Reifenschäden in Katar: Pirelli-Problem oder Taktik-Fehler?

Reifenschäden in Katar
Pirelli-Problem oder Taktik-Fehler?

GP Katar 2024
Veröffentlicht am 03.12.2024

Es war ein gefährliches Spiel. Doch in der Formel 1 wird nur belohnt, wer in jedem Bereich ans Limit geht. Auch auf die Gefahr eines Reifenplatzers. Nach dem Sprint am Samstag waren alle Fahrer vorgewarnt. Bei vielen Autos hatte der linke Vorderreifen schon nach 19 Runden schwer gelitten. Einige verzeichneten bereits 100 Prozent Verschleiß. Die neun schnellen Rechtskurven des Losail-Kurses forderten ihren Tribut. Es fand sich kaum noch Gummi auf der Lauffläche.

Das Risiko eines Reifenplatzers war absehbar. "Bei mehr als 24 Runden kommt man in den gefährlichen Bereich", berichtete Pirelli-Sportchef Mario Isola. Zu dem Zeitpunkt hatten erst zwei Fahrer von Medium-Reifen auf harte Sohlen gewechselt. George Russell spielte nur den Testpiloten, weil sein Mercedes ab der 15. Runde grausam untersteuerte. Eine Frontflügel-Korrektur war wichtiger als der Reifenwechsel.

Charles Leclerc & Lewis Hamilton - GP Katar 2024
Motorsport Images

Zersplitterter Spiegel als Reifenkiller

Zwölf der 17 Fahrer, die nach dem Startchaos noch dabei waren, hielten durch. Sie kamen nicht nach 24 Runden an die Box, nicht nach 30 und auch nicht nach 34. Mario Isola hatte so etwas befürchtet: "Losail ist eine der wenigen Strecken, auf denen wir kaum thermische Abnutzung sehen. Der limitierende Faktor ist der Verschleiß. Weil die Rundenzeiten mit den abgefahrenen Reifen immer schneller werden, will niemand an die Box."

Das Risiko dabei war, dass die Gummischicht vorne links verwundbar dünn wurde. "Dann reicht ein kleines scharfes Teil, um den Reifen an seiner schwachen Stelle zu beschädigen. Die Folge ist ein schleichender Plattfuß, der ziemlich schnell in einem Reifenplatzer endet", erklärte Isola.

Pirelli hatte die meiste Angst vor den Randsteinen und dem Kies, der auf der Außenseite der schnellen Kurven die Fahrer davon abhalten sollte, die Streckenlimits zu überschreiten. Doch diesmal war etwas anderes der Auslöser. Alexander Albon hatte auf der Zielgeraden seinen Rückspiegel verloren. Als Valtteri Bottas drüberfuhr, zersplitterte das Element in tausend Teile. "Wir gehen davon aus, dass die Spiegelteile der Auslöser waren, weil die Reifenschäden bei Hamilton und Sainz direkt zwei bis drei Kurven danach auftraten", vermutet Isola.

Mario Isola - Pirelli - GP Katar 2024
Motorsport Images

Abgefahren bis zur Karkasse

Nur George Russell, Valtteri Bottas, Nico Hülkenberg und Oscar Piastri wurden vorzeitig zum Reifenwechsel gerufen. Piastri schon als Reaktion auf die Reifenplatzer von Sainz und Hamilton. Bei ihnen war passiert, was früher oder später passieren musste. McLaren wollte aus Sicherheitsgründen beide Fahrer an die Box holen, doch Lando Norris war an der Boxeneinfahrt bereits vorbei. Das Safety-Car nahm dann allen die Entscheidung ab.

Bei einer Untersuchung nach dem Rennen stellte sich heraus, dass praktisch alle linken Vorderreifen das Prädikat "total abgefahren" verdienten. "Wir messen die Gummiauflage pro Reifen an sechs Stellen", berichtet Isola. "Bei allen war an mindestens drei der sechs Messpunkte der Reifen bis zur Konstruktion abgenutzt."

Und doch bekamen die Risikospieler Recht. Sie profitierten von ihrer Abwarte-Taktik. Das hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem GP Brasilien, als Durchhalten im starken Regen belohnt wurde. Auch damals waren Max Verstappen und Pierre Gasly mit von der Partie. Verstappen wurde wieder mit dem Sieg belohnt. Und Gaslys fünfter Platz könnte sich für Alpine als Matchwinner im Kampf um Platz 6 in der Konstrukteurs-WM erweisen.

Lewis Hamilton - GP Katar 2024
Wilhelm

Ferrari trotz Vorsicht bestraft

Diesmal bekamen Verstappen, Norris, Leclerc, Perez, Gasly, Alonso, Zhou, Tsunoda, Lawson und Albon einen Gratis-Boxenstopp. Sainz und Hamilton bezahlten für die Dreiviertel-Runde, die sie auf zerfledderten linken Vorderreifen zurücklegen mussten. Der Ferrari-Pilot verlor drei Positionen, sein Mercedes-Kollege inklusive Strafe für seinen Frühstart neun. "Ein neuer Reifen hätte die Trümmer wohl ausgehalten, der abgefahrene nicht", bedauerte Ferrari-Teamchef Frédéric Vasseur.

Für Ferrari war der Reifenschaden besonders ärgerlich, weil die Fahrer laut Vasseur in der Anfangsphase mit viel Sprit im Tank bewusst vorsichtig unterwegs waren, um den Stint so lange wie möglich hinauszuzögern. Erst nach 15 Runden zogen Charles Leclerc und Carlos Sainz das Tempo an. Ferrari rechnete damit, dass sich Verstappen und Norris mit Rekordrunden am Stück ihre Reifen früher ruinieren würden.

Doch ausgerechnet die beiden Führenden hielten durch. Verstappen betrieb besonders in den Kurven 12, 13 und 14 viel Reifenmanagement. Dort machte Norris den meisten Boden auf den Red Bull gut. Der Engländer brachte sich am Ende selbst um die Siegchance. Er übersah auf der Zielgeraden eine gelbe Flagge und ging nicht vom Gas. Die Stop-and-Go-Strafe warf den McLaren-Piloten ans Ende des Feldes zurück.