Sie sind ja noch nicht so lange auf ihrem Posten. Wie sind Sie überhaupt in die Formel 1 gekommen?
Bayer: Das war nicht ganz der direkte Weg. Nach dem Studium ging es in den Wintersport, in die Musik-Kultur und den Segelsport. Ich habe dann auch die olympischen Jugendspiele in Innsbruck gemacht, die für das Internationale Olympische Komitee ein riesiger Erfolg wurden. Daraus hat sich eine Freundschaft mit IOC-Generalsekretär Christophe de Kepper entwickelt, der wiederum eng mit Jean Todt befreundet ist. Als die FIA einen neuen Generalsekretär gesucht hat, wurde ich für den Job empfohlen. Jean Todt hat mich dann drei Jahre auf Herz und Nieren geprüft und mir dann den kompletten Motorsport übertragen. Er war wie ein Mentor für mich. Ich bin dann ganz tief in die Materie eingetaucht, von der Formel-1-Kommission, über die Entwicklung des Budget-Deckels oder das Motorenreglement für 2026. Projekte, die extrem wichtig für den Sport waren. Das hat mir einen guten Ruf bei den Teams verschafft. Als ich dann die FIA verlassen habe, hat es nicht lange gedauert, bis das Telefon geklingelt hat.
Das ist ja ein sehr technischer Sport. Haben Sie einen Ingenieurs-Hintergrund?
Bayer: Nein, überhaupt nicht. Bei technischen Dingen habe ich mich immer an Nikolas Tombazis gewendet. Der hat ein unglaubliches Talent, einem Laien komplexe technische Themen zu erklären, so dass es dann am Ende immer recht einfach war, eine Entscheidung zu treffen. Das habe ich von Jean Todt gelernt, der ja auch kein Ingenieur war. Er hat immer die besten Leute an einen Tisch geholt, um sich die Dinge erklären zu lassen und am Ende eine Entscheidung zu treffen.

Peter Bayer führt das Red-Bull-B-Team zusammen mit Laurent Mekies. Beide haben eine FIA-Vergangenheit.
Sie sind jetzt rund 16 Monate auf Ihrer aktuellen Position. Gibt es noch Dinge, die sich neu anfühlen?
Bayer: Richtig neu fühlt sich nichts mehr an. Da war die Einführung über meine Rolle bei der FIA sicher extrem hilfreich. Dort läuft die Politik der Teams zusammen, also musste ich mich tagtäglich damit auseinandersetzen. Was kommerzielle Aspekte angeht, da habe ich mich immer schon zuhause gefühlt. Ich hatte ja auch das Glück, dass ich sechs Monate hinter Franz Tost arbeiten durfte. Ich hatte in meiner Karriere häufig Mentoren, die mir erklärt haben, wie sie bestimmte Dinge angehen, mir aber auch den Spielraum für eigene Entscheidungen gelassen haben. Zu Jahresbeginn hat dann ja auch noch Laurent (Mekies) angefangen. Und diese Aufteilung funktioniert einfach perfekt.
Können Sie mal erklären, wer für was zuständig ist?
Bayer: Im Prinzip macht Laurent alles, was den Sport und die Technik anbelangt und ich mache alles, was das Business betrifft. Bei mir sind das eher strategische Themen, bei Laurent eher Dinge, die sich direkt um das Team drehen.
Sie wissen genau, wie die FIA tickt und wie man sie beeinflussen kann. Inwieweit hilft das in der aktuellen Rolle?
Bayer: Grundsätzlich ist die FIA nicht beeinflussbar (grinst). Ich kann wahrscheinlich viel schneller als andere Antworten von der FIA interpretieren. Wenn ich jetzt zum Beispiel die aktuellen Diskussionen über die Flügel sehe, dann weiß ich ganz klar, was das heißt. Das hilft uns schon manchmal in der Formulierung unserer Fragen und in der strategischen Herangehensweise. Was mir aber wohl am meisten hilft, ist das Netzwerk, das ich in der Zeit aufbauen konnte. Und dass mich meine Konkurrenten hier im Fahrerlager als jemanden kennen, der immer fair, ehrlich und transparent gearbeitet hat. Deshalb kann ich mir die Kollegen auch mal zur Seite nehmen, die Konkurrenz mal außen vor lassen, und fair über eine Sache diskutieren.

Das Team arbeitet halb in Faenza und halb in Milton Keynes. Zuletzt gab es viele Neueinstellungen.
Das Team wurde seit Ihrer Ankunft einmal auf links gedreht. Hat sich auch die Aufgabenstellung geändert?
Bayer: Es war so, dass nach dem Tod von Dietrich Mateschitz alles im Unternehmen durchleuchtet wurde. Da hat man sich auch die Frage gestellt, ob wir überhaupt zwei Formel-1-Teams brauchen. Dann wurde von den Eigentümern recht schnell die Entscheidung getroffen, dass dieses Team sehr wohl seine Funktion hat. Natürlich hatte das auch etwas damit zu tun, dass es immer ein sehr emotionales Projekt von Herrn Mateschitz war. Gleichzeitig hat die Formel 1 in dieser Zeit einen unglaublichen Aufschwung erlebt. Williams wurde 2020 für rund 150 Millionen Euro verkauft. Audi musste für Sauber schon mehr als 600 Millionen hinlegen. Alpine hat Anteile verkauft, die einer Bewertung von 900 Millionen entsprachen. Und wir hatten schon Angebote von über einer Milliarde für das Team. Das Team zu halten, macht also auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht Sinn. Uns wurde aber klar gesagt, dass wir auf der Strecke erfolgreicher sein müssen. Red Bull will kein Team, das um den neunten oder zehnten Platz fährt. Wir müssen zudem kommerziell erfolgreicher sein. Es muss sich irgendwann rechnen. Dazu ist es auch unsere Aufgabe, jüngere Zielgruppen anzusprechen. Das wird man bald schon in unserer Kommunikation sehen. Da haben wir für nächstes Jahr schon tolle Projekte mit dem Red-Bull-Headquarter geplant.
Der neue Name "Visa CashApp RB F1 Team" kam bei den Fans nicht überall gut an. Was wir Ihr erster Gedanke, als der Vorschlag auf den Tisch kam?
Bayer: Solche Dinge brauchen Zeit, um sich daran zu gewöhnen. Viele sprechen ja heute auch noch von Toro Rosso. Das geht auch mir manchmal so. Bei uns standen zwei Dinge im Vordergrund: Wir wollten den Bullen transportieren. Und dann haben wir uns sehr gefreut, dass eine so bekannte Marke wie Visa in diesen Sport kommt. Die machen sonst nur American Football, die Fußball-WM und die Olympischen Spiele. Die wollten natürlich entsprechende Prominenz. Wir sehen jetzt aber von den Fans und den Medien, dass einfach ‚Racing Bulls‘ die neue Identität wird. Darauf wollen wir in der Kommunikation künftig auch den Schwerpunkt setzen.
Verdient das Team denn schon Geld im Rahmen des Budget-Caps?
Bayer: Wenn man nur die Chassis-Seite betrachtet, dann verdienen aktuell vielleicht die Top-Teams Geld, also Ferrari, Red Bull, Mercedes und McLaren. Bei den anderen braucht es noch Unterstützung von den Eigentümern. Ich glaube aber, dass wir von diesen Teams eines sind, das am wenigstens Zuschuss benötigt. Es ist etwas schwierig zu beurteilen, weil man neben dem Budget-Cap ja noch Ausgaben für Fahrergehälter und Marketing hat. Aber der Deckel hilft natürlich, weil wir alle sportlich näher zusammenrücken. Im Q1 sind 20 Autos teilweise innerhalb von einer Sekunde.

Mit Peter Bayer an der Spitze soll das Team kommerziell und sportlich erfolgreicher werden.
Operiert das Team direkt an der Grenze des Budget-Deckels?
Bayer: Wir haben noch etwas Luft. Wenn also jemand Sponsoren kennt (grinst)? Wir strecken uns an die Decke, aber ganz schaffen wir es nicht.
Haas hat 300 Leute, die großen Teams über 1.000 – wo liegt eigentlich Toro Rosso?
Bayer: Bei Haas darf man natürlich nicht vergessen, dass die Produktion dort ausgelagert ist. Ich habe auch kürzlich mit Ayao (Komatsu) gesprochen. Da stehen jede Menge Leute vor der Tür, die demnächst anfangen. Die werden also schon bald bei 350 sein. Wir sind da nicht weit entfernt. Wenn man nur Rennteam, Design und Engineering einrechnet, liegen wir bei 400. Dann kommen je nach Bedarf noch einmal 200 bis 300 Leute in der Produktion in der Fabrik dazu.
Wo liegen die größten strukturellen Defizite zu den Top-Teams, die sich dann auf die Performance auswirken?
Bayer: Laurent hat lange an einem großen Restrukturierungsprogramm gearbeitet, um das technische Team auf Augenhöhe zu bringen. Wir haben viele neue Leute dazugeholt, zum Beispiel Alain Permane. Wir haben auch einen neuen Strategie-Chef. Als Letzter hat jetzt Tim Goss am 1. Oktober angefangen. Insgesamt waren es 30 bis 35 neue Leute, die zu uns gestoßen sind. Das war relativ aufwändig, damit am Ende auch jeder seine Position findet, mit der er happy ist. Wo wir uns von den Top-Teams unterscheiden, das sieht man immer am Freitag im ersten Training. Es hängt viel mit den Tools, vor allem dem Simulator, zusammen, wer quasi rennbereit an die Strecke kommt und wer das ganze Wochenende rumbasteln muss. Wo wir auch Defizite hatten, war beim Rennen von der Fabrik an die Strecke. Also vom Design, über CFD, über Windkanal bis zur Produktion der Teile. Da haben wir viel mit externen Firmen gearbeitet, weil wir selbst die Kapazitäten nicht hatten. Da kann man viel Performance holen, wenn man Teile früher ans Auto bringt. Natürlich müssen die dann auch funktionieren. Da sind wir dann wieder bei der Frage, wie akkurat die Werkzeuge sind. Da haben die Top-Teams moderne Windkanäle und die Simulatoren. Und am Ende muss man auch die Fahrer nennen. Wenn man sich nur anschaut, was ein Max Verstappen aufführen kann, das macht natürlich einen Unterschied.

Das große Upgrade in Spanien wurde zum Flop, der das Team weit zurückgeworfen hat.
In der Mitte der Saison war Toro Rosso als Sechster gesetzt. Jetzt liegt das Team nur noch auf Rang acht. Wie konnte das passieren?
Bayer: Es gab eigentlich nur ein entscheidendes Ereignis und das war das Upgrade von Barcelona. Das hat das Konzept vom Auto durcheinandergebracht. Die Meetings danach waren richtig faszinierend. Da sitzen die Aerodynamiker, die Performance-Ingenieure und das Einsatzteam zusammen. Und dann sagt der Aerodynamiker, dass alle Daten beweisen, dass das Ding funktioniert und dass die anderen das falsch eingestellt haben. Dann ändert das Rennteam das Setup und plötzlich begibt man sich auf eine komplett falsche Fährte. Laurent hat erkannt, dass wir irgendwo falsch abgebogen sind. Dann muss man den Mut haben und mehrere Schritte zurückgehen. Wir haben dann beim Stand vor Barcelona wieder angefangen. Da haben wir wahnsinnig viel Zeit verloren. Die Upgrades sind ja gestaffelt. Nun war plötzlich klar, dass die nächsten Upgrades, die auf dem Barcelona-Paket aufbauen, auch nichts bringen. Da haben wir den Prozess komplett neu starten müssen.
Kommen wir zu den Fahrern: Bei Yuki Tsunoda kann man ein bisschen das Gefühl bekommen, dass im Hinterkopf mitfährt, dass er nächstes Jahr zu Red Bull wechseln. Stimmt der Eindruck?
Bayer: Grundsätzlich hat ja jeder Fahrer, der zu uns kommt, irgendwann das Ziel, bei Red Bull zu fahren. Das habe ich bei den Aufgaben des Teams vergessen, die uns die Eigentümer auf den Weg gegeben haben. Wir sollen wieder dieses Entwicklungsteams sein. Das war ja auch die ursprüngliche Idee mit Daniel Ricciardo, dass wir ihn testen und er dann ins andere Team kommen sollte. Natürlich sind auch unsere beiden aktuellen Fahrer heiß auf den Sitz. Yuki kenne ich mittlerweile schon richtig gut. Und ich habe nicht das Gefühl, dass er den Druck spürt. Im Gegenteil: Er ist zusätzlich motiviert. Er will immer 100 Prozent Leistung zeigen. Mir macht es Freude, die beiden Fahrer im Wettkampf zu sehen. Es sind Rennfahrer. Die reiben sich auf und neben der Strecke.

Nach dem Abschied von Daniel Ricciardo liegen die ganzen Hoffnungen nun auf Yuki Tsunoda und Liam Lawson.
Wie schwer ist es, wenn man noch nicht weiß, welcher Fahrer in welchem Cockpit sitzt. Jetzt könnte ja auch noch jemand von außen kommen.
Bayer: Unser Fokus liegt klar auf dem Red-Bull-Juniorenprogramm. Wir konzentrieren uns jetzt erstmal auf Yuki und Liam. Der nächste in der Reihe ist dann Isack Hadjar, mit dem wir schon viel arbeiten und der für uns viel im Simulator sitzt. Dann gibt es noch den Ayumu Iwasa. Und nächstes Jahr kommt der Arvid Lindblad eine Stufe hoch. Das sind die Fahrer, auf die wir aktuell schauen.
Helmut Marko hatte sich lange beschwert, dass es zu wenig Synergien gibt und Toro Rosso zu wenig Teile von Red Bull übernimmt. Hat sich da etwas verändert?
Bayer: Wir übernehmen alles, was im Reglement erlaubt ist. Da machen wir das Gleiche wie Haas und Ferrari. Aber ich glaube, auch aus meiner Erfahrung von FIA-Seite, dass Ferrari und Haas extrem eng zusammenarbeiten, sicher enger als wir und Red Bull. Es gibt Bereiche, in denen wir nie auf das Niveau der großen Teams kommen werden. Vor dem Budget-Deckel haben sie zig Millionen in die Infrastruktur investiert, zum Beispiel in Prüfstände. Natürlich könnten wir auch Aufhängungen selbst bauen. Aber wenn wir dieses Teil kaufen, können wir mit unseren limitierten Ressourcen woanders unsere Schwerpunkte setzen. Wir haben dabei sogar den Nachteil, dass wir immer darauf warten müssen, bis Red Bull damit fertig ist. Das kann auch mal September oder Oktober werden, bis wir wissen, was wir bekommen. Und dann müssen wir schnell versuchen, den Rest drumherum zu bauen.