In Imola kam Mercedes mit einem blauen Auge davon. George Russell erreichte als Vierter das Ziel. Das Team liegt immer noch auf Platz 3 in der WM. Der Schlüssel war ein Raketenstart von Platz 11 auf Rang 6. Russell hatte meistens freie Fahrt. Damit kamen die Reifen auf Temperatur, und der Mercedes konnte seine Normalform zeigen. Es hätte auch ganz anders laufen können, wie das Beispiel Lewis Hamilton zeigt. Der Ex-Champion steckte die ganze Zeit in einem DRS-Zug fest.
Die Reifenprobleme von Mercedes ließen fast vergessen, dass es da noch eine größere Baustelle gibt. Das Bouncing war nicht etwa verschwunden, nur weil kaum einer davon sprach. Es war immer noch da, und sogar schlimmer denn je. Die Ingenieure verraten ihre interne Reihenfolge: "Am meisten hat uns das Bouncing in Imola getroffen. Dann kommen Jeddah, Melbourne und Bahrain." Imola lieferte für Mercedes weitere wichtige Informationen, um das Puzzle auf dem Weg raus aus der Falle richtig zusammenzusetzen.
Da geht es um die Fragen: Wann, wo, wie und warum tritt es auf? Und warum haben es andere weniger stark oder gar nicht? Warum zum Beispiel schaukelt der Ferrari an ähnlichen Stellen, mit einer höheren Amplitude und einer geringeren Frequenz, und warum hört es bei den roten Autos abrupt auf, wenn die Fahrer am Lenkrad drehen oder auf die Bremse steigen?

Fahrer klagen über Schmerzen
Der Lernprozess ist für das erfolgreichste Team der Vergangenheit eine Zerreißprobe. Vierte Plätze sind nicht der Anspruch für einen Rennstall, der acht Mal hintereinander Weltmeister geworden ist. Nicht einmal für George Russell, obwohl der bei Williams bei jedem WM-Punkt einen Luftsprung gemacht hat. Bei Mercedes hat er wenigstens mit regelmäßigen Podiumsplatzierungen gerechnet. "Wir wissen, dass unser Auto mehr kann als es die Resultate ausdrücken. Das Bouncing zwingt uns, es in einem Fenster zu fahren, in dem es sich nicht anfühlt wie ein richtiges Rennauto."
In Imola waren beide Mercedes mit so viel Bodenfreiheit an der Hinterachse unterwegs wie noch nie zuvor. Und trotzdem waren die Fahrer an der Belastungsgrenze. "Bei der Schaukelei tut dir alles weh. Die Hüften, der Rücken, die Brust. Es war das Maximum von dem, was noch erträglich ist. Aber wenn wir noch höher fahren, verlieren wir noch mehr Zeit", klagte Russell. Kollege Hamilton gehen schon die Worte aus. Er fühlt sich an seinen 2009er McLaren erinnert, der mit vergleichbaren Kinderkrankheit behaftet war. Es dauerte ein halbes Jahr, bis McLaren damals die Fehler korrigierte.
So lange will Mercedes nicht warten. Gleichzeitig wissen die Ingenieure, dass es nicht über Nacht gelöst werden kann. Weil laufend neue Erkenntnisse dazukommen, die so nicht erwartet wurden. "Wir dachten, dass es bei Regen weniger schlimm auftritt, weil die Geschwindigkeiten nicht so hoch sind. Tatsächlich war es nicht besser als auf trockener Fahrbahn." Teamchef Toto Wolff schließt daraus: "Es hängt von einer Reihe von Faktoren ab: Abtrieb, Speed, Fahrzeughöhe, aber auch äußeren Einflüssen wie Wind, Bodenwellen, Fahren im Verkehr."

Schuss ins Schwarze zu riskant
Die neuen Aerodynamikkomponenten, die in Imola an die beiden Mercedes geschraubt wurden, waren keine Reaktion auf das Bouncing. "Nur eine generelle Entwicklung, die uns etwas mehr Abtrieb gab." Für die Lösung der Fessel muss etwas her, das durch Daten gestützt und erklärbar ist. "Wir könnten ins Schwarze schießen und hoffen, dass wir treffen", sagt ein Ingenieur. "Selbst wenn wir Glück hätten, wäre das Problem nicht vom Tisch. Weil du es dann immer noch nicht verstanden hast. Beim nächsten Upgrade könnte der Schuss wieder nach hinten losgehen."
Das ist auch der Grund, warum Ferrari mit großen Upgrades zögert. Der WM-Spitzenreiter leidet auch unter Bouncing, auch wenn es die Fahrer keine Rundenzeit kostet. Das kann sich aber schnell ändern, wenn man einen großen Eingriff am Auto vornimmt, ohne zu wissen wie er sich auf das Bouncing auswirkt. "Wir gehen zuerst weitere Schritte, um es zu lindern", bremst Teamchef Mattia Binotto zu großen Tatendrang.
In dem Punkt hält Red Bull eine Trumpfkarte in der Hand. Das Bouncing tritt nur minimal auf, und die Ingenieure haben es offenbar verstanden. Auch das letzte Upgrade in Imola funktionierte wie erwartet. Technikchef Adrian Newey erzählt: "Es ist ein reines Aerodynamikproblem, das mit diesen Autos nie ganz verschwinden wird. Du musst so gut wie möglich damit leben." Der Schlüssel ist laut Newey, die verschiedenen Strömungsstrukturen unter dem Auto so zu managen, dass nirgendwo ein Unterdruck entsteht, der so groß ist, dass er das Auto an der Straße festsaugt.

Vergleichstest in Barcelona
Mercedes hat in seiner Detektivarbeit für die künftigen Rennen einige Versuche vorbereitet, die mehr Licht ins Dunkel bringen sollen. "Wir werden was in Miami probieren, und dann noch einmal in Barcelona." Toto Wolff legt seine Hoffnungen besonders auf Barcelona. "Da sind wir beim Wintertest noch mit unserem Präsentations-Modell gefahren. Das hatte viel weniger Bouncing als die zweite Spezifikation, die wir dann nach Bahrain gebracht haben. Der Datenvergleich zwischen beiden Autos sollte uns eine Spur weiter bringen."
Die Ingenieure warnen davor, Barcelona damit automatisch zum Umkehrpunkt zu erklären: "Erst müssen wir das Problem voll und ganz verstehen, dann es in ein mathematisches Modell gießen, dann beheben. So schmerzhaft das im Moment ist, da müssen wir durch. Es gibt keinen schnelleren Weg raus, zumindest keinen, den wir sehen. Jetzt irgendetwas zu korrigieren, macht keinen Sinn, wenn du nicht weißt, wie das ‚irgendetwas‘ aussehen soll. Wenn du so vorgehst, machst du es schlimmer statt besser."
Man könnte theoretisch das Problem auch im Windkanal nachstellen, doch das wird nach Aussage von Mercedes und Red Bull wohl kaum einer machen. "Es bräuchte ein extrem leichtes Modell und du müsstest das Auto mit zehn mal so hoher Frequenz wackeln lassen, um die Wirklichkeit darzustellen", erklärt Newey.