In 70 Jahren Formel 1 haben sich 33 Fahrer in die Liste der Weltmeister eingetragen. Den ersten der Geschichte kennt kaum einer mehr. Guiseppe Farina, genannt Nino. Doktor der Wirtschaftswissenschaften und Mitglied der Turnier High Society. Er war der Neffe von Battista Farina, dem Gründer des Designstudios Pininfarina. Kein Naturtalent wie Juan-Manuel Fangio oder Alberto Ascari, aber ein harter Arbeiter und zäher Widersacher auf der Strecke. Seine aufrechte Haltung mit den weit ausgestreckten Armen hinter dem Lenkrad begründete einen neuen Fahrstil.
Farina hatte sich schon vor dem Krieg auf Alfa Romeo und Ferrari einen Namen im Rennsport gemacht. Nach dem Tod der Alfa Romeo-Asse Achille Varzi, Jean-Pierre Wimille und Graf Carlo Felice Trossi wurde das Werksteam für die erste Formel 1-Saison 1950 neu besetzt. Alfa Romeo rekrutierte die drei „F“. Alles Männer im gesetzten Alter. Juan-Manuel Fangio war mit 38 Jahren der jüngste aus dem Trio, gefolgt von Nino Farina mit 43 und Luigi Fagioli mit stolzen 53 Jahren. Das vierte Auto wurde wahlweise mit Reg Parnell, Piero Taruffi und Consalvo Sanesi besetzt. Der Alfa Romeo Tipo 158 war eine Konstruktion aus dem Jahr 1937.
Am Ende blieben Nino Farina und Juan-Manuel Fangio als Meisterschaftskandidaten übrig. Farina setzte sich durch, wohl auch, weil ihn die Alfa-Teamleitung favorisierte. Allerdings nicht unverdient. Der raubeinige Italiener führte in den sechs Grand Prix des Jahres 1.252 Kilometer, sein Kontrahent Fangio nur 1.064 Kilometer. Beide gewannen je drei Rennen, beide hamsterten je drei schnellste Rennrunden, Farina rangierte jedoch ein Mal häufiger in den Punkten.
Farina war der Wunsch-Weltmeister von Alfa Romeo
Zwischen dem vorletzten und letzten Grand Prix lagen zwei Monate Pause. Juan-Manuel Fangio ging mit 26, Nino Farina mit 22 Punkten in das letzte Rennen. Luigi Fagioli hatte zwar 24 Zähler auf dem Konto, war aber trotzdem Außenseiter. Nur die besten vier von sieben Resultaten zählten. Fagioli musste im Falle eines Sieges einen seiner vier zweiten Plätze streichen. Er konnte an Fangio nur mit einem Sieg und einer schnellsten Rennrunde vorbeiziehen, unter der Voraussetzung, dass der Argentinier punktelos blieb und Farina sich nicht besser als auf Rang 3 platzierte.
Alfa Romeo spielte Farina auf den WM-Titel. Der damals bereits 43-Jährige bekam das neueste Modell 158/159 mit dem stärksten Motor. Das Finale begann mit einer Schlacht, wie sie die noch junge Formel 1 noch nicht gesehen hatte. Fangio, Farina und Störenfried Ascari im Ferrari kämpften nach allen Regeln der Kunst 22 Runden lang um die Spitze. Farina setzte sich durch, weil Ascari mit einem Motorplatzer und Fangio mit Getriebeschaden die Waffen strecken mussten. Beide stiegen zwar in Autos von Teamkollegen um, doch die Weltmeisterschaft war Farina nicht mehr zu nehmen.

Gegen die 1,5-Liter-Reihenachtzylinder mit Roots-Kompressor war kein Kraut gewachsen. Mit 385 PS setzten die Alfa-Triebwerke den Maßstab. Ferrari wurde erst gegen Ende der Saison ein wehrhafter Gegner. Und im Jahr 1951 ein ernsthafter Konkurrent. Obwohl Alfa Romeo beim Tipo 159 die Leistung auf 420 PS gesteigert hatte. Allerdings auf Kosten eines noch höheren Spritverbrauchs. Nachtanken war Pflicht. Die Zwölfzylinder-Saugmotoren von Ferrari waren weniger gefräßig.
Titelverteidiger Farina war 1951 nur noch die Nummer zwei im Team. Alfa Romeo-Rennleiter Giovanbattista Guidotti setzte seine Karten auf Fangio. Trotzdem gelang dem alten Mann in Spa noch ein GP-Sieg. Im Jahr darauf wechselte Farina zu Ferrari, nur um dort Alberto Ascari vor die Nase gesetzt zu bekommen. Der erste Weltmeister der Geschichte wurde 1952 Zweiter und 1953 Dritter der WM-Wertung. 1953 gewann Farina am Nürburgring seinen fünften und letzten Grand Prix.
Debüt mit Schulterbruch
Farina gab sein Debüt im Motorsport 1933 bei einem Bergrennen. Es endete wie viele seiner Einsätze im Graben. Und mit einer gebrochenen Schulter. Der alte Kämpfer teilte als Rennfahrer kräftig aus, war aber auch hart im Nehmen. Die Liste seiner Unfälle und Verletzungen ist so lang wie die seiner Erfolge. 1936 verunglückte er beim Grand Prix von Deauville. Sein Unfallgegner starb. Zwei Jahre später in Tripolis krachte es wieder. Farina wurde verletzt. Sein Kontrahent erlag am nächsten Tag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Beim GP der Tschechoslowakei 1949 in Brünn kamen bei einem Ausrutscher des Italieners mit der umgekehrten Sturmhaube auf dem Kopf zwei Zuschauer ums Leben.
Das schwerste Unglück ereignete sich beim GP Argentinien 1953, der unter chaotischen Umständen stattfand. Die Zuschauer saßen ungeschützt am Streckenrand. In der 32. Runde musste Farina einem Jungen ausweichen, der die Strecke überqueren wollte. Dabei verlor der Italiener die Kontrolle über seinen Ferrari und flog in eine dicht gedrängte Zuschauermenge. 15 starben, viele wurden ernsthaft verletzt. Nach dem Unfall verlor der Veranstalter komplett die Herrschaft über das Geschehen, weil nun immer mehr Zuschauer über die Strecke liefen.
Tod im Straßenauto
Farinas Leidensweg war noch nicht zu Ende. 1954 brach er sich bei der Mille Miglia einen Arm. Später im Jahr erlitt er bei einem Sportwagenrennen in Monza schwere Verbrennungen an beiden Beinen und lag 20 Tage im Krankenhaus. Seine Saison war schon nach zwei Grand Prix beendet. Farina musste bei seinem Comeback 1955 Morphium nehmen, um die Schmerzen zu ertragen. Er fuhr noch drei Grand Prix. Der GP Belgien war sein letzter Grand Prix. Er beendete ihn mit Anstand als Dritter auf dem Podium. Beim GP Italien 1955 sollte Farina den Lancia D50 fahren, doch nach Reifenschäden in den Steilkurven, verzichtete das Team auf einen Renneinsatz. Trotzdem war noch nicht ganz Schluss. Ein Unfall beim Training zu den 500 Meilen von Indianapolis 1956 hielt ihn davon ab, am Rennen teilzunehmen. Im gleichen Jahr stürzte er erneut schwer in Monza. Wieder ging das Schlüsselbein zu Bruch.
1957 unternahm der Dottore einen zweiten Anlauf in Indianapolis. Während der Trainingstage lieh er sein Auto an seinen Teamkollegen Keith Andrews aus. Der Amerikaner krachte in die Mauer und starb. Es war der letzte Fingerzeig des Himmels, dem Wunsch seiner Frau zu folgen und den Helm an den Nagel zu hängen. Farina war ein gläubiger Mann. Es ist überliefert, dass er nach jedem seiner Unfälle zur Jungfrau Maria betete, um sich für den göttlichen Beistand zu bedanken.
Farina war gefürchtet wegen seines rücksichtslosen Umgangs mit Kollegen auf der Rennstrecke. „Man kam ihm besser nicht zu nahe“, wurde Fangio einmal zitiert. Der „Gentleman von Turin“ wurde als arrogant, verschlossen, dann aber wieder als großzügig und wohl erzogen beschrieben. Trotz seiner vielen Verletzungen erwartete er von seinen Kollegen kein Mitleid. Als ihn Fangio einmal im Krankenhaus besuchte, fragte Farina erstaunt: „Was machst du denn hier?“ Er fühle mit ihm und wolle ihm gute Besserung wünschen, gab Fangio zurück. Die Antwort war wohl typisch Farina: „Du solltest happy sein. Schon wieder ein Gegner weniger, den du beim nächsten Rennen schlagen musst.“
Der Mann, der so viele Unfälle im Rennauto überlebte, starb zehn Jahre nach Beendigung seiner Karriere auf der Straße. Farina befand sich mit seinem Lotus Cortina auf dem Weg von Turin nach Reims, wo er sich den GP Frankreich 1966 anschauen und an John Frankenheimers Film „Grand Prix“ teilnehmen wollte. Farina war als Double von Hauptdarsteller Yves Montand vorgesehen. Nahe Chambéry kam der 59-jährige Ex-Weltmeister auf einer Eisplatte von der Straße ab, prallte gegen einen Telegrafenmasten und war auf der Stelle tot.
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