Die Fans der WEC schwärmen aktuell von einer goldenen Ära. In der Top-Klasse, mit den sogenannten Hypercars, haben sich viele große Hersteller versammelt. Toyota, Ferrari, Porsche, BMW, Cadillac, Peugeot, Alpine und Aston Martin sind schon dabei. Und für die nächsten Jahre haben auch noch McLaren, Hyundai und Ford ihren Einstieg angekündigt. Gelockt von relativ niedrigen Entwicklungskosten und der Chance auf einen marketingwirksamen Le-Mans-Sieg, ist ein wahrer Boom ausgebrochen.
Nur eine große Marke mit ruhmreicher Motorsportvergangenheit sucht man vergeblich. Mercedes hat der Langstrecken-WM bisher die kalte Schulter gezeigt. Die Skepsis hat allerdings auch historische Gründe, wie Toto Wolff, der Motorsport-Boss der Marke, im Bloomberg-Podcast erklärt: "Mercedes hat an Le Mans nicht die glücklichsten Erinnerungen. Nach dem schlimmen Unfall 1955 sind wir erstmal ausgestiegen. Bei unserem Comeback Ende der 90er sind dann einige unserer Prototypen abgehoben und fliegen gegangen."
Trotzdem blickt man auch bei Mercedes mit Interesse über den Tellerrand auf das Sportwagen-Geschehen. "Ich bin ein Racer. Und Le Mans ist eines der größten Rennen der Welt. Natürlich bin ich etwas befangen. Für mich steht die Formel 1 immer noch an der Spitze. Da fahren die besten Fahrer, mit den schnellsten Autos auf den tollsten Rennstrecken. Und danach kommt lange nichts."

Laut Toto Wolff gibt es aktuell keine Pläne bei Mercedes, ein Auto für die Top-Klasse in Le Mans zu bauen.
Konzentration auf die Formel 1
Das heißt aber nicht, dass man die Langstrecke absichtlich ignoriert: "Nach der Formel 1 stehen in meiner Top-Liste die 24h von Le Mans, das Indy 500 und das 24-Stunden-Rennen auf der Nordschleife. Wenn nicht parallel ein Formel-1-Wochenende ist, dann kann ich mir ein Le-Mans-Rennen auch mal die ganze Nacht lang ansehen. Ich schaue die Live-Übertragung und verfolge, was einzelne Fahrer machen. Da habe ich ein persönliches Interesse", verrät Wolff.
Mercedes war mit dem eigenen Kundenprogramm dieses Jahr immerhin in der GT3-Klasse dabei. Bei den Prototypen überlässt man der Konkurrenz aber freiwillig das Feld: "Wir wollen uns heute auf die größte Motorsport-Plattform konzentrieren. Das ist die Formel 1. Das wollen wir richtig machen. Hier schauen 99 Prozent der Zuschauer zu. Alles andere spielt dahinter nur die zweite Geige."

Der Grafik-Designer Sean Bull hat schon mal ein Le-Mans-Hypercar auf Basis des AMG One gezeichnet.
Budget-Cap statt BOP
Wolff nennt aber auch einen konkreten Grund, warum der Gesamtsieg in Le Mans bisher keinen Platz auf der Agenda der Mercedes-Bosse hatte: "Ola Källenius und ich, wir sind richtige Racer. Wir mögen die Balance of Performance (BOP) einfach nicht. Wir wollen nicht, dass jemand Anpassungen je nach Leistung, Energieverbrauch, Gewicht oder Fahrerqualität vornimmt. Man investiert so viel Zeit, Geld und Mühe, um das schnellste Auto zu entwickeln. Und dann kommt jemand und lädt Dir einfach zehn Kilogramm Ballast ein. Ich will aber einfach nur das schnellste Auto bauen."
Laut Wolff solle sich die WEC ein Vorbild an der Formel 1 nehmen, die ebenfalls in den vergangenen Jahren einen Boom mit vielen gesunden Teams erlebt hat: "Gebt uns einfach einen Kosten-Deckel! Sagt einfach, dass man nicht mehr als die Summe X ausgeben darf! Wo immer die auch liegt, 30 oder 40 Millionen. Und mit diesem Geld darf man dann machen, was man will."
Nach Ansicht von Wolff würde sich dadurch auch das Racing verbessern: "Dann muss niemand mehr in den frühen Rennen oder in den Qualifyings bluffen. Sondern es geht direkt in den Krieg. Offenes Visier. Pures Racing. Wenn so etwas in Le Mans kommt, würden wir uns das auf jeden Fall anschauen. Aber in der aktuellen Situation mit der BOP, wo einige Offizielle entscheiden, ob Du zu schnell bist und dann die Ballast-Gewichte hin und her schieben, das ist aktuell nichts für uns."