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Mercedes-Technikchef James Allison im Interview
„Gibt keinen Grund, nicht zu gewinnen“

Mercedes-Technikchef James Allison erzählt im Gespräch mit auto motor und sport, wo das letzte Upgrade besser ist, warum es keine B-Version ist, warum die Form der Seitenkästen keine Rolle spielt und wann man Red Bull schlagen kann.

James Allison - Mercedes - F1-Saison 2023
Foto: xpb

Das Upgrade des Mercedes W14 hat nun drei Rennen abgespult. Sind Sie zufrieden damit?

Allison: Das Upgrade hat mehr oder weniger das erfüllt, was wir uns von ihm erwartet haben. Ich glaube, der Grund warum Toto vorsichtig mit seinem Urteil ist, liegt darin, dass dieses Upgrade weit davon entfernt ist, komplett zu sein. Es hat das Auto in mittelschnellen und schnellen Kurven verbessert, aber hat noch Schwächen in langsameren Ecken. Leider gibt es viele davon auf den Strecken, die jetzt anstehen. Solange wir nicht alle Aspekte des Autos verbessern, werden wir nicht wettbewerbsfähig sein.

Unsere Highlights

Wie viele Rennen brauchen Sie, um sagen zu können, ob Mercedes auf dem richtigen Weg ist oder nicht?

Allison: Um ehrlich zu sein, denke ich gar nicht mehr über dieses Paket nach, sondern schon über das nächste. Wir waren uns ziemlich sicher, dass wir mit diesem Paket ein bis zwei Zehntel näher dran an der Spitze sein werden, aber wir brauchen noch einige Upgrades mehr, bis wir wirklich wettbewerbsfähig sind. Der Entwicklungszustand, in dem sich das Auto jetzt befindet, ist für uns schon Geschichte. Es ist das Fundament für die nächsten Schritte.

Wie viele der Schwächen der älteren Version des Autos haben Sie bis jetzt kuriert?

Allison: Das Auto ist etwas stabiler auf der Bremse. Die Vorderräder blockieren beim Bremsen nicht mehr so oft. Das Heck ist immer noch zu instabil. Es sieht nur besser aus, weil wir Abtrieb dazugewonnen haben. Damit sind die Auswirkungen dieses Problems geringer. Wir haben auch noch nicht genug Traktion. Und das Auto ist immer noch ein bisschen unhandlich in langsamen Kurven.

Lewis Hamilton - Mercedes - Formel 1 - GP Monaco - 26. Mai 2023
Motorsport Images
Nach dem Ausfall des Imola-Rennens hat Mercedes sein Upgrade in Monaco gebracht.

Sie weigern sich trotz der massiven Umbauten am Auto von einer B-Version zu sprechen. Was rechtfertigt Ihrer Meinung nach das Etikett B-Version?

Allison: Das würde ich auch gerne wissen. Wir bauen das Auto permanent um. Ich weiß nicht, ab wann es gerechtfertigt ist, einen Buchstaben des Alphabets hinter die Typbezeichnung zu hängen.

Dieser Entwicklungsschritt aber war sichtbar größer als normal?

Allison: Ja schon, aber Ingenieure denken nicht in diesen Kategorien. Wir versuchen nur das Auto besser zu machen, im Rahmen dessen, was möglich ist. Große Änderungen am Monocoque waren nicht möglich, und es ist auch unwahrscheinlich, dass wir die Anlenkpunkte der Hinterradaufhängung verändern. Die sind zu sehr in Stein gemeißelt.

Hätten Sie das Chassis geändert, wenn es keine Budgetdeckelung gäbe?

Allison: Nein. Das ist mitten in der Saison zu aufwendig. Man kann manchmal ein leichteres Chassis aus den bestehenden Karbon-Formen bauen, aber die Geometrie zu ändern wäre Selbstverstümmelung. Es würde von wichtigeren Dingen ablenken.

Werden Sie nächstes Jahr ein neues Chassis bauen? Lewis Hamilton hat sich ja beschwert, dass das Cockpit beim Mercedes nach seinem Geschmack zu weit vorne platziert ist.

Allison: Lewis mag das Fahrverhalten des Autos nicht. Und er sitzt im Vergleich zu früher in einer anderen Position. Ob das eine mit dem anderen zusammenhängt, mag ich nicht beurteilen. Ich hatte mit Lewis einige Gespräche darüber. Ich glaube nicht, dass die Sitzposition ein großer Faktor für die Probleme ist, die er mit dem Auto spürt. Es geht hier ja nicht um 20 Zentimeter. Lewis ist schon Autos gefahren, bei denen er noch weiter vorne gesessen ist. Womit er Recht hat, ist die Kritik an der Straßenlage des Autos. Es ist unsere Aufgabe, diese Schwäche abzustellen. Denn das ist Rundenzeit. Wenn wir die Sitzposition ändern, dann aus vielen anderen Gründen und nicht weil wir glauben, dass das allein alle Probleme für Lewis löst.

James Allison - Mercedes - F1-Saison 2023
xpb
James Allison wurde nach den ersten Rennen wieder als Technik-Direktor eingesetzt. Er soll die Weiterentwicklung des W14 organisieren.

Wenn man aufholen muss wie Mercedes im Moment, wie stark funkt einem da der Kostendeckel dazwischen?

Allison: Sicher ein bisschen. Es wäre wirklich einschränkend, wenn wir das einzige Team mit einem Kostendeckel wären. So aber ist die Entwicklungsgeschwindigkeit im Feld generell langsamer als früher. Das kann manchmal frustrierend sein, weil die Liste deiner Ideen größer ist als dein Geldbeutel. Das hat aber keinen großen Einfluss darauf, wie schnell du aufholen kannst, weil es deinen Gegnern nicht anders geht.

Was im Konzept der alten Version hat Sie daran gehindert den Rückstand zu Red Bull weiter zu verkürzen?

Allison: Ich bin nicht ganz sicher, ob ich die Frage richtig verstehe. Meinen Sie, was die unüberwindbare Hürde war, die wir mit der alten Version nicht überspringen konnten?

Genau das.

Allison: Ich sehe da keine Hürden. Jedes Auto wird schneller, wenn man mehr Abtrieb bei weniger Luftwiderstand findet. Wenn man es schafft, dass die Balance durch die Kurve gleichbleibt und das Auto nicht in der Kurvenmitte untersteuert. Oder wenn man mehr Grip im Heck findet, so dass die Fahrer beim Einlenken Vertrauen haben.

Spielt die Form der Seitenkästen dann gar nicht die große Rolle für die Verbesserung des Autos?

Allison: Absolut nicht. Alles, was wir am Auto geändert haben, hätten wir auch mit den alten Seitenkästen geschafft. Es gibt da kein Geheimnis. Wir haben nicht irgendetwas verschlafen. Die Form der Seitenkästen oder besser der Motorabdeckung hat nichts damit zu tun, was wir mit dem Unterboden oder der Vorderachse gemacht haben. So wenig, wie die Geometrie der Seitenteile den Erfolg von Red Bull erklärt, so wenig waren unsere alten Seitenkästen der Grund für unsere Probleme. Sie werden bald nicht mehr von den Seitenkästen sprechen. Die alte Form wird dann nur noch eine entfernte Erinnerung sein.

Lewis Hamilton - Mercedes - Upgrade - B-Version - GP Monaco 2023 - Formel 1
ams
Lewis Hamilton beklagt sich über die Sitzposition. Eine schnelle Lösung dafür scheint aber nicht in Sicht.

Sie sind mit der Vorderradaufhängung den Weg von Red Bull in Richtung mehr Anti Dive gegangen. Wenn es so einfach wäre, hätte es jeder gemacht. Welche Risiken verbergen sich in dieser Lösung?

Allison: Die Gefahr ist, dass zu viel Anti-Dive die Aufhängung ein bisschen starr macht, weil sie den Dämpfern Federweg wegnimmt. Wenn man das richtige Maß findet, dann ist es netto ein Gewinn, weil sich die aerodynamische Plattform besser kontrollieren lässt. Das bringt dir mehr Vorteile als mehr Freiheit bei Dämpfern und Federn.

Das letztjährige Auto funktionierte besser bei minimaler Bodenfreiheit. Zu Beginn der Saison haben Sie das Fenster etwas nach oben geschoben. Wie schwierig ist es, diese Charakteristik zu verändern?

Allison: Ich gebe Ihnen kurz einen Einblick in die Entwicklungsgeschichte dieses Autos. Das letztjährige Modell wurde mit der naiven Annahme konzipiert, dass wir es so tief wie möglich fahren können. Dann haben wir festgestellt, dass das nicht möglich war. Als wir höher gehen mussten, lagen wir ein gutes Stück weit außerhalb des Bereiches, in dem die Aerodynamik optimal funktioniert. Auf gewissen Strecken mit ebenem Belag konnten wir es näher an den Bedingungen fahren, für die das Auto konstruiert war. Im Verlauf der Saison haben wir gelernt, wie wir etwas mehr aus dem Auto herausholen, wenn wir höher gehen. Deshalb standen wir Ende 2022 etwas besser da. In diesem Jahr haben wir es ein bisschen besser im Griff, wie tief wir fahren können, bevor wir Probleme bekommen. Wir sind da noch nicht perfekt, nähern uns der Perfektion aber an.

Manche schreiben den Erfolg des Red Bull der Tatsache zu, dass die ihr Auto so tief wie möglich fahren können ohne Bouncing zu bekommen. Ist das zu einfach gedacht?

Allison: Ja, ich glaube das ist zu simpel und wird der Qualität nicht gerecht, die in diesem Auto steckt. Ich glaube nicht, dass Red Bull viel tiefer fährt als der Rest des Feldes. Ich glaube auch nicht, dass sie weniger vom Bouncing betroffen sind als andere. Sie haben ein sehr effizientes Auto, das viel Abtrieb bei geringer Heckflügelanstellung generiert. Und sie haben ein Kurvenverhalten, das den Fahrern mehr Vertrauen gibt, als es bei uns der Fall ist. Ich sehe keinen Grund, warum wir uns nicht in diese Richtung bewegen sollten.

Wenn der Red Bull gar nicht so tief fährt wie viele vermuten, warum produziert er dann auf den Geraden so viele Funken?

Allison: Das haben wir hauptsächlich am Anfang der Saion erlebt, wo sie auf gewissen Strecken viel früher auf den Geraden aufgesetzt haben als andere Autos. Im Moment beobachten wir das nicht mehr.

James Allison - Mercedes - F1-Saison 2023
xpb
Mercedes und Ferrari sind auf der Jagd nach Red Bull. Wer kann die Lücke als Erster schließen.

Wie viel kleiner ist das Fenster, in dem diese Autos funktionieren, als früher?

Allison: Es ist minimal aufgrund der Notwendigkeit, dass man diese Autos sehr tief fahren muss. Alle bewegen sich in einem schrecklich kleinen Fenster. Der Federweg ist ungefähr halb so groß wie früher. Der Streckenbelag vergibt nicht. Deshalb sehen die Autos furchtbar über Bodenwellen und Randsteine aus. Außerdem finde ich, dass bedingt durch das Reglement, der Frontflügel zu dominant ist. Die Wirkungsweise des Flügels hängt zu stark vom Abstand zur Straße ab. Dadurch verschiebt sich laufend die Aero-Balance des Autos, was Probleme mit der Straßenlage nach sich zieht. Deshalb konzentrieren sich alle Entwicklungsabteilungen darauf, diese Effekte, die im Reglement ihren Ursprung haben, zu minimieren. Und wer das am besten schafft, hat das schnellste Auto.

Wie viel schwieriger ist es, das Auto mit einer konventionellen Aufhängung wie vorgeschrieben in diesem Fenster zu halten?

Allison: Das Fenster ist kleiner, aber das gilt für alle. Also haben alle das gleiche Problem zu lösen. Wir speziell haben es noch nicht gut gelöst, und wir werden viel besser dastehen, wenn wir es geschafft haben. Weil sich die Reihenfolge zu früher verschoben hat, müssen es einige besser gelöst haben als andere.

Ist es mit diesen Autos schwieriger eine gute Korrelation zwischen Windkanal und Realität zu finden?

Allison: Generell nein, aber mit dem Phänomen des Bouncings haben wir festgestellt, dass die Werkzeuge, die jeder in der Fabrik hat, nicht geeignet waren, dieses Problem nachzustellen und vorherzusagen, wann und wo es auftritt. Im Windkanal können wir das Modell nur in einem bestimmten Maß testen, und das ist weit weg von dem Bereich, in dem das Bouncing auftritt. Mit der CFD-Simulation stößt man schnell an numerische Grenzen, wenn man aerodynamische Instabilität nachstellen will. Wir fischen also mit unseren Werkzeugen ein bisschen im Trüben und müssen uns auf unser Wissen und unsere Erfahrungen verlassen, um vorherzusagen wann das Bouncing auftritt. Es ist bei bestimmten Voraussetzungen unvermeidbar. Eine Strecke wie Montreal verlangt wegen der langsamen Kurven wenig Bodenfreiheit. Es gibt lange Geraden und viele Bodenwellen. Da schüttelt es alle Fahrer durch, weil das Auto auf der Straße aufsetzt. Es gibt keine Werkzeuge, die das verhindern können.

Der Mercedes funktioniert am Sonntag besser als am Samstag. Bei anderen Autos ist das umgekehrt. Steckt das in der DNA der Fahrzeuge?

Allison: Wir konstruieren unsere Autos mit dem Ziel, die Reifen im Rennen im richtigen Temperaturfenster zu halten. Für uns ist das Renntempo viel wichtiger, um Titel zu gewinnen, als der Speed auf eine Runde. Es wäre natürlich schön beides zu haben, aber wenn man sich für eine Richtung entscheiden muss, dann die für das Rennen. Auf den meisten Rennstrecken ist das von Vorteil. Wir leiden manchmal in der Qualifikation darunter, weil wir auf der kühleren Seite des Fensters liegen.

Wann können wir erwarten, dass Mercedes die Red Bull eingeholt hat?

Allison: Ich sage es auch intern immer wieder: Es gibt keinen Grund dafür, dass es nicht schon diese Saison passiert, solange wir in der Lage sind, unser Auto weiter zu verbessern. Die Herausforderung ist, das zu schaffen und gleichzeitig genug Wissen aufzubauen, damit wir es nächste Saison von Anfang an können.

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