Ablenken war angesagt. Nur einen Tag nach dem Grand Prix von Kanada (15.6.) reiste Lando Norris wie viele seiner Formel-1-Kollegen zur Premiere des Blockbusters "F1" nach New York. Dort fand der Engländer schnell wieder sein Lächeln. Am Renntag sah das noch anders aus. In der 66. Runde hatte der McLaren-Mann eine Attacke auf seinen Teamkollegen Oscar Piastri geritten. Über mehrere Kurven kämpften die beiden Piloten gegeneinander, ehe sich Norris auf der Start- und Zielgeraden entschied, auf der Innenbahn Piastri überholen zu wollen. Da war aber kein Platz und Norris rauschte seinem Stallgefährten ins Heck, schlug in die Betonmauer ein und war raus.
Mit gesenktem Kopf trottete der 25-Jährige zurück an die Box. Norris nahm die Schuld für den Crash direkt auf sich und entschuldigte sich umgehend bei seinem Team und bei Piastri. Der hatte Glück im Unglück und konnte das Rennen ohne Beschädigung auf P4 beenden. Dank der zwölf Punkte für Rang vier und dem Nuller von Norris ist der Abstand in der WM-Tabelle auf 22 Zähler angewachsen. Ein herber Rückschlag für die Ambitionen von Norris.
Der Vizeweltmeister des Vorjahres war als einer der Top-Favoriten auf den Titel in die Formel-1-Saison 2025 gestartet. Sein Auftaktsieg in Melbourne Mitte März schien die Annahme der Experten zu bestätigen. Danach verlor der Brite aber den Rhythmus. Piastri raste von Erfolg zu Erfolg. Die Gründe lagen zum einen in der Inkonstanz von Norris und zum anderen klagte er über das Fahrverhalten seines McLaren. Seit dem Saisonstart rechtfertigte sich der Brite damit, dass er sich an das neue Auto anpassen müsse. Der MCL39 entspreche nicht seinem natürlichen Fahrstil. Das Auto sei schwierig zu fahren und gebe ihm nicht die gewünschte Rückmeldung. Aus dem Mund Piastris hörte man solche Aussagen nicht.
Neue Vorderachse = neue Hoffnung
Die Ingenieure beim Traditionsteam aus Woking haben ihrem Piloten zugehört. In Kanada brachten sie beim zehnten Rennen des Jahres eine neue Vorderachse. Teamchef Andrea Stella führte aus: "Die neue Vorderradaufhängung soll unseren Fahrern mehr Gefühl vermitteln. Wir haben Kleinigkeiten an der Geometrie verändert – nichts Dramatisches." Nur Norris verwendete die neue Konstruktion. Piastri setzte auf die alte Variante. "Die Veränderungen sind so minimal, das ist auch für die Fahrer so schwer herauszufiltern, welchen Effekt sie haben. Das geht erst, wenn wir einen Back-to-back-Vergleich gemacht haben", erklärte Stella die weitere Vorgehensweise.
Der steht nun in Spielberg (29.6.) auf dem Plan. Vor allem Norris hofft auf einen positiven Effekt. Allerdings muss er im ersten Training seinen MCL39 an Nachwuchsfahrer Alex Dunne abtreten. Vermutlich wird auch Oscar Piastri dort nochmal die neue Vorderachse evaluieren und dann entscheiden, ob er sie ebenfalls verwendet. "Bei Lando gab es keine negativen Überraschungen, er hat sich damit wohlgefühlt", freute sich Stella.

McLaren brachte in Kanada eine veränderte Vorderradaufhängung, die nur Lando Norris verwendete.
Norris-Pace überzeugt
Erste positive Signale zeigte sein Schützling schon in den Montreal-Trainings. Norris war von Anfang an schnell und kam besser zurecht als sein Teamkollege – bis zum Qualifying. Im dritten Segment unterliefen dem Mann aus Bristol zwei Fehler, die ihn auf Rang sieben zurückwarfen. Der Speed stimmte aber: "Lando war verglichen mit Oscar von Anfang an wettbewerbsfähig. Das heißt für uns, dass das Experiment mit der Vorderradaufhängung bei ihm erfolgreich war."
Piastri blieb fehlerlos und schaffte Startplatz drei im Qualifying. Im Rennen war dann wieder Norris der schnellere Mann. Mit einer guten Pace konnte er gegen Rennende zu Piastri aufschließen. Trotz des Crashs sollte ihm das Auftrieb für die nächsten Rennen geben. Aber wie geht es nun weiter bei McLaren? "Beide könnten weiterhin unterschiedliche Aufhängungen verwenden. Es liegt an den Fahrern, mit welcher Spezifikation sie sich wohler fühlen", meinte Stella in Kanada.
Möglicherweise ist das ein kleiner Vorteil für Norris im WM-Kampf. Die neue Vorderachse könnte sein Selbstvertrauen wieder steigern, das nach dem Crash und dem wellenartigen Saisonverlauf angeknackst ist. Zudem würde ihm das Wissen über einen vermeintlichen technischen Vorteil gegenüber Piastri einen mentalen Aufschwung verleihen. Die Kunst ist es nur, das in Ergebnisse auf der Strecke umzusetzen. Daran haperte es zuletzt häufiger, nicht nur in Kanada. Die nächste Chance auf die Wende im WM-Kampf wartet in Spielberg.