Es ist 15 Jahre her, dass ein Australier die Formel-1-WM angeführt hat. Mark Webber lag 2010 quer über die Saison verteilt bei sechs Rennen an der Spitze der Gesamtwertung – zuletzt beim GP Japan. Es ist eine Laune der Statistik, dass ausgerechnet sein eigener Schützling Oscar Piastri nun in diese Fußstapfen tritt.
Piastri ist in Melbourne erst seinen 51. Grand Prix gefahren, aber er hat jetzt schon so viele Siege auf seinem Konto wie Teamkollege Lando Norris nach 133 Einsätzen. Er fährt und redet wie einer, der schon zehn Jahre dabei ist. Den 24-Jährigen aus Melbourne lässt die WM-Führung erstaunlich kalt: "Es ist nicht wichtig, dass ich nach fünf Rennen vorne liege. Mir wäre lieber, es wäre nach 24 Rennen so."
Ganz schön abgezockt für einen, der gerade erst in seine dritte Formel-1-Saison gegangen ist. Selbst sein Manager Mark Webber wundert sich manchmal über die Abgebrühtheit seines Klienten: "Oscar ist auf einer Mission." Der Mission WM-Titel. Das hat inzwischen auch Lando Norris gemerkt. Der Vize-Weltmeister von 2024 richtete sich auf ein Duell mit Max Verstappen ein. Jetzt ist es ein Dreikampf.

Piastri gewann den Start und behielt beim Duell mit Verstappen in Kurve 1 einen kühlen Kopf.
Piastri als Chef im Ring
Dieser Piastri ist aus Sicht von Norris der unangenehmere Gegner. Erstens sitzt er im gleichen Auto und zweitens ähnelt er in vielen Charaktereigenschaften Verstappen. Er hat eine Meinung, steht zu ihr und lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen.
So beurteilte Piastri die heiße Szene beim Start von Jeddah auch relativ nüchtern: "Als ich innen neben Max war, habe ich klar gezeigt, wer der Chef in Kurve 1 ist. Ich wusste, dass ich nicht als Zweiter aus der Kurve kommen würde. Den Sportkommissaren blieb gar nichts anderes übrig, als einzugreifen."
Damit war der Vorfall für den dreifachen Saisonsieger abgehakt. Mehr Sorgen machte ihm, dass der Red Bull nicht nur auf eine Runde schnell war, sondern auch über die Renndistanz. "Im ersten Stint konnte ich mit Max nicht mehr mithalten. Ich habe in der verwirbelten Luft zu viel Zeit verloren. Erst im zweiten Stint konnte ich meinen Speed zeigen."

Mit seinem Sieg übernahm Piastri zum ersten Mal in seiner Karriere die WM-Führung.
Machtdemonstration in der letzten Runde
Piastri wusste von der Strafe seines Gegners und dass seine Chance beim Boxenstopp kommen würde. Der Undercut plus die Strafe brachte ihm eine komfortable Führung von 2,7 Sekunden ein, die er in der Folge auf 4,8 Sekunden ausbaute. In sauberer Luft konnte der McLaren-Pilot die Qualitäten seines Autos voll ausspielen.
Piastri fuhr nur so schnell, wie er musste. "Ich konnte nicht den Fuß vom Gas nehmen, bin aber auch keine verrückten Risiken eingegangen." Als Verstappen zum Schluss wieder aufschloss, hatte sein Gegner das Selbstvertrauen, in der letzten Runde zu zeigen, wo der Hammer hängt. Piastri fuhr seine persönlich schnellste Runde und nahm Verstappen zwei Zehntel ab. Das war Machtdemonstration und Psychospiel zugleich.
Im Gegensatz zu Norris und seinen Chefs redet der Australier die Vorzüge seines Autos nicht klein. "Wir haben immer noch das beste Auto im Feld. Aber auf bestimmten Strecken und Asphalttypen ist Red Bull schnell und ehrlich gesagt besser, als uns lieb sein kann. Da müssen wir nachlegen."

Verstappen weiß, dass sich Piastri in kurzer Zeit zu einem Top-Fahrer entwickelt hat.
Respekt von Verstappen
Verstappen lobte seinen Gegner, obwohl der ihm in der ersten Kurve die lange Nase gezeigt hatte. "Letztes Jahr war erst sein zweites in der Formel 1. Jetzt im dritten hat er sich stabilisiert. Oscar ist sehr ruhig. Das zeigt sich auch auf der Strecke. Er liefert seine Leistung ab, wenn es zählt, und er macht kaum Fehler. Genau das brauchst du, wenn du um Meisterschaften kämpfen willst. Mit Mark Webber hat er einen an seiner Seite, der das Geschäft von seiner eigenen Karriere kennt. So wie das bei mir mit meinem Vater war."
Lando Norris hat der Schritt, den sein Stallrivale über den Winter gemacht hat, sichtlich überrascht. Piastri hat an den richtigen Stellschrauben gedreht. Er verbesserte sich in der Qualifikation, beim Reifenmanagement und zeigt keine Formschwankungen mehr. Ein Training, das mal nicht so läuft, wirft ihn nicht gleich aus der Bahn.
Gleichzeitig erhöht das den Druck auf Norris. Der Unfall im Q3 ist eher untypisch für den besten Qualifizierer des Vorjahres. Auch, dass er sich von Lewis Hamilton mit dem uralten DRS-Trick auf der Zielgeraden zwei Mal austricksen lässt. Die Zeit, die da verloren ging, hat ihm am Ende wahrscheinlich den dritten Platz im Duell gegen Charles Leclerc gekostet.

Lando Norris durfte mit aufs Teamfoto. Zu feiern hat aktuell aber nur sein Teamkollege etwas.
Norris doppelt unter Druck
Norris versuchte, diesmal nicht zu hart mit sich ins Gericht zu gehen. "Platz vier war das Beste, was wir holen konnten. Insgesamt bin ich mit dem Rennen zufrieden, aber ich mache mir das Leben selbst schwer, vor allem bei Rennen wie hier in Jeddah. Es wäre einfacher gewesen, wenn ich weiter vorne gestanden wäre. Ich muss mich einfach an den Samstagen verbessern."
Zuletzt stand Norris in Melbourne auf der Pole-Position. Deshalb kann er die Meinung nicht teilen, dass der McLaren haushoch überlegen ist. "Wir glauben nicht, dass wir einen Riesenvorsprung haben. Max war der Schnellste in Jeddah. Wir zeigen einfach ein bisschen mehr Speed in den freien Trainingssitzungen, sehen dann aber, dass es in der Qualifikation nicht mehr so ist. Wir haben ein tolles Auto, wahrscheinlich auch das Schnellste im Durchschnitt, aber das reicht nicht."