Kleine Brötchen hatten Toto Wolff und Co. bei der Präsentation des Mercedes W15 im Januar dieses Jahres noch gebacken. Die ehemaligen Formel-1-Dominatoren hielten sich bedeckt. Es gab keine vollmundigen Kampfansagen an Primus Red Bull. Da hatte wohl jemand bereits zum Saisonstart eine Vorahnung, wohin die Reise im Jahr 2024 gehen würde.
Und der Auftakt verlief nicht nach Maß. George Russell hatte in Bahrain als Fünfter satte 46,788 Sekunden Rückstand auf Sieger Max Verstappen im Red Bull. Superstar Lewis Hamilton wurde nur Siebter. Der erfolgreichste Fahrer der Formel-1-Geschichte hatte schon vor der Saison für einen Tiefschlag im Team gesorgt. Am 1. Februar schockte der Brite mit seinem veröffentlichten Wechsel zu Ferrari ab 2025 die Welt. Vielleicht hatte der 39-Jährige selbst den Glauben an "sein" Team verloren.

In Kanada war Mercedes erstmals in der Formel-1-Saison 2024 ein Siegkandidat. George Russell holte das erste Podium des Jahres.
Krise bis Kanada
Während Verstappen den Saisonauftakt mit seinem RB20 dominierte, blieb der Mercedes eine Wundertüte. Hamiltons zweitem Platz im China-Sprint als Glanzlicht folgte am selben Tag das Q1-Aus in der Qualifikation für das Rennen. Die Ingenieure tappten im Dunkeln. Diesen Eindruck vermittelte die einstige Siegesmaschine Mercedes seit Einführung der Groundeffect-Autos im Jahr 2022.
Kleineren Fortschritten folgten weiter regelmäßig Rückschläge. Nach einem Drittel der Formel-1-Saison 2024 hatte der WM-Zweite des Vorjahres immer noch kein einziges Podest eingefahren. Doch das erste Mal Licht am Ende des Tunnels sah das Team beim Monaco-Grand-Prix. Der neue Frontflügel am W15 war ein deutlicher Schritt nach vorne. Dort schlug sich das Upgrade noch nicht im Rennergebnis nieder, aber das alte Imperium der Hybrid-Ära hatte Blut geleckt.

Der Erfolg von Lewis Hamilton in Silverstone war eines der Mercedes-Highlights 2024.
Hamilton zurück an der Spitze
Es ging nach Kanada zum neunten Saisonrennen. Und auf einmal war Mercedes schnell. George Russell stellte seinen Silberpfeil auf die Pole-Position, im Rennen kämpfte er lange um den Sieg und holte das erste Podest für das Team aus Brackley. In Österreich gelang dem Engländer dann der erste Erfolg für das Werksteam seit Brasilien 2022. Dort profitierten Russell und Mercedes aber vom Tête-à-Tête zwischen Max Verstappen und McLaren-Pilot Lando Norris.
Eines der Highlights folgte eine Woche später in Silverstone. Russell und Hamilton eroberten die erste Startreihe. Während Russell wegen eines Motorproblems ausschied, geigte Hamilton auf wie zu besten Zeiten und gewann seinen ersten Grand Prix in der Formel 1 seit Saudi-Arabien 2021. Und dieses Mal war es kein Glück. Mercedes war ernsthaft schnell. In Ungarn holte der Rekordsieger das nächste Podium und in Spa gewann er, nachdem ausgerechnet sein Teamkollege wegen eines zu leichten Autos disqualifiziert wurde und den Sieg verlor.

Nach dem Sommerhoch folgte für Mercedes bis Las Vegas wieder eine sieglose Phase.
Zwischenhoch folgt Absturz
Wer jetzt gedacht hatte, Mercedes wäre wieder bei jedem Rennen ein Siegkandidat, sah sich getäuscht. Auf den Sommer-Hype folgte der Herbst-Blues. Der neue Unterboden verwirrte die Ingenieure. Auf dem Papier hätte er mehr Performance bringen sollen, doch die Fahrer waren unzufrieden. Es wurden mehrere Male Vergleichstests mit dem alten Unterboden gefahren. Erst Ende November im kalten Las Vegas trumpften die Silberpfeile wieder auf. Und wie. Russell und Hamilton waren der Konkurrenz deutlich überlegen. Der Doppelsieg wurde mit beeindruckender Pace herausgefahren.
Im Zockerparadies fiel dann der letzte Groschen bei den Ingenieuren. Der W15 funktionierte am besten, wenn es kühl ist. Außerdem mochte es das Auto, wenn die Strecken noch wenig Gummi auf der Ideallinie hatten. Das war vor allem am Anfang des Wochenendes der Fall. Das erklärt auch die vermeintlich vielen Trainingsbestzeiten am Freitag. In Las Vegas half zudem, dass die Strecke abends immer wieder für den Verkehr freigegeben wurde. Jeder neue Session-Tag begann Grip-technisch bei Null.

Die Hinterreifen verschlissen bei hohen Temperaturen zu stark am W15.
Zu kleines Arbeitsfenster
Die Leistungen zeigten, dass Mercedes ein schnelles Auto gebaut hatte. Das ideale Arbeitsfenster zu treffen, fiel den Ingenieuren allerdings schwer. Die Hinterreifen verschlissen bei warmen Bedingungen zu stark. Die Piloten mussten häufiger mit dem Gaspedal das Auto um langsame Kurven drehen, was sich ebenfalls negativ auf die Hinterreifen auswirkte. Das wär nötig, weil die Vorderachse nicht so gut funktionierte wie beim McLaren. Es wäre allerdings zu einfach, nur die Front und das Heck des Rennwagens im Verdacht zu haben.
Zwar baut das Kundenteam McLaren die Vorder- und Hinterachse selbst, doch der MCL38 war insgesamt konstanter und leichter ins Arbeitsfenster zu bringen. Das Auto funktionierte auf allen Strecken gut. Das lag auch an der stabileren Aero-Plattform des Rennwagens, damit konnte der Reifenverschleiß leichter gemanagt werden als beim Werksteam aus Brackley. Am Ende feierte der langjährige Partner von Mercedes den ersten WM-Titel bei den Konstrukteuren seit 1998.
Aerodynamisch war der W15 definitiv kein Flop, wie die vier Erfolge beweisen. Der Blick auf Konkurrent Ferrari macht Mercedes ebenfalls zuversichtlich. Die Italiener konnten ihre Probleme mit dem Reifenverschleiß von 2023 auf 2024 abstellen. Wenn das Ferrari gelungen ist, warum dann nicht Mercedes, fragen sich die Ingenieure im Team? Dann wäre zumindest ein Problem gelöst. Das Team will sich aber auch in anderen Bereichen verbessern, um wieder ganz vorne andocken zu wollen. Die Stärken sollen bleiben, die Schwächen verschwinden.

Andrea Kimi Antonelli (links) ersetzt ab 2025 Lewis Hamilton. George Russell (rechts) steigt zum Team-Leader bei Mercedes auf.
Wolff will wieder WM-Titel
Nach dem letzten Rennen des Jahres gab sich aber Teamchef Toto Wolff erfolgshungrig, was die Ziele für nächstes Jahr angeht. "Wir haben 2025 die gleichen Regeln wie jetzt. Wenn du um Siege kämpfen kannst, dann willst du auch um WM-Titel fahren." Hoffnung könnte auch die gestiegene Zeit im Windkanal machen, da Mercedes gegenüber 2023 von P2 auf Rang vier bei den Konstrukteuren gerutscht ist. Das ist Wolff aber zu einfach. "Mehr Windkanalzeit ist immer hilfreich, aber wenn wir uns McLaren anschauen, dann haben sie einfach bessere Ingenieurs-Arbeit abgeliefert."
Den Erfolg McLarens bewertet der Österreicher positiv, weil das Auto den gleichen Antrieb verwendet wie sein Team. "Das zeigt, dass McLaren die Benchmark in der Formel 1 ist und dass es bei uns nicht um den Motor geht." Somit muss Mercedes den Fokus auf das Chassis legen und der Teamchef schob hinterher. "Unser Ziel ist es natürlich, mit dem Werksteam zu gewinnen."
Erfolge will auch Supertalent Andrea Kimi Antonelli in seinem ersten Formel-1-Jahr einfahren. Der Italiener ersetzt Lewis Hamilton. Wolff trat in Abu Dhabi nochmal auf die Bremse. "George rutscht nach dem Abgang von Lewis in die Leader-Rolle bei uns. Bei Kimi geht es darum, die Erwartungen zu managen." Heißt: Mercedes gibt dem erst 18-Jährigen Zeit, um sich an die Königsklasse zu gewöhnen. Sollte der nächstjährige Silberpfeil auf Anhieb ein Siegerauto sein, dürfte das schnell gehen. Wie einst Hamilton 2007 bei McLaren. Damals eroberte der 22-Jährige die Formel 1 im Sturm.