Zwei Rennen fuhr Mercedes neben der Spur. In Barcelona kehrten die Silberpfeile zu ihrer Form vor Imola zurück. Entscheidender Unterschied: Bis Imola lag Mercedes in der Konstrukteurs-Wertung auf dem zweiten Platz. Jetzt ist der direkte WM-Rivale Ferrari vorbeigezogen. Für die beiden Dinos geht es um den besten Platz hinter den McLaren und Max Verstappen.
Es sind ungleiche Gegner. Der eine kann die schnelle Qualifikationsrunde gut, der andere den Dauerlauf. Könnte man den Mercedes W16 mit dem Ferrari SF-25 kreuzen, käme ein ziemlich gutes Rennauto dabei heraus. Eines, das den McLaren vielleicht ärgern könnte. So aber qualifizierte sich George Russell mit der identischen Zeit wie Verstappen für die zweite Startreihe. Die Ferrari-Piloten standen auf den Plätzen fünf und sieben dahinter.
Im Rennen kehrte sich das Bild um. Charles Leclerc kam vor Russell ins Ziel, obwohl er drei Plätze hinter ihm gestartet war. Das entscheidende Manöver fand schon in der ersten Runde statt. Doch Russell hätte auch so keine Chance gegen den späteren Dritten gehabt. Das zeigt der Vergleich der beiden im weiteren Rennverlauf.

Im Duell mit Leclerc zog Russell klar den Kürzeren.
Russells Fernduell mit Leclerc
Leclerc spielte im Vergleich zu Russell die geringere Reifenabnutzung seines Autos aus. Das erlaubt Ferrari bei der Reifenwahl manchmal Strategien, die sich von allen anderen unterscheiden. Der Ferrari-Pilot hatte sich als einziger Fahrer im Spitzenpulk zwei Sätze Medium und eine Garnitur Soft für das Rennen reserviert. Russell setzte zwei Mal auf Soft und einen Satz Medium.
Nach dem Platzverlust in der ersten Runde gingen die Mercedes-Strategen auf einen Overcut, um später im Rennen flexibler zu sein. Leclerc kam drei Runden vor Russell an die Box und hatte zu dem Zeitpunkt schon 6,3 Sekunden Vorsprung. Nach dem ersten Boxenstopp war der Abstand auf 9,4 Sekunden gewachsen.
Im zweiten Turn waren beide auf Medium-Reifen unterwegs. Und die Lücke ging weiter auf, wenn auch nicht mehr so krass wie im ersten Stint. Als Leclerc zum zweiten Mal in die Boxen abbog, um sich einen Satz Mediums zu holen, hatte er 11,9 Sekunden Luft auf den Mercedes mit der Startnummer 63. Russell wechselte nur eine Runde später auf Soft-Reifen. Der Abstand zu Leclerc war mit 12,8 Sekunden schon zu groß, um ihn zu schließen.

Durch den Ausfall von Antonelli ist Mercedes in der WM-Wertung hinter Ferrari zurückgefallen.
Wolff nicht zufrieden mit Resultat
Wenigstens schaffte es der Engländer an seinem Ex-Teamkollegen vorbei. Ferrari reagierte nicht auf Russells Boxenstopp und hielt Lewis Hamilton fünf Runden länger auf der Bahn. Der Mercedes-Kommandostand konnte sich das nur so erklären: "Ferrari hatte wohl Angst, dass die Restdistanz von 25 Runden für den Soft-Reifen zu lang ist und hat deshalb mit Lewis gewartet. Bei Leclerc waren sie mit dem Medium-Reifen auf der sicheren Seite."
Mercedes machte sich keine Sorgen, obwohl ihr Auto in Bezug auf das Reifenmanagement kritischer ist als der Ferrari. "Wir sind am Freitag mit Bedacht auf dem Soft-Reifen einen sehr langen Longrun gefahren und wussten deshalb, was die C3-Mischung kann. Ferrari legte bei der gleichen Distanz einen Boxenhalt ein. Ihr Bild vom Reifen war möglicherweise nicht komplett", erklärten die Strategen im Mercedes-Lager.
Teamchef Toto Wolff kommentierte den final vierten Platz von Russell mit gemischten Gefühlen. "Die Runde in der Qualifikation war gut. Dahaben wir zurück zu unserer alten Form gefunden. Doch mit dem Rennresultat können wir nicht zufrieden sein. Der vierte Platz wurde uns durch die Strafe von Verstappen auch noch geschenkt."

Die Ingenieure haben noch keine Antwort auf die Frage, warum die Reifen über die Distanz so schnell eingehen.
Keine Lösung für Verschleiß-Problem
Seit 2022 treibt Mercedes das gleiche Problem um. Die Reifen werden zu heiß, speziell wenn noch viel Gummi auf der Lauffläche ist. Es hat sich in diesem Jahr gebessert, doch eine volle Kontrolle darüber haben die Ingenieure immer noch nicht. In Barcelona überhitzten die Reifen auf der linken Seite, vorne wie hinten. Der Reifen fällt erst wieder ins Fenster zurück, wenn genug Gummi abgeschrubbt ist.
Im Vergleich zu den Ausreißern in Jeddah und Imola war Barcelona sogar ein kleiner Fortschritt. Keine andere Strecke stresst die Reifen in diesem Ausmaß, dazu noch bei Asphalttemperaturen von 50 Grad. Die Ingenieure fahnden weiter fieberhaft nach der Lösung.
Zunächst stand die neue Hinterachse im Verdacht, die in Imola debütierte. Doch die wurde für Monte-Carlo und Barcelona wieder ausgebaut. Wolff vermutet: "Es sieht so aus, als wäre dieses Problem dem Auto angeboren."