Nachruf Jochen Mass: Unsere Gespräche werden mir fehlen

Nachruf Jochen Mass
Unsere Gespräche werden mir fehlen

Zuletzt aktualisiert am 05.05.2025

Kennengelernt haben wir uns irgendwann in den Neunzigern. Eher zufällig wurden wir dazu auserkoren, einen 300 SE aus dem Mercedes-Museum bei einer Rallye von der Schweiz aus halbwegs erfolgreich nach Paris zu bringen. Wer schon einmal eine Rallye mit einem wildfremden Menschen gefahren ist, weiß: Nach ein paar Tagen in einem engen Cockpit hat man doch eine Menge über den anderen gelernt.

Ruhig und tiefenentspannt

Was bei Jochen als Erstes angenehm auffiel, war seine ruhige, tiefenentspannte Art – wenn es durch eine Fehlbuchung kein Hotelzimmer gab, nächtigte man halt auf dem Sofa in der Hotellobby. Als ein anderer Teilnehmer ein Problem hatte und abgeschleppt werden musste, unsere Heckflosse aber nur vorne einen Haken hatte, drehte er den Benz kurzerhand um und schleppte den Kollegen im Rückwärtsgang ein paar Kilometer in die nächste Werkstatt.

Auch sonst klappte unsere Zusammenarbeit bei der Rallye hervorragend, wir lagen von Beginn an auf Platz eins. Bis zur letzten Prüfung am letzten Tag kurz vor Paris: Durch einen dämlichen Fehler meinerseits, ich hatte die Strecke falsch eingeschätzt, rutschten wir auf Platz drei. Doch statt dem verlorenen Sieg hinterherzutrauern, freute sich Jochen eben mächtig über den dicken Pokal für den dritten Rang.

In den folgenden Jahren diffundierte Jochen immer mehr in den historischen Motorsport hinein, weshalb wir uns manchmal jedes zweite Wochenende in irgendeinem Fahrerlager trafen. Der 105-fache Formel-1-GP-Fahrer und Sieger des Großen Preises von Spanien 1975 in einem McLaren sowie Le-Mans-Sieger 1989 im Sauber-Mercedes war sich dann nie zu schade, dem schreibenden Rennfahrer-Lehrling Tipps für den Umgang mit 935 & Co. zu geben. Am meisten gelernt habe ich, wenn wir zusammen im werkseigenen Mercedes-Benz SSK fuhren und uns am großen Steuer abwechselten. Vom Beifahrerplatz aus ließ sich aus nächster Nähe beobachten, wie man das störrische, unsynchronisierte Getriebe am besten bedient, wann man den heulenden Kompressor zuschaltet und wie der weiße Elefant bei einem Quersteher im Regen wieder auf Kurs zu bringen ist – um nach dem Fahrerwechsel dem Meister zu folgen.

Spektakulär, auch mit 50 Prozent

Überhaupt, der SSK: Nur wenige konnten den gewaltigen Kompressor-Mercedes so perfekt bewegen wie Jochen Mass, egal unter welchen Bedingungen und auf welcher Strecke. Gleiches gilt für die Mercedes-Silberpfeile vor allem der 30er-Jahre, allen voran der W 125 von 1937, dessen 646 Kompressor-PS erst im Turbo-Zeitalter übertroffen wurden. Wenn Jochen dieses Biest mal wieder zur Freude der Zuschauer mit wilden Driftwinkeln über den Kurs bei Schloss Dyck oder den Nürburgring trieb und so mancher Verantwortliche bleich wurde, konnte ich diesen damit beruhigen, dass Jochen gerade mal mit 50 Prozent seines Könnens fährt.

Die Silberpfeile der 30er, das wären seine Autos gewesen, damit hätte er vermutlich noch mehr Siege und Podestplätze eingefahren als mit den Rennwagen der 70er und 80er. Allerdings hätte er sich mit den Umständen der Zeit doch schwergetan – Jochen hatte zwar bis ins hohe Alter den Oberkörper eines Eisenbiegers vom Jahrmarkt, er selbst ließ sich allerdings nicht verbiegen. Womit wir bei der anderen Seite von Jochen Mass sind: dem belesenen Intellektuellen.

Tolle Gespräche – nicht nur über Rennsport

Sein Bücherdurst war kaum still bar, er las Biografien von Politikern, lange bevor diese Präsidenten wurden, ließ sich von mir Bücher zur Relativitätstheorie schicken und interessierte sich sehr für Geschichte. Er diskutierte leidenschaftlich gern über Gott und die Welt, parlierte in drei Sprachen und wollte immer den Dingen auf den Grund gehen. Und damit das alles nicht zu trocken wurde, hatte er stets eine Anekdote parat. Nicht alle lassen sich hier erzählen, aber über diese muss ich immer noch lachen: Jochen war mit dem Surtees-F1-Team testen, kam nach ein paar Runden an die Box und erklärte, der Wagen sei kaum fahrbar. Teamchef John Surtees wollte das nicht hören, setzte sich selbst einen Helm auf, ging auf die Strecke, kam zurück und meinte, das Auto läge perfekt. Schon, grinste Jochen und verwies auf die Stoppuhr: "Du warst acht Sekunden langsamer!"

So werde ich Jochen in Erinnerung behalten: Als jemand, bei dem ich mich immer freute, wenn ich ihn irgendwo traf oder wenn er anrief – und mit dem man sich nicht nur über Rennsport unterhalten konnte.