Wie ist Ihr Eindruck nach den Testfahrten in Bahrain?
Marko: McLaren hat im Moment das schnellste Auto und ist im Reifenverschleiß auch unglaublich stark. Aber ich glaube nicht, dass der Abstand so groß ist, wie er sich teilweise dargestellt hat. Wir sind beispielsweise unsere Rennsimulation nicht in der optimalen Konfiguration gefahren. Es ist trotzdem wieder wie im Vorjahr. McLaren geht auf die Strecke, legt sofort gute Zeiten hin, und das mit jeder Reifenmischung.
Wie gut ist der neue Red Bull?
Marko: Das neue Auto ist berechenbarer, reagiert auf Setup-Änderungen in der Form, wie man es erwartet, und nicht so wie im Vorjahr, wo sofort ein Absturz von einer Sekunde da war, wenn du aus dem Arbeitsfenster rausgefallen bist. Es hat aber immer noch Schwächen, an denen wir im Lauf der Saison arbeiten müssen. Es ist ein Fortschritt erkennbar, nicht aber in dem Maße, dass wir auf dem gleichen Niveau wie McLaren wären.
Und wie stehen Sie im Vergleich zu Mercedes und Ferrari da?
Marko: Nach unserer Einschätzung liegen wir vor beiden, sowohl auf eine Runde als auch in den Longruns. Mercedes ist da zum Beispiel mit einem sehr großen Reifenverschleiß aufgefallen.

Die neue Nase am Red Bull RB21 hat sich beim Test in Bahrain bewährt.
Am letzten Testtag kamen ein neuer Frontflügel und ein neuer Unterboden. Sie haben diese Upgrades sich bewährt?
Marko: Der Flügel hat gut funktioniert, der Unterboden nicht. Deshalb sind wir am letzten Testtag am Nachmittag dazu übergegangen, den alten Boden in Teilen wieder ans Auto zu bringen. Und in dieser Kombination, neuer Flügel, alter Boden, ist es dann besser gelaufen.
Ab dem GP Spanien werden die Frontflügel-Belastungstests verschärft. Kann diese Maßnahme das Kräfteverhältnis in der WM durcheinanderbringen?
Marko: Jetzt hat bis auf die kleineren Teams jeder einen Flügel gebaut, der sich verbiegt. Es ist ein Irrsinn, dass man die mitten in der Saison wieder wegwerfen kann. Entweder die neue Regel gilt gleich vom Beginn der Saison oder gar nicht. Die FIA sollte langsam erkannt haben, dass man Regeln so schreiben muss, dass es keine Grauzonen gibt. Eine lückenlose Überprüfung der Verbiegung ist ja praktisch unmöglich. Die Teams haben viel mehr Manpower als die FIA. Da steht der arme Nikola Tombazis (FIA-Technikdirektor) allein da gegen ein Heer von Ingenieuren, die sich was Schlaues ausdenken. Um sich davor zu schützen, müssen die Regeln klarer sein. Damit es keine Interpretation in einem derartigen Rahmen gibt. Was nicht überprüfbar ist, darf man nicht zulassen.
Eine Folge von steiferen Flügel könnte sein, dass es schwerer wird, die Autos auszubalancieren. Profitiert da einer wie Verstappen?
Marko: Auf jeden Fall Vorteil Verstappen. Kein anderer kommt mit einem unruhigen Auto so gut zurecht wie Max.
Ist der Nachteil an diesem Ausnahmetalent, dass Schwächen am Auto später auffallen, eben weil Verstappen mit jedem Auto zurechtkommt?
Marko: Verstappen überfährt sicher gewisse Schwächen eines Autos, und das war auch ein Grund, warum wir letztes Jahr relativ spät auf unsere Probleme reagiert haben, die ab Imola aufgetreten sind.

Der Abgang von Adrian Newey zu Aston Martin hat Red Bull getroffen.
Rückblende auf 2024: War das Auto früh am Limit oder hat man in die falsche Richtung entwickelt?
Marko: Die ersten fünf Rennen bis China waren wir ja souverän. Und dann kam dieser Einbruch. Da traten die Schwächen des Autos hervor. Eine kannten wir schon von 2023, dem Jahr in dem wir fast alles gewonnen haben. Unsere Fahrer konnten nicht so über die Randsteine räubern wie beispielsweise die Kollegen von Ferrari oder McLaren. Das zeigte sich in Monte Carlo und auch in Singapur, wo wir unser einziges Rennen verloren haben. Diese Schwäche haben wir immer noch. Aber sie wird langsam besser. Im letzten Jahr kamen noch diese extremen Schwankungen dazu. Der Unterboden ist bei diesen Autos extrem kritisch. Wenn eine Kleinigkeit nicht stimmt, bist du schon eine halbe Sekunde langsamer. Entweder waren wir siegfähig, oder wir haben es nicht mal aufs Podium geschafft. Das scheint jetzt im Griff. Es sieht so aus, als hätten wir nicht mehr diese totalen Abstürze. Ich bin optimistisch, dass wir den Unterboden, so wie er jetzt ist, mit Adaptionen zum Funktionieren bringen. Und damit würde der Abstand wieder geringer.
Hat sich der Aderlass im Technikbüro, ob Rob Marshall oder Adrian Newey bemerkbar gemacht, oder war es Zufall, dass deren Weggang mit den Problemen am Auto zusammenfiel?
Marko: Betrachten wir es andersherum. Der Aufstieg von McLaren begann mit der Verpflichtung von Rob Marshall. Da war dann schnell eine ähnliche Hinterachse am McLaren wie bei uns. Das ist sicher kein Zufall. Wenn du so viel gewinnst, wie das bei uns der Fall war, dann bist du verwundbar, dass andere dir Leute abwerben. Deshalb haben wir versucht unsere Technik-Mannschaft auf eine breitere Basis zu stellen. Ich glaube schon, dass wir technisch jetzt wieder gut aufgestellt sind. Natürlich hinterlassen Abgänge solcher prägnanten Persönlichkeiten wie Rob Marshall oder Adrian Newey Lücken. Beide sind ja schon ewig im Geschäft. Die kennen alle Tricks. Die sind komplexe Auto-Denker, die sich auf jedem Gebiet auskennen. Sie haben dieses Wissen über das Gesamtbild eines Autos. Wenn da zwei Technik-Gurus plötzlich weg sind, braucht es eine gewisse Zeit, bis diese Lücken geschlossen sind. Neue Leute denken anders, und das verlangt wieder andere Strukturen.

Das Budget Cap schränkt die Teams ein. Immer mehr Mitarbeiter wechseln deshalb von Top-Teams zu anderen Rennställen.
Wird der Budgetdeckel zum Problem um Leute zu halten?
Marko: Das Budgetlimit ist ein Riesen-Problem. Wir haben über 40 Leute in der Finanzabteilung. Wenn unser Technikchef Pierre Waché etwas will, dann muss er zuerst dort vorsprechen. Dann wird gerechnet. Was kostet das? Können wir uns das leisten? Ist diese Investition vertretbar? Je ineffizienter du bist, umso größer sind die Auswirkungen. Ein Upgrade, das nicht funktioniert, ist im doppelten Sinn rausgeschmissenes Geld. Weil es dir anderswo in der Entwicklung fehlt. Da ist McLaren unheimlich stark. Da funktioniert jedes Upgrade. Und diese Effizienz zahlt sich an anderen Orten aus.
Cadillac und Audi suchen Leute. Müssen Sie Angst haben, dass noch weitere Ingenieure abgeworben werden, weil diese Teams noch Luft nach oben haben und höhere Gehälter zahlen können?
Marko: Neue Teams sind nicht allein das Problem. Auch von außen werden Leute abgeworben. Früher hast du Mitarbeiter mit der Faszination Formel 1 angelockt. Das hat sich geändert. Das Reservoir am Arbeitsmarkt ist geringer geworden. Die jüngeren Leute schauen mehr auf eine Work-Life-Balance. Da schrecken 24 Rennen und der Erfolgsdruck natürlich ab. Und finanziell kannst du wegen des Budgetdeckels nicht mehr mithalten. Die Leute verdienen in der Industrie mehr Geld bei weniger Arbeit.
Die Saison 2024 begann für Red Bull mit internen Spannungen. Das hat sich dann gelegt. Hält der Bugfriede auch dieses Jahr?
Marko: Wir müssen alle Kräfte darauf konzentrieren, den fünften Titel zu schaffen.
Wie beurteilen Sie, dass Christian Horner und Max Verstappen bei der F1-Show in London ausgepfiffen wurden?
Marko: Die Show war in England, und da hat sich die Fangemeinde natürlich auf Hamilton fokussiert. Ich finde, der Max war gar nicht die Zielscheibe. Das Hauptziel war der Horner, und das war schon etwas überraschend.

Helmut Marko (rechts) fordert, dass Red Bull für Max Verstappen (links) ein Siegerauto baut.
Wie wichtig ist es für Red Bull Verstappen zu zeigen, dass man wieder in der Lage ist ein Siegerauto zu bauen? Besteht immer noch die Gefahr, dass er 2026 das Team verlässt?
Marko: Es ist kein Geheimnis, dass der Vertrag von Max Leistungsklauseln hat. Max will gewinnen. Und er will das Gefühl haben, dass man das Maximum dafür tut. Das ist für uns eine Herausforderung. Wenn er nicht das Gefühl hat, dass alles dafür getan wird, ihm das optimale Auto hinzustellen, dann besteht die Gefahr, Vertrag hin oder her, dass er sich anders orientiert. Für uns ist es ganz wichtig ihm zu beweisen, dass wir ihm ein siegfähiges Auto bauen können, wobei siegfähig bei der aktuellen Leistungsdichte nicht heißt, dass wir 20 Rennen gewinnen müssen. Wir müssen aber in der Lage sein, dass wir die Rennen, bei denen wir gewinnen können, zur Stelle sind und sonst ausreichend Punkte sammeln.
Können die acht Strafpunkte, die er bis Juni auf dem Konto hat, für ihn ein Problem werden?
Marko: Die FIA sollte eigentlich andere Sorgen haben als die Fahrer auf diese Weise zu bevormunden. Der Max weiß, worum es geht. Ich sehe da keine Gefahr.
Bis jetzt hat Verstappen jeden Teamkollegen beerdigt. Wird das bei Liam Lawson anders sein?
Marko: Der Lawson geht an diese Aufgabe mit dem Wissen heran, dass bis jetzt jeder gegen Max untergegangen ist, und zwar umso schneller, je mehr er versucht hat mit komplett anderen Setups oder Strategien schlauer zu sein und etwas zu erzwingen. Lawson weiß, dass er den Sitz auch deshalb bekommen hat, weil er mental irrsinnig gefestigt und bodenständig ist. Von ihm wird erwartet regelmäßig Punkte zu holen, nicht auf Max zu schauen, sondern sein eigenes Ding zu machen. Und damit ist seine Rolle vorerst erfüllt. Ich glaube, dass er schlau genug ist, das zu kapieren.
Diese mentale Stärke hätte Tsunoda nicht gehabt?
Marko: Tsunoda hat seine Ausbrüche. Die sind zwar besser geworden, aber eben nicht ganz weg. Er hatte letztes Jahr in Mexiko, als die Entscheidungsfindung näher rückte, zwei völlig unnötige Unfälle. Da wusste er aber, dass es schon um die Frage ging, wer den Sitz bei Red Bill bekommt. Das heißt also, dass er unter Druck immer noch fehleranfällig ist. Vom Speed her ist er ohne Frage geeignet. Aber gegen Max zu fahren, bedeutet immer Druck. Der fährt auf einer nassen Strecke raus und ist sofort schnell. Da befinden sich alle anderen noch in der Aufwärmphase. Das muss man als Teamkollege von Max aushalten können. Und wenn das nicht der Fall ist, tust du dich schwer. Für den Lawson geht es schon mal mit maximalem Druck los. Er kennt weder die Strecke in Melbourne, noch die in Shanghai. China ist auch noch ein Sprint-Wochenende, wo du nur ein Training hast, das Auto abzustimmen. Und das ist bei unserem Auto ja nicht so leicht.
Max Verstappen fährt Tag und Nacht im Simulator-Rennen. Müsste man jedem jungen Fahrer raten, das Gleiche zu tun?
Marko: Wenn es die gleichen Auswirkungen hätte wie bei Max, wäre das sicher sinnvoll. Max kennt jede Rennsituation. Für den ist nichts neu. Wenn er es nicht in der Realität erlebt hat, dann am Simulator. Aber für Max ist das ja mehr als ein Trainings-Werkzeug. Er hat sein eigenes Team, fuchst sich da sogar in die Software-Entwicklung mit rein. Es ist für ihn Spaß und Freizeitvertreib. Da wirkt sich das natürlich positiv aus. Es bringt deshalb wenig, einem Fahrer zu sagen, dass er sich daheim in einen Simulator setzen soll. Wenn der nicht mit Herz bei der Sache ist und so ins Detail geht, wie Max das tut, wird es diese Auswirkungen nicht haben.

Isack Hadjar feiert bei Toro Rosso sein Formel-1-Debüt.
Was muss Toro Rosso in diesem Jahr zeigen?
Marko: Sie müssen einen Schritt vorwärtsmachen. Optimal wäre Platz sechs.
Wie gut ist Isack Hadjar?
Marko: In der Formel 2 war er ganz klar der schnellste Mann. Unser Betreuer Guillaume Rocquelin hat ausgerechnet, dass er 80 Punkte ohne seine Schuld durch technische Defekte verloren hat oder weil er abgeschossen wurde. Ganz klar: Er ist ein schneller Mann. Aber er ist wenig in Formel-1-Autos gefahren. Kein Vergleich zu Doohan, Bearman oder Antonelli. Die sind sicher das Zehnfache in einem Formel-1-Auto gesessen wie Hadjar. Deshalb findet da bei uns ein Umdenken statt. Wir müssen Honda für Extra-Meilen bezahlen. Deshalb waren wir in den TPC-Tests da stark eingeschränkt. Aber das forcieren wir jetzt. Unser Arvid Lindblad wird mit deutlich mehr Formel-1-Kilometern zum Einsatz kommen als Hadjar.
Wenn man sich die Funksprüche von Hadjar in der Formel 2 anhört, dann hat er eine ziemlich kurze Zündschnur. Muss er sich da beruhigen?
Marko: Mit Tsunoda und ihm haben wir da schon zwei von der Sorte im Team. Er ist diesbezüglich schon betreut worden. Wir haben mit ihm zum Beispiel noch mal das Formel-2-Rennen in Monte Carlo durchgesprochen, wo er souverän in Führung lag, als ein Safety-Car kam. Da hat er sich furchtbar aufgeregt, statt auf die Situation zu reagieren. Am Ende hat O'Sullivan davon profitiert. Bei Yuki ist es auch so. Wenn er seine Ausbrüche hat, wird er langsamer. Das wird ihnen aber genau vorgerechnet, damit es nicht wieder passiert. Da sind aber beide schon vernünftiger geworden. Wir haben da zwei Charaktere bei Toro Rosso. Beide haben eine Jockey-Figur, beide pflegen eine besondere Form von Humor und beide können sehr emotional sein. Yuki ist ja nicht der typische Japaner wie der Iwasa, der sich fünf Mal verbeugt und sich dafür entschuldigt, dass er was sagen will. Tsunoda sagt, was er denkt. Und Hadjar hat ein südländisches Temperament.
Was macht Red Bull, wenn sich einer der vier Fahrer verletzt?
Marko: Dann haben wir Ayumu Iwasa als Reservefahrer. Der Lindblad hat die Punkte für die Superlizenz. Außerdem haben wir mit ihm einen 300-Kilometer-Test in einem Formel-1-Auto in Imola absolviert, sodass er theoretisch einspringen könnte. Er wird aber erst im September 18 Jahre alt. Deshalb fragen wir gerade bei der FIA um eine Ausnahmegenehmigung für die Superlizenz an. Der Antonelli hat sie auch gekriegt. Wir sehen keinen Grund, warum das bei Lindblad nicht auch so sein sollte. Dann hätten wir schon zwei Fahrer auf der Ersatzbank.