Für Mercedes lief die Groundeffect-Ära bisher nicht nach Plan. Mit Einführung des aktuellen Reglements im Jahr 2022 endete die große Erfolgsserie nach acht Konstrukteurspokalen in Serie. Drei Jahre lang suchte das Werksteam zuletzt vergeblich den Weg zurück auf die Erfolgsstraße. Zwar gelangen George Russell und Lewis Hamilton in der Vorsaison immerhin vier Siege. In der Teamwertung musste man sich aber McLaren, Ferrari und Red Bull relativ deutlich geschlagen geben.
Mit dem neuen AMG W16 will man endlich wieder ganz vorne angreifen. Das Auto trägt einige aggressive Änderungen – zum Beispiel an den Seitenkästen mit den ultraschmalen Lufteinlässen. An der Vorderradaufhängung wurde die Spurstange hinter den Querlenker gesetzt, wie es bei McLaren im Vorjahr der Fall war. Dazu testeten die Ingenieure in Bahrain gleich zwei neue Nasen, die abwechselnd zum Einsatz kamen. Das Team machte allerdings ein Geheimnis daraus, wie sich die beiden Varianten auf das Fahrverhalten auswirken und welche Nase in Melbourne zum Einsatz kommen soll.

Mercedes drehte beim Test in Bahrain von allen Teams die meisten Runden.
Technik ausgereift
Generell zogen die Techniker nach den drei Testtagen ein positives Fazit. Gar keine Bauchschmerzen gibt es beim Thema Zuverlässigkeit. Der neue W16 rollte wie ein Uhrwerk um den Wüstenkurs. Nur in der letzten Vormittagssession leistete sich der Silberpfeil einen kleinen Schluckauf. Wegen eines Batteriewechsels ging eine knappe Stunde in der Box verloren. Hinterher stellte sich heraus, dass der Tausch gar nicht notwendig gewesen wäre. Ein kleiner Elektrik-Gremlin hatte zu einer Fehlermeldung geführt.
Ansonsten zogen die Ingenieure das geplante Programm fast komplett durch. Weil Mercedes dieses Jahr auf den üblichen Shakedown in Silverstone verzichtete, konnte man vorher nicht unbedingt erwarten, dass sich der W16 am Ende mit 458 Runden sogar die Wochenbestmarke in der Distanzwertung sicherte – knapp vor Haas (457) und Toro Rosso (456).
Auch beim Thema Performance wurden die Erwartungen grundsätzlich erfüllt. Die Daten, die auf der Strecke gesammelt wurden, entsprachen den zuvor in den Simulationen berechneten Werten. Das Feedback der beiden Fahrer fiel entsprechend positiv aus. Außerdem äußerten sich die Ingenieure verhalten optimistisch, dass der neue W16 nicht mehr die großen Formschwankungen seines Vorgängers zeigt, der je nach Bedingungen mal alle Gegner in Grund und Boden fuhr und dann wieder hoffnungslos hinterherhinkte.

Mercedes testete in Bahrain zwei verschiedene Nasen. Auf Nachfragen zu dem Vergleich gab es keine Infos.
Noch keine Entwarnung
"Das Team hat über den Winter hart daran gearbeitet, die Schwächen des W15 zu verbessern. Nach den ersten Anzeichen zu urteilen, scheinen wir in diesen Bereichen gute Fortschritte gemacht zu haben", stellte Chefingenieur Andrew Shovlin zufrieden fest. In Bahrain konnten die Fahrer keine großen Ausreißer nach oben oder unten erkennen. Das Arbeitsfenster scheint größer geworden zu sein, das Fahrverhalten etwas stabiler. Allerdings lagen die Temperaturschwankungen an den drei Bahrain-Tagen eher im moderaten Bereich. So kalt wie letztes Jahr in Las Vegas oder so heiß wie in Budapest war es nie. Für eine Entwarnung ist es also noch zu früh.
Doch auch wenn die internen Performance-Ziele erreicht wurden, heißt das noch nicht automatisch, dass der neue Silberpfeil wieder ein WM-Kandidat ist. Die Formel 1 ist ein relatives Geschäft. Wenn die anderen noch besser entwickeln, nützt der eigene Fortschritt nicht viel. In diesem Fall scheint McLaren der direkten Konkurrenz ordentlich enteilt zu sein. Mit Schrecken stellten die Mercedes-Ingenieure fest, dass der Rückstand auf den Longruns zwischen einer halben und einer ganzen Sekunde lag.
Im direkten Vergleich der Rennsimulationen wäre George Russell 20 Sekunden hinter Oscar Piastri ins Ziel gekommen, der am Finaltag parallel unterwegs war. Andrea Kimi Antonelli teilte sich bei seinem Testrennen am zweiten Tag die Strecke mit Lando Norris. Hier fehlte am Ende eine halbe Minute. Das sind Welten in der Formel 1, die sich nicht so einfach aufholen lassen.

Die McLaren sah George Russell in Bahrain nur von Weitem. Mercedes hofft, dass der Rückstand in Melbourne nicht ganz so groß ausfällt.
Mercedes im Verfolger-Dreikampf
Da ist es nur ein schwacher Trost, dass Mercedes im Verfolgerfeld auf einem Level mit Ferrari und Red Bull mitschwimmen konnte. Alle drei Teams hoffen, dass die wechselhaften und teils sehr windigen Bedingungen in Bahrain nicht repräsentativ waren und sich der Rückstand automatisch etwas reduziert.
Bei Ferrari führte man zudem als Entschuldigung an, dass der SF-25 wegen der vielen Sensoren ordentlich Übergewicht herumschleppte. Bei Red Bull passte das Setup noch nicht. Außerdem verzichtete Max Verstappen auf eine vergleichbare Rennsimulation. Hier gibt es also noch etwas Luft nach oben.
Auch Mercedes zeigte sich bei seinen Longruns noch nicht perfekt aussortiert. Das Ziel der Ingenieure lag bei den Testfahrten nicht darin, das Auto optimal an die Strecke von Bahrain anzupassen, sondern mit Blick auf den Rest der Saison so viele Abstimmungen wie möglich auszuprobieren. Um Erfahrungswerte zu sammeln, ging man auch in extreme Setup-Richtungen, was nicht immer zu einem positiven Ergebnis führte. Die Frage lautet, wie nah McLaren schon an der idealen Performance lag. Die Verfolger sollten nicht davon ausgehen, dass der Papaya-Renner seine Bestform bereits erreicht hat.