Österreichs Nationalheld Jochen Rindt: Weltmeister posthum

Österreichs Nationalheld Jochen Rindt
Ein F1-Weltmeister posthum

1000. GP
Veröffentlicht am 08.02.2019
1970 Hockenheim
Foto: xpb

In Deutschland ist der Begriff Sommermärchen unverrückbar mit der Fußball-WM 2006 verbunden. In Österreich war es der Sommer 1970. Doch die goldene Serie von Jochen Rindt mit fünf GP-Siegen in nur 84 Tagen endete am 5. September in Tränen. Österreichs Nationalheld Jochen Rindt stürzte beim Training zum GP Italien zu Tode. Zu dem Zeitpunkt führte er die WM mit 20 Punkten Vorsprung auf Jack Brabham an. Doch sein größter Gegner lauerte mit 19 Zählern auf Rang 6 der Tabelle.

Ferrari war rechtzeitig in der Saison auf die Beine gekommen. Jacky Ickx begann schon an Rindts Vorsprung zu knabbern, als der noch lebte. Platz 2 in Hockenheim, Sieg am Österreichring. In Monza fiel Ickx aus. Danach hatte er noch drei Rennen, die 26 Punkte Rückstand aufzuholen. Das ging nur mit drei Siegen. Teil 1 und Teil 3 der Aufgabe in Kanada und Mexiko wurden erfüllt. Doch der Sieg beim GP USA wurde Ickx verwehrt. Er kam dort nur als Vierter ins Ziel.

Ausgerechnet Lotus-Neuling Emerson Fittipaldi, damals noch ein unbeschriebenes Blatt, sicherte mit einem Sieg in seinem erst vierten Grand Prix seinem toten Teamkollegen den Titel. Die Story erinnerte an 1968, als WM-Favorit Jim Clark früh in der Saison bei einem Formel 2-Rennen am Hockenheimring tödlich verunglückte und Stallrivale Graham Hill für Lotus den Titel holte. Damals lagen Triumph und Tragik noch nah beisammen.

Eine Saison der Verluste

Es war ein verlustreiches Jahr für die Formel 1. In der Woche vor dem GP Belgien kam Bruce McLaren bei Testfahrten in Goodwood ums Leben. Der Neuseeländer probierte das neue CanAm-Auto des Hauses aus, als sich bei hoher Geschwindigkeit die Heckverkleidung löste. Ab da war der unglückliche McLaren nur noch Passagier. Der McLaren M8D krachte seitlich in einen gemauerten Unterstand für Streckenposten. Die Fahrzeugteile waren über eine Fläche groß wie ein Fußballfeld verstreut. Bruce McLaren war auf der Stelle tot.

Jochen Rindt - Lotus 72 - Hockenheim 1970
Wilhelm

Piers Courage verbrannte beim GP Holland. Das Chassis des von Frank Williams eingesetzten de Tomaso bestand zu einem hohen Anteil aus Magnesium. Wie bei Jo Schlesser 1968 in Rouen konnte das Auto minutenlang nicht gelöscht werden. Frank Williams traf der Tod des Freundes nicht nur aus persönlichen Gründen hart. Courage war nach der exzellenten Saison 1969 seine ganz große Hoffnung im Bestreben, sich als Team und Konstrukteur im GP-Sport zu etablieren. Jochen Rindt nahm den Siegerpokal in Zandvoort mit versteinertem Gesicht entgegen. Courage war sein Freund.

Mit 13 Rennen war es die bis dahin längste Saison der Formel 1-Geschichte. Sie teilte sich in zwei Hälften. Die erste lebte vom Duell Jack Brabham gegen Jochen Rindt, die zweite von der Aufholjagd von Jacky Ickx auf einen Gegner, der sich nicht mehr wehren konnte. Mit Clay Regazzoni, Emerson Fittipaldi, Francois Cevert, Ronnie Peterson, Reine Wisell, Henri Pescarolo und Rolf Stommelen tauchten neue Fahrer am Horizont auf. Regazzoni und Fittipaldi gewannen in ihrer Premieren-Saison ihren ersten Grand Prix.

Jack Brabham hatte seiner Familie und Freunden versprochen, dass er sich am Ende des Jahres zurückziehen werde. Deshalb legte der große alte Mann noch einmal alle Kraft in seinen Traum, zum vierten Mal Weltmeister zu werden. Mit einem Sieg beim Saisonauftakt ging es gleich standesgemäß los. Um ein Haar hätte der mittlerweile 44-jährige Australier auch noch in Monte Carlo und Brands Hatch gewonnen. Beide Male spielte er unfreiwillig den tragischen Helden. Er verlor den Sieg jeweils in der letzten Kurve der letzten Runde. Und Rindt war beide Male der Nutznießer.

Ein Auto aus einer anderen Welt

Colin Chapman schrieb wieder einmal ein neues Kapitel in der Formel 1. Sein Lotus 72 sah mit seiner Keilform aus wie ein Auto vom anderen Stern. Die messerdünne Schnauze, die Kühler in zwei kurzen Seitenkästen neben dem Cockpit, der dreiteilige Heckflügel, Torsionsstäbe statt Federn rundherum, dazu innenliegende Bremsen hinten wie vorne waren die Zutaten zu einem Rennwagen, von dem Jochen Rindt nach seinem Hockenheim-Sieg behauptete: „Mit dem Auto hätte ein dressierter Affe gewonnen.“

Der Lotus 72 lernte aber nur langsam das Laufen. Erst nach dem Umbau der Aufhängungen war das Auto, das in seiner C-Version 67 Prozent des Gewichts auf der Hinterachse konzentrierte, unschlagbar. Zumindest in den Händen von Jochen Rindt. In der Zeit, in der Lotus auf sein Wunderauto wartete, kam der gute alte Lotus 49C zum Einsatz, der mit einer geänderten Vorderachse und 13-Zoll-Vorderrädern noch durchaus konkurrenzfähig war. Jochen Rindt gewann damit den GP Monaco. Mittlerweile wurde der Lotus 72 umgerüstet. Ohne Anti-Dive an der Vorderachse wurde aus ihm der 72B, ohne Anti-Squat hinten der 72C.

Als Lotus dem Typ 72 die Kinderkrankheiten endlich ausgetrieben hatte, gab es kein Halten mehr. Rindt gewann vier Mal in Folge. Zandvoort, Clermont-Ferrand, Brands Hatch, Hockenheim. Vor seinem Heimspiel in Österreich war der charismatische Lotus-Pilot mit einem Bein bereits Weltmeister. Daran änderte auch der Ausfall vor vollgepackten Rängen auf dem Österreichring nicht viel.

Der Teamkollege des Österreichers hieß John Miles, der aussah wie ein Theologiestudent und viel von Technik verstand. Dieser Miles warnte nach einem unliebsamen Zwischenfall in Zeltweg vor der Gefahr der innen liegenden Vorderradbremsen und den hohl gebohrten Wellen, die sie mit den Rädern verbanden. Bei ihm war eine der Bremswellen gebrochen. Miles sah sich in Monza grausam bestätigt.

Tod in Monza

Monza, 15.45 Uhr Ortszeit. Jochen Rindt ließ sich in seinem flügellosen Lotus 72C von Denis Hulme um den Monza-Kurs ziehen. Es war seine fünfte Runde. Im Heck ein Spezialmotor von Cosworth. Der fünfte Gang ist auf 328 km/h übersetzt. Hinter den Lesmokurven ging der Österreicher an dem McLaren vorbei. Auf der Anfahrt zur Parabolica sah Hulme, wie der Lotus in der Bremszone plötzlich unruhig wurde und dann scharf nach links abbog.

Die messerdünne Nase des Autos schob sich samt linker Vorderachse unter die zu hoch angebrachte Leitplanke und rutschte daran so lange entlang, bis sie auf einen massiven Befestigungspfosten traf, an dem die Lautsprecheranlage befestigt war. Dabei wurde der gesamte Vorderbau des Wunderautos abgerissen. Der Torso des Lotus 72C mit dem tief ins Cockpit gerutschten Rindt tobte sich im Kiesbett der Parabolica aus.

Jochen Rindt - Lotus 72 - Wrack - Monza 1970
sutton-images.com

Als sich der Staub lichtete, bot sich den Helfern ein Bild der Zerstörung. Der Lotus war in zwei Teile zerrissen, die Beine des Fahrers ragten aus dem Rumpf des Fahrzeugs. Der linke Fuß war abgetrennt. Rindt starb noch am Unfallort an seinen schweren Brust- und Wirbelverletzungen. Der angehende Weltmeister hatte sich am Gurtschloss und am Lenkrad die tödlichen Verletzungen zugefügt.

Seine Angst vor einem Feuerunfall wurde zum Fallbeil. Rindt weigerte sich die Oberschenkelgurte anzulegen, weil er glaubte, im Falle eines Feuers so schneller aus seinem Auto zu kommen. Der Unglückspilot wurde in einer dilettantischen Rettungsaktion im Streckenhospital wiederbelebt. Auf dem Weg in die Niguarda-Klinik verfuhr sich der Fahrer des Krankenwagens. Als er im Krankenhaus eintraf, war Rindt tot.

Chapman flüchtet

Der erste Verdacht konzentrierte sich sofort auf die vorderen Bremswellen. Es galt schnell als sicher, dass die hohl gebohrte rechte Welle kurz nach dem Beginn des Bremsvorganges brach. Dadurch musste das Auto nach links gerissen werden. Teammanager Peter Warr lieferte in seinem Buch eine andere Theorie. Eine Kombination aus unglücklichen Umständen habe zum Ausbruch des Autos geführt.

Die extreme Gewichtsverteilung und Bremskraftverteilung mit 33:67 vorne zu hinten. Die neuen breiteren Hinterreifen. Die Anti-Dive Vorderradaufhängung und die Anti-Squat Hinterradaufhängung, die verhinderten, dass sich der Wagenkörper beim Anbremsen zu stark nach vorne neigt. Die unterschiedliche Bereifung. Harte Mischung links, weiche rechts. Dazu das Abmontieren der Flügel, was den Lotus zu einem so schwer kontrollierbaren Projektil machte, dass John Miles Teamchef Colin Chapman bat, die Flügel wieder anzubringen. Mr. Lotus lehnte ab. Rindt kam mit dem Auto klar. Also musste es auch Miles.

Colin Chapman musste sich einmal mehr vorwerfen lassen, dass er mit seinen technischen Experimenten zu sehr am Limit operiere und das Leben seiner Fahrer aufs Spiel setze. Nach dem Unfall verließ das Team fluchtartig Italien. Die Staatsanwaltschaft drohte Chapman wegen fahrlässiger Tötung anzuklagen. Erst zwei Jahre später traute sich der geniale Konstrukteur wieder nach Monza. Oft wurde behauptet, Rindt wollte sich zum Ende der Saison als Weltmeister zurückziehen. Rindts Freund Helmut Marko erzählt eine andere Geschichte. „Chapman hatte Jochen von seinem Turbinenauto erzählt, mit dem er mit einer Hand Weltmeister werden könnte. Da ließ sich Jochen noch einmal umstimmen.“

auto motor und sport feiert das 1.000. Formel-1-Rennen in dieser Saison mit einer großen Serie in 100 Teilen. Wir liefern Ihnen im täglichen Countdown spannende Geschichte und interessante Video-Features aus der Historie der Königsklasse. Alle bisherigen Artikel finden Sie auf unserer >> Übersichtsseite zum großen Jubiläums-Grand-Prix.