Es war zuletzt ein offenes Geheimnis im Fahrerlager. Es fehlte nur die offizielle Bestätigung, die am Samstag in Suzuka erfolgte. Pierre Gasly erhält die Freigabe, zu Alpine zu wechseln. Seinen Platz bei Alpha Tauri nimmt Nyck de Vries – Formel-E-Champion 2021 und Formel-2-Meister 2019 – ein. Beide Fahrer waren nicht die Wunschkandidaten der betroffenen Teams, doch wenigstens ist jetzt ein wochenlanges Hin und Her beendet.
"Nach meiner Meisterschaft in der Formel 2 hatte ich einen etwas anderen Weg eingeschlagen. Doch mein Ziel war es immer, in der Formel 1 zu fahren. Ich kenne die 2022er Autos von Tests und einem Rennen. Ich denke, das bringt mich in eine gute Ausgangsposition", sagt de Vries, der für 2023 bestätigt wurde. Gasly unterschrieb bei Alpine einen Vertrag über mehrere Jahre. "Ich möchte Red Bull nach neun gemeinsamen Jahren danken", sagt der Franzose. "Ich weiß, wie gut Alpine ist. Schließlich fahre ich seit Jahren gegen sie. Ihre Fortschritte und Ambitionen beeindrucken mich."
Eigentlich hatte Alpha Tauri Gasly bereits am 24. Juni für die kommende Saison bestätigt. Doch dann ging es bei Alpine drunter und drüber, was die Steine noch einmal ins Rollen brachte. Der französische Werksrennstall wollte mit Fernando Alonso verlängern, doch nur für eine Saison mit Option auf eine weitere. Das war dem Spanier zu wenig. Aston Martin bot ihm einen langfristigen Vertrag. Die neue Partnerschaft wurde am Morgen nach dem GP Ungarn bekanntgegeben.
Plan C mit Gasly
Alpine wollte Plan B ausspielen, und fiel ein zweites Mal auf die Nase. Nachwuchsfahrer Oscar Piastri geht 2023 lieber zu McLaren an. Der Australier konnte es tun, weil es keinen wasserdichten Vertrag mit Alpine gab. Das Schiedsgericht der FIA bei Vertragsfragen schloss sich der Argumentation Piastris und McLaren an.
Also musste Alpine zu Plan C übergehen. Und der heißt Pierre Gasly. Der Sieger des GP Italien 2020 wurde zum Favorit auf das zweite Cockpit. "Er kam auf unsere Wunschliste, weil er 2024 ohnehin frei geworden wäre", berichtet Alpine-Teamchef Otmar Szafnauer. "Pierre ist jung, erfahren und schnell. Davon gibt es nicht viele Piloten." Man testete nach Ungarn zwar mit Nachwuchs Jack Doohan, Nyck de Vries und Antontio Giovinazzi. Doch für Doohan wäre ein Aufstieg wahrscheinlich zu früh gekommen. Giovinazzi war nie eine echte Option. Und de Vries wäre ein Kandidat gewesen, wäre das Unterfangen mit Gasly gescheitert.
Nur musste erst Alpha Tauri überzeugt werden. Red Bulls Management war gesprächsbereit, ließ seinen 26-jährigen Fahrer aber nur ziehen, sofern adäquater Ersatz gefunden wird. Mit Colton Herta wollte man den US-Markt erobern. Doch der IndyCar-Star besitzt keine Superlizenz. Die FIA machte keine Ausnahme. Wer keinen Formel-1-Führerschein hat, darf auch nicht in der Königsklasse fahren.
Nyck de Vries ließ Gaslys Traum vom Werksteam wieder aufleben. Der Formel-E-Weltmeister überzeugte Red Bulls Führungsetage um Sportchef Helmut Marko. "Er fiel uns schon auf, als er in Frankreich für Mercedes ein Training als Ersatz für Hamilton bestritt. Er war in seinen Aussagen am Funk sehr klar", erinnert sich der Grazer Doktor, der Personalentscheidungen bei Red Bull und Schwester Alpha Tauri verantwortet.
De Vries überzeugt in Monza
Letzte Überzeugungsarbeit leistete de Vries beim GP Italien. Als Ersatz für den erkrankten Alexander Albon raste der Niederländer in seinem Formel-1-Debüt direkt auf den neunten Platz in die Punkte. "Da hat er sein ganzes Potential in einem Rennen gezeigt", erklärt Teamchef Franz Tost. Alpha Tauri sicherte sich seine Dienste. Was Gasly den Weg zu Alpine freimacht. "Wir haben immer gesagt, ein Deal muss sich für uns auch lohnen", bekräftigt Marko. Alpine musste für Gasly wohl auch in die Kasse greifen.
Dort trifft er auf Landsmann Esteban Ocon. Das Duo verspricht, eine explosive Fahrerpaarung zu werden. Es wird den beiden nicht das beste Verhältnis nachgesagt. "Beide sind schnell. Beide sind erfahren. Wir glauben, dass wir mit ihnen eine gute Fahrerkombination haben", sagt Szafnauer. "Das war eine Entscheidung, die im Team getroffen wurde. Wir haben zusammen darüber gesprochen. Auch mit Esteban. Er hat unsere Idee unterstützt. Er ist ein professioneller Rennfahrer. Beide haben kein Problem damit, im Team zusammenzuarbeiten."
Für Gasly zahlt sich der Wechsel allemal aus. Alpha Tauri als Red Bulls Schwesterteam hat nicht die Mittel eines Werksrennstalls wie Alpine, der Chassis und Motor in Eigenregie baut. Alpine fährt im vorderen Mittelfeld, Alpha Tauri im hinteren. Alpine will spätestens 2024 zu den Topmannschaften der Formel 1 aufschließen.
Obendrauf kommt: Für Gasly schien der Weg zu Red Bull verbaut. Dort war er schon einmal zwischen für ein halbes Jahr 2019, sah aber kein Land gegen Max Verstappen. Gasly fing sich nach der Degradierung unter der Saison zurück zu Toro Rosso (Alpha Tauri), doch spätestens nach Red Bulls Verpflichtung von Sergio Perez war klar, dass er nicht mehr nach Milton Keyes würde aufsteigen.
De Vries ist in dieser Hinsicht unbelasteter. Zu Landsmann Verstappen hat er ein gutes Verhältnis. Dass sich Red Bulls Schwesterteam ausgerechnet mit einem ehemaligen Mercedes-Fahrer eindeckt, sorgt im Fahrerlager für ein paar Schmunzler.
Schumachers letzte Chancen
Die letzten offenen Cockpits haben Williams und Haas. Beide Teams lassen sich mit ihrer Entscheidung noch Zeit. Williams will bis Abu Dhabi warten. Dort steigt parallel zur Formel 1 das Saisonfinale der Formel 2. Dort liegt Williams-Protege Logan Sargeant an dritter Stelle. Der US-Amerikaner ist dazu auserkoren, den Platz neben Albon einzunehmen.
Der Thailänder ist selbst noch jung, hat aber durch seine Red-Bull-Vergangenheit schon Erfahrung. Sargeant soll an seiner Seite wachsen – mit Williams zusammen. Der Rennstall befindet sich in einer Phase des Wiederaufbaus. Einen Haken gibt es noch. Sargeant muss das Formel-2-Jahr unter den besten sechs Fahrern abschließen. Sonst sammelt er nicht die notwendigen Punkte für die Superlizenz.
Bei Haas kommt es zum Duell der Deutschen. Mick Schumacher kann sich mit Leistungen auf der Strecke empfehlen. Nico Hülkenberg schaut zu. Jugend oder Erfahrung? Diese Frage stellt sich Teamchef Guenther Steiner. Sollte sich Haas für Hülkenberg entscheiden, bliebe Schumacher ohne Cockpit in der Formel 1. Er hätte nur einen Ausweg: Dass Sargeant es im Formel-2-Finale nicht gelänge, das Tor zur Formel 1 aufzustoßen. Dann müsste sich Williams mit Schumacher aushelfen.