Starkes Debüt in Jeddah: Wie gut ist Oliver Bearman?

Rookies mit gutem Einstand
Wie gut ist Oliver Bearman?

Zuletzt aktualisiert am 15.03.2024

Oliver Bearman feierte ein Formel-1-Debüt nach Maß. Der 18-jährige Engländer beendete seinen ersten Grand Prix als Ersatzmann für Carlos Sainz als Siebter und blieb das gesamte Wochenende fehlerlos. Dafür bekam Bearman durch die Bank gute Kritiken. Zu Recht. Schwerer kann man einem Neuling den Einstand nicht machen.

Am Donnerstag saß der junge Brite noch in seinem Prema-Formel-2-Renner und stellte sein Auto im Qualifying der Nachwuchsklasse auf die Pole Position. Am nächsten Morgen meldete sich Carlos Sainz mit einer Blinddarmentzündung krank, und Ferraris Reservepilot musste von jetzt auf gleich seinen Kopf neu ordnen.

Statt im Formel-2-Auto auf Sieg zu fahren, kam es jetzt darauf an in kürzester Zeit ein Auto zu lernen, das er nur aus dem Simulator kannte. Und das auf einer der schnellsten und gefährlichsten Rennstrecken im GP-Kalender. Und nicht irgendwo im Mittelfeld, sondern in einem Ferrari. Da kann man sich nicht verstecken wie in einem Auto aus dem hinteren Feld. Die historische Dimension lastete obendrein auf Bearman. Er war der erste Ferrari-Debütant seit Arturo Merzario beim GP England 1972. Und der erste Engländer im roten Auto seit Nigel Mansell 1990.

Oliver Bearman - GP Saudi-Arabien 2024
Ferrari

90 Runden und kein Fehler

Dem Neuling blieben exakt 22 Runden Zeit, sich auf seine Aufgabe vorzubereiten. Der Unfall von Guanyu Zhou hatte das dritte Training um 13 Minuten verkürzt. Der Schritt aus der Formel 2 war riesig. "Die Rundenzeiten im Formel 1 sind um 14 Sekunden schneller. Es gibt viel mehr im Cockpit zu verstellen, viel mehr Setup-Optionen, und ich musste mich auch erst daran gewöhnen während des Fahrens gecoacht zu werden", erzählte der Newcomer.

Dem Ersatz von Carlos Sainz unterlief während seiner insgesamt 90 Runden seit Freitagmorgen kein einziger gravierender Fehler. Kein Dreher, kein Mauerkontakt, keine Strafe, keine Klagen von anderen Fahrern, dass er im Weg gestanden wäre. Am Ende ärgerte er sich nur selbst, dass er das Q3 um 36 Tausendstel verfehlt hatte. "Er soll sich darüber nicht ärgern, sondern darauf stolz sein, was er unter schwierigsten Bedingungen geleistet hat", adelte ihn Max Verstappen.

Oliver Bearman - GP Saudi-Arabien 2024
Ferrari

Bearman mit Reserven

Die sechs WM-Punkte am Sonntag waren die Krönung. Bearman zeigte nicht nur Speed, sondern auch Rennübersicht. Als er vier Runden hinter Nico Hülkenberg anstand, dann endlich vorbei kam, nur um von dem Haas-Piloten gleich wieder ausgekontert zu werden, ließ sich Bearman nicht nervös werden lassen.

Er sah ein: "Nico hat seine Erfahrung genutzt und die Energie immer an den richtigen Stellen verwendet, um mich hintendran zu halten. Ich habe ein paar Versuche gebraucht ihn zu überholen. Es ist in der Formel 1 ein bisschen schwieriger als in der Formel 2. Als er wieder an mir vorbeiging, musste ich erst einmal wieder zwei Runden warten, bis die Batterie voll geladen war."

Auch am Ende des Rennens zeigte der Mann mit der Startnummer 38, dass er schon die Formel 1-Reife hat. Lando Norris und Lewis Hamilton machten nach ihren späten Boxenstopps mit Soft-Reifen Attacke. Teamchef Frédéric Vasseur forderte sein Greenhorn auf das Tempo anzuziehen. Bearman hielt den Abstand konstant auf drei Sekunden und holte sogar noch ein bisschen auf George Russell auf.

Hinterher meinte der Jungspund: "Ich konnte mich nicht entspannen und bin einfach voll gefahren. Jede Runde war schneller als die vorherige. Ich hatte schon noch Reserven, falls ich es gebraucht hätte."

Liam Lawson - Alpha Tauri - GP Niederlande - Zandvoort - Samstag - 26.8.2023
Motorsport Images

De Vries und Lawson erst ab Samstag im Auto

Die Geschichte vom Reservisten, der einen kranken Stammpiloten ersetzt, kommt einem bekannt vor. Es war fast eine Doublette zu Nyck de Vries 2022 in Monza und Liam Lawson 2023 in Zandvoort. De Vries ersetzte bei Williams den ebenfalls mit einer Bilddarmentzündung ins Krankenhaus eingelieferten Alexander Albon. Lawson sprang für Alpha-Tauri-Heimkehrer Daniel Ricciardo ein, der sich bei einem Unfall im zweiten Training die Hand gebrochen hatte.

Beide hatten ebenfalls nur ein Training als Warm-up für die Qualifikation. Während de Vries als Ersatzfahrer aller Mercedes-Teams einigermaßen in Übung war und mit Monza im Williams die perfekte Strecke vorfand, war es für den am Vortag aus Japan angereisten Lawson deutlich mehr ein Sprung ins kalte Wasser. De Vries hatte 21, Lawson 26 Runden Eingewöhnungszeit. Der Holländer beendete sein Debüt als Neunter mit zwei WM-Zählern. Lawson kam in einer Regenschlacht mit zwei Abbrüchen auf einem respektablen 13. Platz ins Ziel.

Oliver Bearman - GP Mexiko 2023
Haas

Ist die Formel 1 zu einfach?

Der gute Einstand der drei Ersatzpiloten mag den Eindruck erwecken, dass die Formel 1 entweder zu leicht ist oder die jungen Fahrer sehr gut vorbereitet sind. Weder das eine noch das andere ist der Fall. Es reicht mit einem guten Auto ordentlich abzuschneiden. Aber schwierig wird es erst, wenn man über einen längeren Zeitraum gegen einen erfahrenen Teamkollegen bestehen muss. De Vries wurde von Yuki Tsunoda in der ersten Saisonhälfte 2023 an die Wand gefahren. Lawson schnitt bei seinen fünf Starts im Vergleich dazu deutlich besser ab.

Bearman hätte gegen Charles Leclerc einen schweren Stand. Der fünffache GP-Sieger zählt zu den Top 5 im GP-Zirkus und fährt auf eine Runde auf Augenhöhe mit Verstappen. Auf ihn fehlten im direkten Q2-Vergleich 0,530 Sekunden und über die Distanz von 50 Runden 24 Sekunden.

Trotzdem steht der Sechste der 2023er Formel 2-Meisterschaft nach seinem überzeugenden Auftritt auf dem Zettel einiger Teamchefs. Einer der möglichen Landeplätze ist Haas. Teamchef Ayao Komatsu erklärte in Jeddah zum Thema Bearman: "Als er letztes Jahr für uns im Mexiko im Freien Training gefahren ist, haben wir gleich gemerkt, dass er etwas Besonderes ist. Da hat er sehr schnell seine Reife gezeigt. Und den nötigen Speed hat er auch. Er verdient nächstes Jahr eine Chance. Ich kann aber jetzt noch nicht sagen, wer bei uns fährt. Schaut man auf die Leistung von Jeddah, müssten es Kevin und Nico sein."

Haas hat schon weitere Trainingseinsätze mit Bearman in Imola, Barcelona, Silverstone, Budapest, Mexiko und Abu Dhabi geplant. Noch unklar ist, ob Bearman auch in Melbourne noch einmal im Ferrari für Sainz einspringen darf. Um den Youngster noch besser auf einen möglichen Einsatz vorzubereiten, lud die Scuderia den eigenen Junior-Piloten am Mittwoch (13.3.) auf die hauseigene Teststrecke nach Maranello ein, um noch ein paar zusätzliche Proberunden im zwei Jahre alten F1-75 zu drehen und die verschiedenen Abläufe zu verinnerlichen.