Der Sport lebt von Emotionen. Gibt es Streit und Ärger, steigert das die Aufmerksamkeit. Doch in den letzten Wochen malten die Piloten in den Pressekonferenzen lieber das Bild einer heilen Formel-1-Welt. Obwohl es einige umstrittene Strafen auf der Strecke gab, verzichteten die Betroffenen lieber auf kritische Bemerkungen.
Oscar Piastri traute sich noch nicht einmal, mit seinem Renningenieur über die 10-Sekunden-Strafe von Silverstone zu sprechen. In der Auslaufrunde funkte der WM-Spitzenreiter: "Wenn ich jetzt was sage, werde ich für den Rest des Jahres gesperrt." Bei den anschließenden Interviews hielt sich der Australier ebenfalls zurück: "Ich möchte nicht zu viel sagen, sonst bekomme ich noch Ärger."
Das gleiche Spiel konnte man schon bei Max Verstappen in Saudi-Arabien beobachten. Der Weltmeister hatte im Duell mit Piastri in Kurve 1 eine Fünf-Sekunden-Strafe kassiert, die ihn am Ende den Sieg kostete. "Das Problem ist, dass ich meine Meinung dazu nicht sagen kann, weil ich sonst vielleicht noch einmal bestraft werde. Also ist es besser, nichts dazu zu sagen", erklärte der Pilot in der FIA-Pressekonferenz.

Oscar Piastri hielt sich mit Kommentaren zu seiner Silverstone-Strafe zurück.
FIA-Paragraf lässt Spielraum
In Montreal und Spielberg hielt sich der Red-Bull-Pilot ebenfalls mit Wortspenden zurück. Verstappens Sünderkonto war nach dem Barcelona-Foul gegen George Russell mittlerweile auf elf Strafpunkte angewachsen. Ein Zähler mehr, und es hätte eine Rennsperre gedroht. Also entschied sich der Rennfahrer dazu, die Aussage zu strittigen Themen einfach zu verweigern.
"Es gibt Fragen, die man besser gar nicht erst beantwortet, auch wenn man dazu eine Meinung hat", schmollte der Pilot. Die Journalisten bissen vor allem mit Nachfragen zum Punktesystem auf Granit: "Mir ist es nicht erlaubt, kritisch zu sein. Alles kann bestraft werden. Das ist in den Regeln so verankert. Die FIA kann es so auslegen, dass es ihr gegenüber kritisch ist. Also sage ich lieber gar nichts mehr."

Mit elf Strafpunkten auf dem Sünderkonto traute sich Max Verstappen zwischenzeitlich fast gar nichts mehr zu sagen.
Angst vor FIA-Willkür
Verstappen bezieht sich dabei auf Artikel 12.2.1.f des Internationalen Sportgesetzbuchs. Unter FIA-Präsident Mohammed bin Sulayem hatte der Weltverband die Daumenschrauben noch einmal angezogen. Unter Strafe steht demnach: "Jede Handlung, Äußerung oder schriftliche Nachricht, die der FIA, ihren Gremien, ihren Mitgliedern oder ihren Angestellten moralischen Schaden zufügt, und generell alles, was den Interessen des Motorsports und den Werten der FIA zuwiderläuft."
Der Paragraf lässt viel Spielraum für Interpretation, genau wie der Strafenkatalog, der am unteren Ende mit Geldbußen beginnt. Bei sehr schweren Verstößen können aber auch härtere Sanktionen gemäß dem Internationalen Sporting Code verhängt werden. Auch wenn es noch keine Strafpunkte oder Sperren für kritische Aussagen gab, wollen es die Piloten lieber nicht darauf ankommen lassen.

McLaren-Teamchef Andrea Stella kündigte an, das Thema noch einmal mit der FIA hinter den Kulissen zu besprechen.
McLaren sucht Dialog mit der FIA
Wenn sich die Hauptdarsteller aber nicht mehr trauen, öffentlich ihre ehrliche Meinung zu äußern, dann leidet am Ende der ganze Sport. Der Zuschauer will Emotionen sehen und keine eingeschüchterten Protagonisten. Wenn die Piloten einfach den Kommentar verweigern, ist das für Journalisten und Fans gleichermaßen unbefriedigend. Gerne hätte man die ungefilterte Meinung von Piastri und Verstappen zu den FIA-Urteilen erfahren.
McLaren-Teamchef Andrea Stella nahm seinen Fahrer in Schutz: "In so einem hitzigen Umfeld empfehlen unseren Fahrern sowieso immer, sich die Szenen erst einmal im Video anzuschauen und danach einen Kommentar abzugeben." Allerdings sieht es der Italiener auch kritisch, wenn die Piloten am Ende gar nichts mehr sagen wollen. Hier kündigt das McLaren-Oberhaupt an, noch einmal in den Dialog mit der FIA treten zu wollen.
"Wenn man faire Aussagen nicht mehr treffen darf, weil man dafür Ärger bekommen kann, dann ist das ein anderer Punkt. Das müssen wir noch einmal überdenken. Das werden wir zusammen mit der FIA machen", so Stella. "Wir wollen hier keinen Streit anzetteln. Es gibt bei diesem Punkt auch keinen Interessenskonflikt. Die verschiedenen Parteien haben ja das gleiche Interesse. Wir nehmen immer eine kooperative Haltung gegenüber der FIA und den Stewards ein."