ist Milton Keynes seinen Gegnern beim Fahrwerk mindestens einen Schritt voraus.
Bei Red Bull gehen Aerodynamik und Mechanik Hand in Hand. Nichts wird isoliert voneinander betrachtet, sondern alles miteinander verbunden. Die Gestaltung der Verkleidung hat Einfluss auf den Unterboden und umgekehrt. Auch die Reifenmodelle werden in alle Gestaltungsprozessen eingebunden. Den Ingenieuren geht es nicht darum, möglichst viel Abtrieb in der Spitze zu finden, sondern ein Auto zu entwickeln, das bei allen Gegebenheiten und in allen Kurventypen funktioniert – und das über die Distanz, die bestmögliche Performance abruft, und nicht nur auf eine Runde glänzt.

Vorsprung nicht ganz so groß
Wenn mal eine kleine Schwäche auszumachen war, dann, dass die Red Bull in der Qualifikation die Reifen schwer anzündeten. Die Zuverlässigkeit stellte das Weltmeisterteam in den ersten beiden Rennen vor eine Herausforderung. In Australien hatte Red Bull die Standfestigkeit besser im Griff. "Wir waren recht souverän unterwegs", schilderte Sportchef Marko. "Das war ein problemfreies Rennen. Max musste nur nach den Reifen schauen, dass es zu keinem Graining kommt. Das hatte er unter Kontrolle. Mercedes konnte uns nicht herausfordern."
Nur für zwölf Runden hatte Verstappen die schwarzen Silberpfeile vor Augen. Erst beide, dann nur noch Lewis Hamilton. Der Weltmeister wartete geduldig, bis er den Vorteil von DRS nutzen durfte. Ein weiterer Beweis dafür, wie sehr dieser Verstappen gereift ist. Marko lobte seinen Schützling schon vor dem Rennstart: "Beim Lesen eines Rennens und beim Verständnis der Reifen ist Max auf dem Niveau von Alonso und Hamilton angekommen."
Der Vorsprung auf die Verfolger fiel nicht mehr ganz so dramatisch aus wie in den ersten beiden Rennen. Was aber hauptsächlich mit der Strecke, den Temperaturen und den Reifen zu tun hatte. Bei einem Volllastanteil von über 80 Prozent zieht sich das Feld nicht so auseinander. Der Reifenabbau fiel auf dem glatten Asphalt niedrig aus. Dadurch kommen Schwächen weniger zum Tragen.
Red Bull wie ein D-Zug
Wie Verstappen seinen alten Rivalen auf dem Weg in die neunte Kurve stehen ließ, hatte schon etwas von einem Klassenunterschied. Der Red Bull raste wie ein D-Zug am Mercedes vorbei. Toto Wolff applaudierte dem Gegner: "Mit geschlossenem Flügel konnten wir ihn halten. Wenn sie das DRS nutzen, ist ihr Topspeed atemberaubend. Die Formel 1 ist eine Leistungsgesellschaft. Es liegt an uns, herauszufinden, was sie besser machen und wie wir selbst dorthin gelangen können."
Das ist ein weiterer Schlüssel für die Vormachtstellung des Red Bull: Kein Auto gewinnt mit offenem Flügel so viel Geschwindigkeit wie der RB19. Das Technikbüro hat die Aerodynamik so ausgerichtet, dass bei aktiviertem DRS automatisch auch die Anströmung des unteren Heckflügels (Beam Wing) und des Diffusors gestört werden. Und zwar dahingehend, dass sie an Abtrieb und damit an Luftwiderstand verlieren. Sobald der Flügel umklappt, passiert das Gegenteil von der Bremsphase. Ein Auto taucht nicht ein, sondern geht hinter mehr in die Federn. Innerhalb dieses Strömung-Bildes hat Red Bull die beste Lösung gefunden.
Die hohe Effizienz des Pakets und der viele Abtrieb, den Red Bull über den Unterboden gewinnt, öffnen dem Team viele Optionen. Man kann je nach Anforderung mit mehr oder weniger Heckflügel fahren. In Milton Keynes ruht man sich auf dem Vorsprung aber nicht aus. Für den GP Aserbaidschan soll es neue Teile geben, wie Sportchef Marko bestätigte. Da sollte es für Red Bull noch mal einen guten Schritt vorangehen. Wenn die Saison nach dem bisherigen Muster weitergeht, kann das Technikbüro früh in der Saison die Entwicklung auf 2024 umschichten, fürchtet die Konkurrenz. So könnte Red Bull abfedern, dass die Windkanalstrafe, die noch bis Oktober/November greift, dem Team allzu sehr schadet.