Im Erfolg macht man die größten Fehler. So lautet ein weitverbreitetes Sprichwort. Auf die sportliche Situation von Red Bull umgemünzt, dürften da bei einigen Formel-1-Fans die Ohren klingeln. Seit 2021 sammelte das Team aus Milton Keynes fünf WM-Titel. Drei Mal wurde Max Verstappen Weltmeister, zwei Mal schnappte sich der Energy-Drink-Hersteller auch den Sieg in der Konstrukteurs-Wertung.
Doch die Zeit als Red Bull einsam an der Spitze fuhr, ist vorbei. Seit dem GP Miami verfügt McLaren über das beste Auto im Feld. Auch Mercedes und Ferrari konnten den Bullen schon mehrfach in dieser Saison ein Bein stellen. Wie konnte es zu dem schnellen Wandel kommen? Oder ist das Ende der Dominanz nur der übliche Lauf der Zeit?

Adrian Newey verlässt Red Bull und soll Aston Martin zum WM-Titel führen.
Newey nur die Spitze des Eisbergs
Viele werden den Einbruch mit der Affäre um Christian Horner zu Saisonbeginn in Verbindung bringen. "Das Team läuft Gefahr, auseinanderzubrechen", warnte Jos Verstappen schon damals, was vom angeschlagenen Teamchef natürlich prompt dementiert wurde. Doch Verstappen sollte am Ende Recht behalten.
Ein Name, der natürlich besonders mit dem sportlichen Leistungsabfall verknüpft wird, ist Adrian Newey. Die Designer-Legende entschied sich Anfang Mai dazu, Red Bull zum ersten Quartal 2025 zu verlassen. Der Abgang kam einem Erdbeben gleich und hatte nahezu die Tragweite des wenige Wochen zuvor verkündeten Ferrari-Wechsels von Lewis Hamilton. Mittlerweile ist klar, dass Newey bei Aston Martin ein neues Formel-1-Projekt gefunden hat.
Detailliert betrachtet ist Newey aber nur die Spitze des Eisbergs. Die Weichen wurden schon vorher falsch gestellt. Red Bulls Teamleitung um Christian Horner und Sportchef Helmut Marko gaben zu, dass der Konstrukteur bei der Setup-Arbeit an der Strecke helfen könnte, doch die Gründe für die Krise noch tiefer lägen.

Rob Marshall war jahrelang einer der Erfolgsgaranten von Red Bull. Mittlerweile arbeitet er für McLaren.
Marshall-Abgang schmerzt bis heute
Bereits in den Jahren zuvor musste Red Bull wichtige Leute aus dem Technikbüro ziehen lassen. Wegen des Budget-Caps waren den F1-Dominatoren die Hände gebunden und andere Teams bedienten sich und schlugen zu. Designer Rob Marshall zum Beispiel verkündete im Mai 2023 bei McLaren anzuheuern.
Nach einer Arbeitssperre trat er im Januar dieses Jahres seine Stelle beim WM-Konkurrenten an. Blickt man auf den Aufschwung der Papaya-orangen Renner, ist dieser sicher auch mit dem langjährigen Red-Bull-Ingenieur verbunden. Helmut Marko bestätigte das ebenfalls kürzlich. "Der Abgang von Marshall hat uns wehgetan."
Mit Dan Fallows hatte schon einige Jahre zuvor ein großer Name die Technikabteilung in Milton Keynes verlassen. Der Engländer war bei Red Bull Aerodynamik-Chef und wechselte 2022 zu Aston Martin. Der starke Start in die Saison 2023 der Grünen ist auch auf den Input von Fallows zurückzuführen. Sein Kollege Andrew Alessi war 2021 der erste Techniker, der Red Bull für die in Silverstone beheimatete Truppe verlassen hatte.
Die Liste der verlorenen Ingenieure lässt sich mühelos fortführen. Guillaume Cattelani ging im Januar 2024 zu Toro Rosso, Steve Winstanley und Angelos Tsiaparas wechselten im Juni 2023 in die Design-Abteilung von Williams. Aerodynamiker Michael Broadhurst und Reifen- und Fahrwerkspezialist Vin Dhanani fanden bei Alpine einen neuen Hafen. Das sind auf den ersten Blick nicht die bekanntesten Namen, doch sie waren jahrelang Teil von Red Bulls Siegesmaschinerie. Auch sie mussten erst einmal ersetzt werden.

Auch Jonathan Wheatley packt seine Taschen bei Red Bull und wird der neue Audi-Teamchef.
Wheatley zu Audi
Nicht nur aufseiten der Ingenieure musste Red Bull bluten. Anfang August verkündete das Team den Abgang von Sportdirektor Jonathan Wheatley. Der Engländer wird der neue Audi-Teamchef. Er gilt als einer der Erfolgsgaranten für die zahlreichen WM-Titel, die Red Bull seit 2010 sammelte. Doch nach 18 Jahren fühlte er sich zu einer höheren Aufgabe berufen.
Der Posten als Teamchef ist mit Christian Horner besetzt. Nachdem das Oberhaupt die bereits angesprochene Affäre wegen eines angeblichen Fehlverhaltens gegenüber einer Mitarbeiterin überstanden hatte, musste sich Wheatley nach einem anderen Team umschauen, weil es keine Aufstiegsmöglichkeiten gab.
Den Abgang redete Christian Horner klein: "Red Bull ist enorm stark und tief besetzt. Der Wechsel bietet uns die Möglichkeit, andere Talente innerhalb des Teams zu befördern." Das ist eine Vorgehensweise, die das Team auch in die Tat umsetzt. So stieg Gianpiero Lambiase zum Head of Racing auf. Er behält allerdings auch die Funktion als Max Verstappens Renningenieur. Weitere Mitarbeiter wie Stephen Knowles, Richard Wolverson und Gerrard O'Riley erhalten zukünftig ebenfalls mehr Verantwortung.

Chefmechaniker Lee Stevenson sorgt nun bei Sauber für reibungslose Reparaturen und schnelle Boxenstopps.
Kampf um Mitarbeiter
Auch bei den Mechanikern gab es Verluste zu beklagen. Lee Stevenson, der ehemalige Chef der Schrauber-Truppe, wechselte nach 18 Red-Bull-Jahren vor der Saison zu Sauber. Angeblich hat der Brite gleich noch ein paar weitere Mechaniker aus der zweiten Reihe überredet, ihn zu begleiten. Stevenson führte direkt neue Arbeitsprozesse in der Garage ein und half dabei, die Boxenstopps von Sauber zu verbessern.
Zuletzt (24.9.) ploppte dann noch die Meldung auf, dass Will Courtenay zu McLaren wechseln wird. Nach 20 Jahren bei Red Bull reizt den Engländer der Job als Sportdirektor beim Tabellenersten der Konstrukteure. Bei seinem alten Rennstall war er Leiter der Rennstrategie. Seinen Posten übernimmt Hannah Schmitz, die schon lange ein wichtiger Bestandteil des Strategie-Teams ist.
Auf Dauer möchte Red Bull aber den personellen Aderlass stoppen. Helmut Marko verkündete bereits vor dem Abgang Courtenays: "Wir werden um jeden Mitarbeiter kämpfen!" Das wird auch Max Verstappen gefallen. Schließlich gab es seit der Horner-Affäre auch um den Star-Piloten viele Gerüchte über einen möglichen Wechsel oder gar ein verfrühtes Karriereende.