Historische Formel 1-WM-Duelle: Schumacher vs. Villeneuve 1997

Historische Formel 1-WM-Duelle (9)
Skandal in der 48. Runde

Veröffentlicht am 16.11.2014

Was beim Formel 1-Finale 1997 wirklich passierte

Es war der klassische Showdown. Mann gegen Mann, Team gegen Team. Auf der einen Seite Michael Schumacher, der Ferrari zum ersten Mal seit 1979 wieder zum WM-Titel führen sollte. Auf der anderen Jacques Villeneuve, der kanadische Rebell, der Williams den siebten WM-Pokal in 18 Jahren in die Vitrine stellen und dem scheidenden Motorpartner Renault ein schönes Abschiedsgeschenk machen wollte.

Ein Punkt trennte die Kombattanten. Vorteil Schumacher. Beide Parteien waren siegessicher. Villeneuve trieb die Einschaltquoten mit Psychotricks nach oben. Er erinnerte an Michael Schumachers Foul von Adelaide 1994 und ließ keinen Zweifel offen, dass ihm sein Gegner im Notfall genauso ins Auto fahren würde, wie er es 3 Jahre zuvor mit Damon Hill getan hatte. Merke: Wenn beide ausfallen, wäre Michael Schumacher neuer Champion.

Damit war die Lunte gelegt. Hinter den Kulissen braute sich ein geheimer Pakt zusammen. McLaren-Teamchef Ron Dennis versprach Frank Williams, dass seine Fahrer nicht in das WM-Duell eingreifen würden. Der Hass auf Ferrari schweißte die Engländer zusammen.

Der Hype um das Finalrennen erreichte seinen Höhepunkt, als Villeneuve, Schumacher und Frentzen im Abschlusstraining bis auf die Tausendstelsekunde genau eine Zeit von 1.21,072 Minuten auf den Asphalt zauberten. Villeneuve gehörte die Pole Position, weil er die Zeit als Erster gefahren war.

Nach dem letzten Reifenwechsel kam es zum ersten und einzigen offenen Schlagabtausch der WM-Rivalen auf der Rennstrecke. Bis dahin hatten sich die beiden noch nicht einmal auf dem Siegerpodest gesehen. Villeneuve wusste, dass er den Vorteil der neuen Gummis schnell nutzen musste. Deshalb setzte er in der 48. Runde in der Dry Sack-Kurve alles auf eine Karte.

Sein Angriff kam aus dem Hinterhalt. Villeneuve scherte in letzter Sekunde nach rechts aus, Schumacher sah einen Reflex im Rückspiegel, zog instinktiv nach innen, und als der Williams schon neben ihm lag, lenkte der Ferrari-Pilot ein zweites Mal nach rechts. Das rechte Vorderrad traf den Williams exakt an der Crash-Struktur des Seitenkastens.

Während Schumacher ins Kiesbett schlidderte und sich dort eingrub, hielt sein Rivale den ramponierten Williams auf der Bahn. "Ich wusste, dass er es tun würde", stichelte der neue Weltmeister hinterher. "Aber mir war ein Ende im Kiesbett lieber als ein zweiter Platz."

Villeneuve rettete sich bis ins Ziel und ließ in der letzten Runde den beiden McLaren-Piloten den Vortritt. Ein dritter Platz reichte ihm. Schumacher gab erst am Dienstag nach dem Rennen seinen Fehler zu. Die FIA entzog ihm am 11. November trotzdem alle Punkte dieser Saison.

Unser fiktives Abu Dhabi-Finale 2014

Das Finale hat heute wie damals seinen Reiz. Weil die beiden Titelkombattanten so unterschiedlich sind. Vom Typ her ähnelt Lewis Hamilton eher Jacques Villeneuve. Ein Enfant terrible. Was Hamilton seine Ketten und Tattoos sind, waren Villeneuve seine Haare. Er färbte sie alle drei Rennen anders. In Jerez waren sie blond. Nico Rosberg ist eher der Musterschüler. Und verbal der gleiche Diplomat wie Michael Schumacher.

Wegen des Punktestands sind die Rollen in Abu Dhabi jedoch vertauscht. Hamilton ist Schumacher, weil er mit einem Vorsprung ins Finale geht. Rosberg steckt in der Situation von Villeneuve. Doch ihm reicht ein Sieg allein nicht. Er braucht höhere Mächte, damit Hamilton nicht Zweiter wird. Hamilton hat in der Erwartung des sicheren Sieges 100.000 silberne Kappen mit der Aufschrift "Weltmeister 2014" anfertigen lassen. Rosbergs Crew setzt sich blonde Perücken auf.

Mit Helfershelfern und geheimen Absprachen anderer Teams ist diesmal nicht gedient. Die Mercedes-Piloten sind auf sich selbst angewiesen. Es wird auch schwierig, Rosberg, Hamilton und einen dritten Fahrer - sagen wir Valtteri Bottas - mit der gleichen Rundenzeit auf die Pole Position zu bringen. Diesmal müsste Bernie Ecclestone wirklich die Zeitnahme manipulieren. Rosberg gehört auf jeden Fall der beste Startplatz, weil er die Zeit vor Hamilton und Bottas gefahren ist.

Hamilton hat sich im Training drei frische Satz Reifen gespart, Rosberg nur zwei. Als die Startampel ausgeht, übernahm Hamilton das Kommando. Er hält maximal 4,2 Sekunden Vorsprung auf seinen Konkurrenten, der von vornherein alle Karten auf den letzten Abschnitt legt.

Nach dem letzten Reifenwechsel kommt es zum Rad an Rad-Duell. Rosberg hat nach Hamilton gestoppt, und deshalb die frischeren Reifen. Er weiß, dass er den Vorteil schnell nutzen muss. Deshalb setzte er in der 48. Runde am Ende der langen Gerade alles auf eine Karte.

Im letzter Augenblick schert er nach links aus. Sorry, die Kurve führt nach links, und nicht wie damals in die andere Richtung. Hamilton sieht den Teamkollegen zu spät, zieht instinktiv nach innen, und als Rosbergs Seite an Seite mit ihm fährt, lenkt der Engländer noch einmal ein. Er trifft mit dem linken Vorderrad den rechten Seitenkasten des Mercedes mit der Startnummer 6.

Hamilton kann sich nicht wie Schumacher ins Kiesbett drehen, weil es keines gibt. Ihm stirbt einfach der Motor ab. Anti-Stall hat sich abgemeldet. An der Mercedes-Box ist man konsterniert. "Keine Kollision bitte", hat Teamchef Toto Wolff seinen Fahrer eingebläut. Und jetzt das. Die schöne WM-Party ist im Eimer.

Rosberg muss aber mindestens noch Fünfter werden. So wie Villeneuve vor 17 Jahren. Im Williams des Kanadiers hatte sich nach Schumachers Rammstoß die Batterie gelockert. Sie war im linken Seitenkasten verstaut. Das geht mit den modernen Autos nicht mehr. Da liegt sie unter dem Tank.

Hamilton gibt zunächst Rosberg die Schuld: "Er hätte die Kurve nie geschafft, hätte er sich nicht bei mir angelehnt." Rosberg wird ungewöhnlich deutlich: "Er hat es absichtlich getan." Ein paar Tage später wird er sich auf Wunsch der Presseabteilung korrigieren: "Lewis hatte mit meinem Angriff nicht gerechnet."

Hamilton gibt erst am Dienstag nach dem Rennen seinen Fehler zu. Die FIA entzieht ihm bei der Preisverleihung am 3. Dezember in Doha alle Punkte dieser Saison. So wird Daniel Ricciardo noch WM-Zweiter. Und Sebastian Vettel muss als Dritter seinen Urlaub absagen, um sich die Bronzemedaille abzuholen.

Red Bull feiert in Abu Dhabi einen Doppelsieg. Weil Rosberg in der letzten Runde noch Platz macht. Der dritte Platz reicht ihm. Ankommen ist wichtiger als der sechste Saisonsieg. Mit 347:334 Punkten ist er zum ersten Mal Weltmeister. 32 Jahre, nachdem sein Vater den Titel gewonnen hat.