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Formel 1: Lotus F1-Historie
Das Erbe von Colin Chapman

Nach 16 Jahren Pause kehrt Lotus in Bahrain wieder in die Formel 1 zurück. Dabei muss das reanimierte Team in die großen Fußstapfen von Colin Chapman treten. Wir blicken noch einmal zurück auf die erfolgreiche Vergangenheit des britischen Traditionsrennstalls.

Lotus F1
Foto: xpb

Als Anthony Colin Bruce Chapman am 1. Januar 1952 den Rennstall Lotus gründete, ahnte er nicht, wie sein Kind 43 Jahre später enden würde. Chapman selbst erfuhr es nie. Er war schon 1982 an einem Herzinfarkt gestorben.

Das Ende hat ein Datum. Am 17. Januar 1995 um 10 Uhr vormittags versammelten sich die verbliebenen Angestellten von Lotus in Ketteringham Hall, dem Hauptquartier des Rennstalls. David Hunt, Bruder von Exweltmeister James Hunt und für drei Monate letzter Geschäftsführer von Lotus, eröffnete der Trauergemeinschaft, dass Lotus aufgehört habe zu leben. Zum ersten Mal seit dem Formel 1-Debüt der englischen Traditionsmarke 1958 sollte eine Grand Prix-Saison ohne Lotus ins Land gehen. David Hunt: "Wir versuchen, einen Weg zu finden, Lotus bis 1996 zu reanimieren." Doch erst 2010 sollte das Kunststück dank malaysischer Hilfe gelingen.

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Lotus mehr als ein Rennstall

Die Trauer unter den Fans war damals groß. Lotus war mehr als ein Rennstall. Der Name riecht nach verbranntem Reifengummi, klingt nach Motorenlärm und assoziiert filigranen Rennwagenbau. Ein besonderer Grund für die Namensgebung ist nicht überliefert. Colin Chapman erfand ihn aus einer Laune heraus.

Lotus trug viel von der Persönlichkeit des Gründers in sich. Seine Mitarbeiter bewunderten und fürchteten ihn. Herbie Blash, von 1968 bis 1971 Mechaniker bei Lotus, erinnert sich: "Mister Chapman war der liebe Gott für uns." Von seinen Angestellten verlangte er Einsatz bis zur Selbstaufgabe. Blash:" Ich fing an einem Montagmorgen bei Lotus an. Als ich mein Appartement zum ersten Mal wiedersah, war es Mittwochmittag."

Der heutige FIA-Steward lernte aber auch einen anderen Chapman kennen. Als der Boss in der Nacht vor dem Spanien Grand Prix 1969 befahl, neue größere Flügel aus Alublechen für das Rennen zu zimmern, zerschnitt Herbie Blash aus Versehen den Frontflügel. Chapman, der um 5.30 Uhr morgens die Arbeit inspizierte, war außer sich vor Wut, wollte seine Autos vom Start zurückziehen. Blash sah das Ende seiner Tage bei Lotus gekommen, als ihn Chapman überraschend in ein Café einlud, ihm seine Cola zahlte und den guten Rat mit auf den Weg gab: "Bevor du in deinem Leben wieder mal was zerschneidest, denk erst drüber nach."

Chapman der Extremist

Colin Chapman war ein Extremist, beruflich und privat. Er liebte Flugzeuge und war ein risikofreudiger Pilot. Herbie Blash erzählt mit Grausen: "Beim Start streiften wir oft Bäume, und mehr als einmal sind wir mit trockenem Tank gelandet. Einmal übergab mir Colin das Steuer seiner Cessna, um nach hinten in die Kabine zu gehen. Ich war noch nie in meinem Leben geflogen."

Geld zog Chapman magisch an. Er verstand es zu verdienen und auszugeben. Die letzte Transaktion seines Lebens schlug große Wellen. Chapman, sein Buchhalter Fred Bushell und der amerikanische Geschäftsmann John DeLorean hatten Anfang der 80er Jahre eine 20-Millionen-Pfund-Subvention des englischen Staates zum Aufbau einer Fabrik in Nordirland zweckentfremdet. 9,5 Millionen Pfund verschwanden auf Nimmerwiedersehen.

Da Chapman kurz vor Bekanntwerden des Skandals im Alter von 54 Jahren überraschend verstarb, entstanden Zweifel an seinem Tod. Die Gerüchte, der Lotus-Boss habe sich klammheimlich aus dem Staub gemacht, um in Brasilien ein sorgenfreies zweites Leben zu führen, waren nicht nur Hirngespinste. Es führte so weit, dass sich sogar Privatdetektive nach Südamerika aufmachten, um den Mann zu suchen, dem in England zehn Jahre Gefängnis geblüht hätten.

Flucht vor der Polizei

Die Polizei war "Mr. Lotus" mehrmals auf den Fersen. 1965 wurde Chapman nach dem Grand Prix von Holland in Zandvoort vorübergehend festgenommen, weil er einen Polizisten tätlich angegriffen hatte. 1970 flüchtete er Hals über Kopf aus dem Autodrom von Monza, weil der dringende Verdacht bestand, sein Fahrer Jochen Rindt könnte beim Abschlusstraining wegen einer gebrochenen Bremswelle tödlich verunglückt sein.

Colin Chapmans technische Gratwanderung artikuliert sich in einem Wort: Leichtbau. Herbie Blash: "Er kam täglich in die Fabrik, nahm jedes Teil des Autos in die Hand und sagte stereotyp: das ist zu schwer." Schon Chapmans zweite Formel 1-Kreation, der Lotus 18, schlug die Konkurrenz auf der Waage um Welten. Mit nur 390 Kilogramm wog er 45 Kilo weniger als die Cooper und sage und schreibe 150 Kilo weniger als die Ferrari.

Riskante Konstruktionen

Um Gewicht zu sparen, ersetzte die Antriebswelle die oberen Querlenker der Hinterradaufhängung. Brach die Welle, kippte das Rad weg. So passiert 1960 in Spa, als Stirling Moss im Training einen bösen Unfall baute. Der Lotus 25, das erste Formel 1-Auto in Monocoque-Bauweise, verkörperte die Rennwagen gewordene Gewichtsoptimierung. Statt eines Rohrrahmenkäfigs bildete eine mit Alublechen verschalte Röhre den tragenden Teil der Karosserie. Die Konstruktion war dreimal so steif wie der klassische Rohrrahmen.

Als den Rennautos Ende der 60er Jahre die Flügel wuchsen, baute natürlich Lotus die höchsten und zerbrechlichsten Leitwerke. Beim Grand Prix von Spanien 1969 im Montjuich-Park brachen bei Graham Hill und Jochen Rindt innerhalb weniger Runden die Flügelaufhängungen. Hinterher stellte sich heraus, dass die Statik der Konstruktion nur für die Maximalbelastung berechnet war. Sicherheitsreserven gab es nicht. Blash: "Colins Devise hieß: Wir fahren, bis es bricht, dann bauen wir stärker."

Die Idee beim Lotus 72 die Bremsen von den Rädern in die Fahrzeugmitte zu verlegen, sollte die gefederten Massen verringern. Chapman ignorierte alle Warnungen, dass es an den Schweißnähten zwischen den schlecht gekühlten Bremsscheiben im Wagenrumpf und den Bremswellen zu Temperaturproblemen kommen könnte. Ihn faszinierten die paar gesparten Kilo. Jochen Rindt bezahlte dafür mit dem Leben.

Paranoide Gewichtseinsparungen

Colin Chapman faszinierte das Glücksspiel Formel 1. Wenn es darum ging, vor dem Rennen den Tank zu füllen, schickte er seine Fahrer lieber mit ein paar Liter zu wenig als zu viel in die Schlacht. Mario Andretti verlor deswegen 1977 in Schweden und 1978 in Südafrika den Grand Prix. "In dieser Frage", seufzte der Amerikaner einmal, "war Chapman paranoid. Es schmerzte ihn, ein paar Kilo zuviel an Bord zu haben. Lieber verlor er ein Rennen."

Colin Chapman war der vielleicht innovativste Geist der Formel 1-Geschichte. Ein Mann voller Ideen, die er, wie es seiner Spielernatur entsprach, ohne Wenn und Aber in die Tat umsetzte. Die Lotus-Ingenieure in der zweiten Reihe, die Chapmans Geistesblitze in technische Zeichnungen umsetzten, bekamen vom Ruhm wenig ab.

Cosworth-Gründer Mike Costin war an der Monocoque-Erfindung maßgeblich beteiligt. Maurice Phillippe baute das Turbinenauto für Indianapolis und den Lotus 72. Peter Wright half bei der Wing Car-Idee mit, die das ganze Auto zum Flügel umfunktionierte. Und er optimierte dieses Prinzip 1978 zum sogenannten Ground-effect-Auto mit verkleinerter Stirnfläche und zentralem Tank.

Nicht alle Lotus-Modelle erfolgreich

Das Spiel mit dem Risiko produzierte zwangsläufig auch Versager. Den Trendsettern Lotus 25 (erste Monocoque-Formel 1), Lotus 72 (erster Formel 1 in Keilform) und Lotus 79 (erstes Ground-effect-Auto) standen auch eine Reihe Flops gegenüber. Der Vierrad-Lotus 64 war zu schwer, das Turbinenungetüm Lotus 56B zu unhandlich, der Lotus 76 mit doppeltem Bremspedal und geplanter Getriebeautomatik nicht ausgereift. Der Lotus 80, der das ultimative Ground-effect-Auto werden sollte, scheiterte, weil sich die seitlichen Abdichtleisten verklemmten. Der Lotus 88, dessen Doppelchassis das Verbot dieser Schürzen umging, wurde verboten.

In der Ära nach Colin Chapman wurde es um Lotus ruhiger. Ayrton Senna konservierte den guten Ruf des Rennstalls mit seiner Fahrkunst bis Ende 1987. Die Zeit der Geniestreiche war vorbei. Peter Wrights aktives Fahrwerk im Lotus 99T von 1987 scheiterte am zu hohen Gewicht und an seiner Kompliziertheit.

Schleichendes Ende in den 90ern

Bis 1990 hing Lotus finanziell an der Nabelschnur von Hauptsponsor Camel. Als der Tabakkonzern seine Millionen zu Williams und Benetton verschob, schien das Ende bereits gekommen. Peter Collins, Peter Wright und der deutsche Rennstallbesitzer Horst Schübel retteten den todkranken Patienten. Das Geld zum Überleben kam von Schübel, der lange warten musste, bis sein Darlehen zurückgezahlt wurde. Collins steckte nach eigenen Angaben 800.000 Euro in das Unternehmen.

Für die Saison 1991 veranschlagte Collins acht Millionen Euro, 1992 doppelt soviel. Exrennfahrer Guy Edwards, in der Szene als begnadeter Sponsorvermittler bekannt, sollte helfen, die Budgets zu sichern. Zunächst klappte das ganz gut, obwohl Edwards sich die großzügige Provision von 25 Prozent für seine Dienste genehmigte. 1993 und 1994 kam von Edwards keine Mark mehr.

Als die Schulden auf fast elf Millionen Pfund (15 Millionen Euro) gestiegen waren, begannen sich nicht nur die Anwälte der Gläubiger für Lotus zu interessieren. Einem Artikel der englischen Wirtschaftszeitung "Business Age Magazine" zufolge wollte Guy Edwards zusammen mit Benetton-Sportdirektor Tom Walkinshaw die wankende Festung Lotus sturmreif schießen, um sie billig einzunehmen. Spione innerhalb des Teams unterrichteten die Beiden über den desolaten finanziellen Zustand des Teams. Der Plan scheiterte, weil Peter Collins das Komplott durchschaute und Lotus in Treuhänderschaft übergab.

Wiedergeburt unter malaysischer Flagge

Letzter Akt des Dramas: David Hunt erkaufte sich für 1,2 Millionen Mark das Recht, den Nachlassverwalter zu spielen. So konnte Lotus die Saison 1994 beenden und sich die Schmach ersparen, sang- und klanglos zu verschwinden. Für Rennsportfans wurde mit Lotus eine Legende zu Grabe getragen. Die Gläubiger betrachteten den Abschied von Lotus weniger sentimental. Viele blieben auf 90 Prozent ihrer Forderungen sitzen.

Nach der Übernahme des Sportwagenbauers und der Marke Lotus durch den malaysischen Konzern Proton, startet der Traditionsrennstall 2010 einen Neuanfang. Gerne beschwört Teamchef Tony Fernandes die Tradition des Teams, die unter dem neuen Besitzer fortgeführt werden soll. Die Fans sind noch skeptisch, ob hinter der grün-gelben Fassade wirklich der alte Pioniergeist eines Colin Chapman wiederfindet, oder das Unternehmen nur durch finanzielle Interessen gesteuert wird. Zumindest lebt der Name wieder und die alten Erfolge kommen noch einmal in Erinnerung.

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