Die Youngster rocken die Formel 1

Neue Formel-1-Fahrer hinterlassen Eindruck
Der Wahnsinn mit der Jugend

Veröffentlicht am 23.12.2024

Nichts ist so ewig jung wie die Kritik der Alten an den Nachfolgenden. Bereits die Sumerer ärgerten sich circa 3000 Jahre vor Christus auf einer Tontafel: "Die Jugend achtet das Alter nicht mehr, zeigt bewusst ein ungepflegtes Aussehen, sinnt auf Umsturz, zeigt keine Lernbereitschaft und ist ablehnend gegen übernommene Werte." Sokrates legte über 2500 Jahre später nach: "Die Kinder von heute sind Tyrannen. Sie widersprechen ihren Eltern, kleckern mit dem Essen und ärgern ihre Lehrer." Und heute seien die Smartphone-Zombies ebenfalls für nichts mehr zu gebrauchen.

Ob sich so mancher Teamchef von antiken Denkern beeinflussen lässt, ist nicht überliefert. Aber vor einem Jahr hätte man es noch denken können. Allen voran in der Königsklasse sah es durch den Druck des Budgetdeckels lange danach aus, als ob die Jugend keine Chance bekommen würde. Dabei warteten einige Talente im – durchaus gesunden – Unterbau. Besonders plakativ zeigte sich die Situation beim Sauber-Team, das Valtteri Bottas und Guanyu Zhou für 2024 erneut die Treue hielt. Der Junior der Schweizer, F2-Meister Théo Pourchaire, wurde damit zum größten Verlierer des Zeitgeistes. Obwohl ein mehr als trister Blick auf die Abschlusstabelle den vielen Kritikern Recht geben wird, sollte man es den von finanziellen Zwängen eingeschnürten Oberen nicht übel nehmen.

Oliver Bearman - Formel 1 - GP Saudi-Arabien 2024
Ferrari

Youngster drängen in die Formel 1

Der wohl entscheidende Wendepunkt für Rennsport-Youngster war der Grand Prix von Saudi-Arabien. Carlos Sainz' Blinddarmentzündung bugsierte den Ferrari-Akademisten Oliver Bearman ins Cockpit. Die nonchalante Leistung des mittlerweile 19-Jährigen, der abseits kleiner Wackler im physisch anspruchsvollen Groundeffect-Auto glänzte, löste zurecht Begeisterungsstürme aus. Ironisch war hierbei, dass die Italiener traditionell auf Erfahrung setzen, bevor sie ihr Cockpit freigeben. Der unfreiwillige Mut wurde in Form des Jüngsten der roten F1-Historie mit Punkten belohnt, was auch dabei half, dass Ferrari vom Konstrukteurstitel träumen durfte.

Neben Ollie Bearman, der später Kevin Magnussen bei Haas weitere zwei Male vertrat, rutschten bekanntermaßen zwei andere Talente ins grelle Scheinwerferlicht des Sports. US-Boy Logan Sargeant musste sein Williams-Cockpit für den gerade einmal zwei Jahre jüngeren Franco Colapinto räumen. Hier zeigte sich fast dramatisch, dass zu großes Vertrauen in Fahrer ohne Erfahrung durchaus schmerzhaft enden kann. Bei der Zweitvertretung von Red Bull entschieden sich Peter Bayer und Co. derweil für einen waschechten Generationenwechsel – auch wenn der Ricciardo-Nachfolger Liam Lawson trotz seiner 22 Jahre alles andere als ein Greenhorn ist – und ab nächster Saison neben Max Verstappen im Red Bull sitzen wird.

Franco Colapinto - GP Brasilien 2024
Wilhelm

Colapintos steiler Aufstieg

Anhand der Späteinsteiger kann gut belegt werden, wie schnelllebig die Szene ist. Besonders Franco Colapinto schwankte zwischen frischer Unbeschwertheit und horrenden Reparaturkosten. "Das Brasilien-Wochenende war das brutalste meiner ganzen Karriere. In etwas mehr als sieben Tagen hatten wir fünf große Unfälle", bilanzierte der Williams-Teamchef James Vowles, aber nahm auch Alex Albon gleich mit in die Verantwortung. Selbst der Lionel-Messi-eske Hype rundum den Argentinier Colapinto, der den Briten reichlich neue Sponsorfarben auf das Auto klebte, kann die Misere durch den Kostendeckel nicht lindern.

Vowles würde seine Entscheidung dennoch nie bereuen. Bei einem Podiumsgespräch erklärte er jüngst über den Schützling, den er durch die Sainz-Verpflichtung nicht halten kann: "Seine Entwicklung geht noch weiter. Er wird schneller, was die anderen Teams auf dem Schirm haben sollten. Selbst wenn er uns bei anderen Punkte wegnimmt, ist es richtig, wenn er als Profi in der Formel 1 verbleibt." Zum Zeitpunkt des Las-Vegas-Wochenendes hat sein Management noch fleißig an der Resthoffnung gearbeitet, dann kollabierten die Chancen.

Andrea Kimi Antonelli - Mercedes - Formel 1 - 2024
Mercedes

Jung – aber gut ausgebildet

Stand jetzt ersetzt Bearman Magnussen bei Haas, Gabriel Bortoleto mischt endlich die Audi-Sauber-Truppe durch, Formel-2-Racer Jack Doohan geht zu Alpine – und Andrea Kimi Antonelli tritt in die riesigen Fußstapfen von Lewis Hamilton. Womit wir beim Höhepunkt des plötzlichen Jugendwahns angekommen sind. Schon seit jüngsten Karttagen war der Italiener für Großes bestimmt. Dank einer engmaschigen Unterstützung von Mercedes erreicht er nun den Gipfel. Natürlich brauchte es ebenfalls ein gutes Timing – sprich den Verstappen-Verbleib. Trotz seines etwas uncharmanten Monza-Abflugs kann sich die Formel 1 dennoch auf ihn freuen.

Doch nicht nur in der F1 machten neue Namen auf ihr Talent aufmerksam. In Le Mans gewannen beispielsweise der 28-jährige Antonio Fuoco und der 27-jährige Nicklas Nielsen. Was zunächst wie ein gesetztes Renn-Alter wirkt, ordnet der jüngste Le-Mans-Sieger Alex Wurz ein: Mit 22 Jahren gewann er 1996 für Joest. Der nun dreimalige IndyCar-Meister Álex Palou dürfte als weiteres gutes Beispiel vorangehen. Schon jetzt hat der 27-Jährige das erreicht, für was früher andere bis weit in ihre Dreißiger kämpfen mussten.

Insgesamt zeigt dies, dass das System der Jugendförderung weiter funktioniert. Selbst gescheiterte Formel-1-Hoffnungen feiern angesichts ihres über viele Saisons erlernten Handwerks Erfolge in anderen Open-Wheel-Serien oder auf der boomenden Langstrecke.

Oliver Goethe - Red-Bull-Junior - Macau 2024
Red Bull

Hoffnung für Deutsche

Dass die Pyramide bis zur Spitze aufbaut, bedeutet jedoch nicht, dass das Fundament komplett stabil ist. Die Professionalisierung bis in den Kartbereich hinein und die ausufernden Kosten ab der Formel 4 aufwärts – zum Beispiel wegen Testfahrten –, machen die eh schon kostspielige Ausbildung komplett zum "Rich Man’s Game". In Deutschland speziell wird dieser Trend besonders schmerzhaft deutlich, wo seit vielen Jahren die Bereitschaft sank, neue Talente zu unterstützen. Das Motorsport Team Germany, eine Kooperation des DMSB und des ADAC, will der Abwärtsspirale entgegentreten.

"Auch wenn wir in der Industrie gerade durch etwas stürmische Zeiten fahren, so sind wir in der ADAC Stiftung Sport überzeugt, dass der Motorsport auch künftig seine Rolle in der Gesellschaft wahrnehmen wird", macht Stiftungsvorstand Wolfgang Dürheimer der Motorsport-Nation Mut. Mit dem F2-Fahrer Oliver Goethe und dem F3-Racer Tim Tramnitz hat er zwei passende Vorzeigepiloten, die beide parallel in der Red-Bull-Akademie gefördert werden. Zudem konnten er und sein Team eine Allianz mit den heimischen Herstellern schließen, welche zum Beispiel durch Simulator-Tests helfen.

Damit sowohl Deutschland als auch andere Länder von Hypes der Kategorie Colapinto wieder träumen können, muss bei den Kosten noch vieles passieren. Doch die Arbeit wird sich lohnen – denn wie schon The Who 1965 titelte: The Kids are alright.