Bei den ersten neun Rennen trug der Sieger sieben Mal einen Papaya-Overall. Der Titel im Konstrukteurspokal ist McLaren praktisch nicht mehr zu nehmen. Und auch in der Fahrerwertung haben sich Oscar Piastri und Lando Norris zuletzt deutlich von den Verfolgern absetzen können. Alles scheint auf ein teaminternes Duell um den Titel hinauszulaufen.
Vor dem Rennen in Montreal liegen die beiden Teamkollegen an der Spitze des Klassements nur zehn WM-Punkte voneinaner getrennt. In Monaco hatte Norris die Nase vorne, in Barcelona konnte Piastri kontern. Experten erwarten, dass dieses Pingpong-Spiel bis zum Ende des Jahres weitergehen wird. Überraschenderweise hat sich diese Ausgangslage aber noch nicht negativ auf das Verhältnis der Piloten ausgewirkt.
"Wir arbeiten als Teamkollegen gut zusammen und helfen dem Team weiter", erklärte Norris in Montreal. "Da gab es in der Vergangenheit schon Beispiele, wo es nicht so gut lief und es dann mit dem Team abwärtsging. Ich bin eigentlich immer gut mit meinen Teamkollegen ausgekommen. Das ist einfach meine Art. Natürlich versuche ich alle zu schlagen, was meinen Teamkollegen einbezieht, aber das bedeutet ja nicht, dass wir gemeinsam auch mal über einen guten Witz lachen können."
Zwei starke Fahrer im stärksten Auto - da ist Streit eigentlich vorprogrammiert.
McLaren vorbereitet auf Streit
Teamchef Andrea Stella hatte zuletzt keine größeren Probleme, die Harmonie im Rennstall zu wahren. Allerdings betonte der Italiener auch, dass man immer mit einer Eskalation rechnen müsse. Die Situation könnte sich zum Ende der Saison zuspitzen, wenn die WM-Entscheidung näher rückt.
Auch Norris weiß, dass es mit dem Frieden schnell vorbei sein kann: "Wir haben immer offen gesagt, dass irgendwann etwas passieren wird. Dafür müssen wir bereit sein. Oscar und ich sind sehr ehrgeizig und wollen uns natürlich schlagen. Es kann gut sein, dass sich in unserem Verhältnis etwas ändert. Es wird wohl noch einige schwere Situationen geben. Keine Ahnung, ob es dieses Jahr passiert, oder erst nächstes oder übernächstes Jahr."
Piastri will ebenfalls nicht ausschließen, dass es mal etwas hitziger zur Sache gehen könnte: "Natürlich sind wir uns bewusst, dass das, was dieses Jahr in der Meisterschaft passiert, größere Auswirkungen haben kann. Es könnte unsere ganzen Rennkarrieren beeinflussen. Es ist auch klar, dass wir uns gegenseitig schlagen und den Titel gewinnen wollen."
Norris hat sich bisher immer gut mit seinen Teamkollegen verstanden.
Verhältnis noch unverändert
Eine psychische Belastung sieht der Australier durch die neue Situation aber noch nicht: "Ich versuche da nicht groß drüber nachzudenken. Ich befinde mich noch am Anfang meiner Karriere. Natürlich ist es eine gute Chance, aber es heißt nicht ‚jetzt oder nie‘. Im Gegenteil: Ich versuche, die Situation eher zu genießen. Es macht doch Spaß, wenn man in der Lage ist, um Siege und Titel zu kämpfen. Einen besonderen Druck spüre ich nicht."
Auch Norris spürt aktuell noch nicht, dass sich die heikle Ausgangslage negativ auf das interne Verhältnis auswirkt: "Aus meiner Sicht hat sich nicht viel verändert. Vielleicht sieht Oscar das anders. Wir kommen einfach an die Strecke und fahren so schnell wie wir können. Alle Daten liegen offen. Aktuell gibt es keinen Grund, warum es irgendwie komplizierter ist, als es sein muss."
Vielleicht kommt es ja schon in Montreal zum erwarteten Crash. Die Highspeed-Strecke mit den hohen Randsteinen, den engen Schikanen und den dich stehenden Mauern ist immer für Action gut. Im Vorjahr hatte hier Norris die Oberhand. Der Brite musste sich nur Weltmeister Max Verstappen geschlagen geben. Piastri landete lediglich auf dem fünften Platz.
Zehn Punkte trennen die beiden McLaren-Piloten vor dem GP Kanada.
Ständiger Lernprozess
In dieser Saison kommt Norris aber nicht so gut mit seinem McLaren zurecht. Beim Einlenken fehlt das Gefühl auf der Vorderachse. "Wir sind schon vor Monaco ein paar Dinge angegangen, die mir helfen. Da bin ich sicher auf dem richtigen Weg. Ich fühle mich jetzt schon wohler. Aber ich bin noch nicht da, wo ich hinwill. Es ist noch nicht perfekt. Ich versuche immer noch herauszufinden, wie ich alles aus dem Auto rausholen kann."
Auch bei Piastri ist der Lernprozess längst noch nicht abgeschlossen, wie er selbst zugab: "Ich habe in den letzten Monaten an vielen Dingen gearbeitet. Es ist fast schon etwas ironisch, dass die schlechten Rennen vom Vorjahr diese Saison am besten für mich gelaufen sind, und die guten Rennen vom letzten Jahr jetzt nicht so toll liefen. Wir hatten nach Monaco einige Bereiche identifiziert, wo es noch Luft nach oben gab. Das haben wir dann für Barcelona korrigiert. Am Ende war es wohl unser stärkstes Wochenende des ganzen Jahres."
