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Ferrari-Teamchef Mattia Binotto im Interview
„Acht Siege waren möglich“

Ferrari-Teamchef Mattia Binotto blickt auf die erste Saisonhälfte zurück, erklärt warum die Bilanz besser hätte ausfallen können, warum Ferrari jetzt für eine aggressive Motorentwicklung bezahlt und wie komplex es ist im Kostendeckel effizient zu arbeiten.

Mattia Binotto - Ferrari - Formel 1 - 2022
Foto: Motorsport Images

Ist es beim Rückblick auf die erste Saisonhälfte richtig zu sagen: Ferrari hat das bessere Auto, aber Red Bull ist effizienter?

Binotto: Ich sehe das anders. Die Autos sind praktisch gleich schnell. Wir liegen innerhalb eines Zehntels. Da kann man nicht sagen, dass ein Auto besser ist als das andere. Es gibt Strecken, die uns etwas besser liegen und solche, auf denen Red Bull die Nase vorne hat. Am Ende entscheiden die Setups, die äußeren Bedingungen und die Tagesform der Fahrer. Das gilt auch für die Effizienz der Autos. Am Anfang der Saison war Red Bull da besser. Sie hatten einen Heckflügel, der bei aktiviertem DRS effizienter war. Das Defizit haben wir mit einem neuen Flügel abgebaut. Die Ausgeglichenheit ist eine gute Sache, weil die Autos so unterschiedlich sind. Und trotzdem kommen wir zum gleichen Ziel.

Unsere Highlights

Mit Effizienz waren eher die Resultate gemeint.

Binotto: Von 13 Rennen haben wir nur vier gewonnen. Da ist Red Bull in der Tat effizienter. Wir hätten aber ohne unsere Probleme acht Mal gewinnen können. Die Bilanz wäre also genau andersherum ausgefallen. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich in der Mitte. Ja, auch Red Bull hatte Probleme mit der Zuverlässigkeit. Aber sie lagen nie in Führung, wenn sie ausgefallen sind. Bei uns war es immer umgekehrt. In Spanien, in Aserbaidschan und in Frankreich. Bei der Standfestigkeit bezahlen wir den Preis für den großen Entwicklungssprung, den wir gemacht haben. An unserem Motor ist viel mehr neu als bei unserem Gegner. Wir mussten einen großen Rückstand aufholen.

Die Probleme mit der Antriebseinheit sind also auf die aggressive Entwicklung zurückzuführen?

Binotto: Wir bezahlen definitiv den Preis dafür. Es war uns klar, dass wir ans Limit gehen mussten. Wir konnten ja unseren Rückstand nicht mit in eine Ära nehmen, in der die Motorentwicklung eingefroren ist. Die Ziele, die wir uns gesetzt haben, waren sehr ambitioniert. Ich habe in meinen 27 Jahren bei Ferrari noch nie einen solchen Sprung vorwärts erlebt. Das war eine außergewöhnliche Leistung, speziell in einer Zeit, in der die Prüfstandsstunden limitiert sind. Und gerade dafür haben wir in Bezug auf die Zuverlässigkeit bezahlt. In normalen Jahren hätten wir die die Prüfstandszeit hochgefahren und hätten parallele Programme für die Leistung und die Zuverlässigkeit gestartet. Diesmal hatten wir die Wahl. Wenn ich jetzt die Stunden zähle, die wir in den neuen Motor investiert haben und sie mit dem vergleiche, was Honda in seine Antriebseinheit gesteckt hat, dann haben wir da sicher einen Nachteil. Honda hatte die Erfahrung, weil sie auf einem bestehenden Motor aufgebaut haben. Wir machen sie gerade. Auf der Strecke und am Prüfstand. Das Ziel lautet, die Probleme so schnell wie möglich abzustellen.

Mattia Binotto - Ferrari - Formel 1 - 2022
Motorsport Images
Die Autos von Red Bull und Ferrari sind grundverschiedenen. Die Pace ist aber fast identisch.

Ferrari hat schon ein Mal mit Modifikationen auf Probleme mit der Standfestigkeit reagiert. Werden Sie es noch einmal tun müssen? Und wann werden diese Änderungen implementiert?

Binotto: Wir haben unsere Probleme aus den Prüfstandsläufen im Winter bis zum ersten Rennen behoben. Die PU2 und PU3 wurden nach Auftreten neuer Probleme angepasst, und ja wir werden noch einmal nachbessern müssen.

Sie haben aber noch ihr Hybrid-Upgrade als Joker in der Tasche?

Binotto: Wir arbeiten daran, um es in der zweiten Saisonhälfte einzusetzen. Sie nennen es einen Joker. Ich spreche lieber von einer Chance.

Lewis Hamilton wurde letztes Jahr mit sechs Motoren fast Weltmeister. Lässt Sie das hoffen?

Binotto: Es ist ja nicht nur so, dass Lewis fast den Titel geholt hätte. Mercedes ist trotz eines hohen Motordurchlaufs Konstrukteurs-Weltmeister geworden. Das zeigt: Zuverlässigkeit ist wichtig, aber nicht alles. Es kann ein Schlüssel sein, wenn der Kampf so eng ist wie zwischen Red Bull und uns. Das Beispiel Mercedes zeigt aber eben auch: Man kann mit mehreren Motorstrafen erfolgreich sein, muss dann aber auch sicherstellen, dass die Motoren im Rennen halten. Da haben wir noch eine Schwachstelle.

Wie kann es sein, dass zwei so unterschiedliche Autos ähnlich schnell sind. Die Logik sagt, dass Red Bull und Ferrari etwas gefunden haben, das die anderen noch suchen?

Binotto: Da muss etwas an den beiden Autos sein, das anders aussieht, aber ähnlich funktioniert. Der erste Punkt ist der Unterboden. Es ist das dominante Teil für die Rundenzeit der Autos. Man sieht es den Böden von außen schwer an, was sie können. Vielleicht haben wir da in Bezug auf das Konzept, das Design und die Charakteristik etwas ähnlich gemacht. Ein zweiter Punkt ist die Fahrdynamik. Wir bringen beide offenbar die Reifen zum Arbeiten. Drittens sind da noch die Motoren. Ich glaube, dass wir auch da sehr gleichwertig sind. Was heraussticht, sind die äußeren Formen der Autos. Die sind aber für die Rundenzeit nicht so wichtig.

Charles Leclerc - Formel 1 - GP Frankreich 2022
xpb
Ferrari holte aus guten Startpositionen zu selten gute Ergebnisse.

Ferrari fehlte letztes Jahr zur Spitze auf eine Runde acht, im Rennspeed sechs Zehntel. Wie war es möglich, den Rückstand in nur einem Winter aufzuholen?

Binotto: Wir haben die Lücke nicht in einem Winter geschlossen. Es gibt kein Wundermittel in der Formel 1. Die Aufholjagd hat sich über mehrere Saisons gezogen. Angefangen hat die Reise schon 2017. Seitdem haben wir versucht uns in allen Bereichen zu verbessern. Die Organisation, Kultur, Werkzeuge, Abläufe, Expertise. Für uns war der Neustart der Formel 1 in diesem Jahr eine Chance. Um wieder ein Siegerteam zu werden, braucht es Zeit. Wir hatten den Rückschlag 2020. Das Projekt hat von Anfang an nicht gestimmt. Dann wurde wegen Corona viel eingefroren. Uns waren gewissermaßen die Hände gebunden. Stellen Sie sich vor, in dieser Saison hätte es keine Weiterentwicklung gegeben. Dann hätte Mercedes seine Probleme durch die ganze Saison geschleppt. 2020 hat nicht das widergespiegelt, was Ferrari kann. Und 2021 war es schwer alles auf den Kopf zu stellen, weil der Großteil des Autos gleichbleiben musste. Es waren trotzdem zwei wichtige Saisons. Sie haben uns gezwungen auf unsere Schwächen zu schauen und diese abzustellen. Es war ein Wendepunkt für uns.

Können Sie Ihren Werkzeugen wie Windkanal und Simulator nun trauen?

Binotto: Das war einer der Schlüssel für die besseren Leistungen. Die Korrelation zwischen Windkanal und Rennstrecke oder Simulator zur Rennstrecke zählte nicht zu unseren stärksten Disziplinen. Wir haben große Anstrengungen in neue Arbeitsmethodiken, Werkzeuge und das Verständnis gesteckt, was das Auto auf der Strecke macht. Gerade mit völlig neuen Autos, die erst verstanden werden mussten, war die Korrelation ein wichtiger Punkt. Wir haben schon bei den Wintertests und dem ersten Rennen gemerkt, dass wir uns da deutlich gesteigert hatten. Umso zufriedenstellender war es, dass sich der Einsatz gelohnt hat.

Diese Autos waren für alle die große Unbekannte. Ist es da besonders wichtig, dass man den Simulationen trauen kann?

Binotto: Es war der ideale Moment würde ich sagen. Diese Autos sind ein Neuanfang. Viele Dinge sind völlig anders und neu. Wir sind froh, dass wir einen guten Start in diese Ära hatten. Und es setzt sich fort. Jedes Upgrade hat bis jetzt so funktioniert, wie es unsere Simulationswerkzeuge prophezeit haben.

Mattia Binotto - Ferrari - Formel 1 - 2022
Motorsport Images
Binotto lobt Leclerc für seine schnelle Anpassungsfähigkeit. Sainz tat sich dieses Jahr schwerer.

Auch für die Fahrer sind diese Autos neu. In vielen Teams kam oder kommt immer noch ein Fahrer damit deutlich besser zurecht als der andere. Auch bei Ferrari. Warum ist das so?

Binotto: Charles hatte von Anfang an das Vertrauen in die Fahrzeugcharakteristik und das Setup. Ich glaube aber auch, dass er sich gesteigert hat. Er fährt heute effizienter als noch beim ersten Rennen in Bahrain. Carlos hatte mehr Schwierigkeiten. Er braucht mehr Zeit sich anzupassen. Das war schon im letzten Jahr so und entspricht seinem Naturell. Er ist er guter Lerner und ein starker Fahrer. Er hat vorsichtiger angefangen als Charles, aber er hat die Fähigkeit zu analysieren und zu verstehen und sich so Schritt für Schritt an das Limit heranzuarbeiten. Er hat sich schon deutlich verbessert. Das ist wichtig für uns, weil wir ja auch um die Konstrukteurs-WM fahren.

Wir befinden uns im zweiten Jahr der Budgetdeckelung. Hat sich Ferrari als eines drei großen Teams schon zu hundert Prozent adaptiert?

Binotto: Das ist zu früh. Es ist ein Prozess, der Zeit braucht. Es ist ja nicht damit getan, dass am Ende der Saison eine Summe dasteht, die unter dem Kostenlimit liegt. Anpassen heißt für mich, dass du das meiste aus dem Geld herausholst, das dir zur Verfügung steht. Das verlangt teilweise eine totale Transformation unserer Prozesse und unserer Arbeitskultur. Da sind bestimmt immer noch Dinge dabei, die wir abstellen müssen, um in Zukunft effizienter zu sein. Wir tun das Nötige, um im Limit zu bleiben. Morgen müssen wir es schaffen, das Beste aus dem vorhandenen Geld zu machen.

Sind die Buchhalter jetzt wenigstens happy? Mit dem Budgetdeckel bleibt mehr Geld in der Firma hängen.

Binotto: Ich glaube keiner der drei Motorenhersteller ist schon so weit, dass er Geld mit der Formel 1 verdient. Wenn ich mir das Gesamtbudget anschaue, dann geben wir immer noch sehr viel Geld, ja zu viel Geld aus. Als Kundenteam kann man jetzt schon Geld verdienen. Die Ausgaben im Chassisbereich sind beschränkt und für den Motor zahlt man 15 Millionen Euro. Uns kostet der Motor ein gutes Stück mehr als nur 15 Millionen. Unsere Bilanz ist besser als zuvor, aber immer noch nicht positiv. In der Zukunft wird der Budgetdeckel für die Motorenhersteller sicher helfen. Die Budgetdeckelung wurde nicht nur eingeführt, damit die Teams verdienen. Sie sollte eine Eskalation der Kosten verhindern. Wenn ich vergleiche, was wir vor zehn Jahren ausgegeben haben, dann wären ohne ein Regulativ die Kosten exponentiell gestiegen. Es wäre eine Schlacht darum geworden, wer das meiste Geld ausgibt. Das Finanzreglement ist noch sehr jung. Es verlangt Anpassungen.

Mattia Binotto - Ferrari - Formel 1 - 2022
Motorsport Images
Bei Ferrari müssen die Strukturen in der Fabrik noch an den Budget-Deckel angepasst werden.

In diesem Jahr haben wir bereits mehrere Regeländerungen erlebt. Das Gewichtslimit wurde angehoben, ein Inflationszuschlag wurde gewährt und nun gibt es für 2022 auch noch neue Unterboden-Regeln. Zum Nachteil einiger Teams. Was sagen Sie dazu?

Binotto: Beim Gewicht und bei der Anpassungen des Budgetdeckels haben wir die festgeschriebenen Abstimmungsprozesse eingehalten. In beiden Fällen wurden die Regeln mit der erforderlichen großen Mehrheit abgesegnet. Bei den Aerodynamikregeln wollten sie diesen Prozess, soweit ich es heute beurteilen kann, unter dem Vorwand der Sicherheit aushebeln. Das ist nicht korrekt. Es gibt keine Sicherheitsprobleme mit dem Unterboden. Das haben die letzten Rennen gezeigt. Es ist gegenüber den Teams unverantwortlich, so spät in der Saison mit neuen Regeln um die Ecke zu biegen, für die es keinen zwingenden Grund gibt.

Seit zwei Jahren wird über die Motorenregeln diskutiert. Die etablierten Motorhersteller bringen immer neue Forderungen ein, die den beiden Einsteigern Porsche und Audi das Leben schwer machen sollen. Haben Sie trotz zehn Jahren Erfahrungsvorsprung so viel Angst vor den Neulingen?

Binotto: Wir haben keine Angst. Aber Ferrari ist von Anfang an dabei. Ich glaube wir wissen, was gut für die Zukunft der Formel 1 ist. Unsere Stimme ist eine wichtige Stimme. Die Neulinge sind willkommen, aber sie dürfen nicht relevanter als Ferrari sein. Warum dauert es so lang? Weil wir über die Zukunft unseres Geschäfts verhandeln. Es geht um den Antrieb zwischen 2026 und 2030. Wir müssen dabei auch Rücksicht nehmen, wo die Autoindustrie hinsteuert. Es ist richtig, sich Zeit zu nehmen, um zum besten Ergebnis oder sagen wir zum besten Kompromiss zu kommen. Denn am Ende wird es immer ein Kompromiss sein. Es gab einen Rahmenvertrag, über den im Weltrat bereits abgestimmt wurde. Dieser Rahmenvertrag musste danach in ein Reglement gegossen werden. In der Zwischenzeit gab es einen Wechsel im Amt des Präsidenten der FIA, was auch noch einmal Zeit gekostet hat. Es wäre niemandem gedient, wenn wir übereilt die falschen Entscheidungen getroffen hätten.

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