Nach dem GP Japan gab es Alarm. Zu wenige Boxenstopps, zu wenige Überholmanöver. Wie immer wurden hektisch Ersatzlösungen gesucht, ohne das Problem an der Wurzel zu fassen. Pirelli erklärte sich dazu bereit, weichere Mischungen zu liefern. Einige Teams wünschen sich eine Anhebung des Speedlimits in der Boxengasse, einige Fahrer längere DRS-Zonen.
Beide Maßnahmen sollen die Teams dazu animieren, öfter die Reifen zu wechseln. Wenn überhaupt, dann kann dieser Vorschlag nur mit weicheren Reifen funktionieren. In Imola will Pirelli den neuen C6-Superkleber auspacken. Es gibt auch wieder Überlegungen, die drei Mischungen stärker zu spreizen. Also C2, C4 und C5. Oder C1, C2 und C4.
Die Anhebung des Tempolimits in der Boxengasse von 80 auf 100 km/h würde gar nichts bringen. Damit läuft die Boxendurchfahrt zwei oder drei Sekunden schneller ab. In Miami war ein Zweistopp-Rennen auf dem Papier fünf Sekunden langsamer als nur ein Mal Reifen zu wechseln. Mit 100 km/h in der Boxengasse hätte man ungefähr Gleichstand geschafft. Mit dem zusätzlichen Risiko eines schlechten Boxenstopps oder ungünstig in den Verkehr zu fallen.

In Miami kamen die Piloten wieder mal nur mit einem Stopp über die Runden. Trotzdem wurde gute Unterhaltung geboten.
Hohe Qualität trotz Einstopp-Rennen
Im Zweifel stoppt man lieber nur ein einziges Mal. Dieser Trend begann bereits in der zweiten Jahreshälfte 2024. Bei einigen klassischen Zweistopp-Rennen wie Budapest, Spa oder Austin probierten es einige Fahrer erfolgreich mit einem Reifenwechsel. Das animierte viele Teams, Einstopp-Rennen auf bestimmten Strecken nicht mehr grundsätzlich auszuschließen. Insgesamt haben letztes Jahr 14 der 24 Sieger nur ein Mal gestoppt. Neun im zweiten Teil der Saison.
Bei den ersten sechs Rennen dieser Saison kam der Sieger vier Mal mit einem und zwei Mal mit zwei Stopps über die Distanz. Wäre Melbourne ein Trockenrennen gewesen, hätte vermutlich auch hier ein Stopp gereicht. Zwei Reifenwechsel liefern aber nicht automatisch mehr Qualität. Wichtiger ist, dass die Fahrer unterschiedlich von der Reifenabnutzung betroffen sind.
Pirellis Angebot der weicheren Reifen hat bis jetzt nicht viel geholfen. Jeddah und Miami blieben trotz weicherer Mischungen Einstopp-Rennen. Es hat ihnen aber auch nicht groß geschadet. In Jeddah gab es 32 Überholmanöver, zwölf mehr als 2024. In Miami wurde 26 Mal überholt. Im Letzten Jahr waren es 40 Überholmanöver. Doch der sechste WM-Lauf hat darunter nicht gelitten. Im Gegenteil. Die Zweikämpfe auf der Strecke boten guten Unterhaltungswert.

In Imola kommt zum ersten Mal der neue superweiche C6-Reifen zum Einsatz.
Besseres Reifenmanagement
Shanghai mit 30 statt 44 Positionswechseln und Suzuka mit 19 statt 46 waren aus einem anderen Grund Sonderfälle. Auf beiden Strecken wurde großzügig asphaltiert. Der neue Streckenbelag war eben und bot außergewöhnlich viel Grip. Das schonte die Reifen. So wurden klassische Zweistopp-Rennen zu Einstoppern. Vielleicht sollte man auf Neuasphaltierungen bei Kosten von bis zu 30 Euro pro Quadratmetern öfter mal verzichten, den Piloten den roten Teppich auszulegen.
Der Trend zu weniger Boxenstopps ist nicht nur wegen der weicheren Mischungen überraschend, sondern auch vor dem Hintergrund, dass die Rundenzeiten immer schneller werden. Auf fünf von sechs Strecken wurden in diesem Jahr die absoluten Streckenrekorde gebrochen. Man sollte meinen, dass die Belastung für die Reifen immer größer wird.
Die Erklärung für den scheinbaren Widerspruch ist einfach. Mehr Abtrieb bedeutet weniger Rutschen. Und Rutschen stresst den Reifen eher als höhere vertikale Kräfte. Außerdem haben Teams und Fahrer über die Jahre beim Reifenmanagement dazugelernt. Man weiß heute viel besser, was man seinen Sohlen zumuten kann und wie man auf überhitzende Reifen reagiert. Die Perfektion ist der größte Feind der Unterhaltung.

Mit fortschreitender Entwicklung wird Dirty Air wieder mehr zum Problem.
Lösungsansatz muss bei Aerodynamik liegen
Das Hauptproblem wird trotz aller künstlicher Eingriffe nicht aus der Welt geschafft. Es ist wieder schwieriger geworden, einem anderen Auto hinterherzufahren. Das Auto davor strahlt mehr verwirbelte Luft ab, und das dahinter reagiert sensibler darauf. Beides, weil die Aerodynamik im Zuge der Entwicklung extremer geworden ist.
Logisch wäre, an diesem Punkt anzusetzen. Doch wenn die FIA ihr Heil nur darin sieht, die Dimensionen und Formen der Autos bei jedem neuen Reglement immer weiter zu beschneiden, um Turbulenzen hinter dem Auto zu unterdrücken, fällt den Regelhütern nach drei Jahren auf den Kopf, dass die Ingenieure Schlupflöcher finden, das gut gemeinte Ziel auszubremsen.
Vielleicht wäre ein anderer Weg schlauer. Man lässt den Ingenieuren bei der Formensprache innerhalb einer großzügigen Legalitäts-Box freie Hand und kontrolliert das, was hinten dabei rauskommt.

Mit CFD-Technik lassen sich die Verwirbelungen hinter dem Auto relativ gut berechnen.
Angst vor dem Kostenlimit
Der frühere Formel-1-Technikchef und heutige Cadillac-Berater Pat Symonds verrät, dass es diesen Gedanken schon einmal gab. Die FIA ist in der Lage, für alle Autos die Turbulenzen einen Meter hinter dem Auto zu messen. Sie braucht dafür die Daten des Autos und die gleiche CFD-Software wie alle Teams. Rechenmodelle können dann relativ genau ermitteln, was anhand des Strömungszustandes in kleiner Entfernung hinter dem Auto sowie 30 Meter weiter hinten passiert.
Würde man also festlegen, dass die verwirbelte Luft einen Meter hinter dem Auto bestimmte Grenzwerte nicht überschreiten darf, hätten die Ingenieure beim Auto alle Freiheiten und die FIA die Garantie, dass ihr Ziel erreicht bleibt. Wer in der CFD-Simulation zu viel schlechte Luft produziert, muss eine zusätzliche Entwicklungsschleife drehen.
Kostengründe ließen den Ansatz damals einschlafen, wie Symonds erklärt: "Wir hatten Angst, dass die Ingenieure bei so viel Freiheit auf radikale Lösungen kommen, die dann zum Beispiel die Architektur des Autos betreffen. Wenn dann einer zum Beispiel mit dem Abstand von Vorderrad zu Seitenkasten aufs falsche Pferd gesetzt hat, fehlt ihm im Rahmen des Budgetdeckels das Geld, so einen groben Fehler innerhalb der laufenden Saison zu korrigieren."