Nur noch drei Punkte. Der Kampf um Platz sechs in der Formel 1 wird noch spannend. Zwischen Toro Rosso und Haas steht es jetzt 34:31. Haas hat den Auftrag seines Teamchefs Ayao Komatsu bei jedem Grand Prix im Restprogramm mindestens einen Punkt abzuliefern zum dritten Mal in Folge erfüllt. Toro Rosso hat zum vierten Mal in Folge nicht gepunktet. Nico Hülkenbergs neunter Platz war kein Geschenk. Er hat ihn 32 Runden lang gegen Sergio Perez verteidigt und trotzdem die Reifen in Schuss gehalten.
Es geht hier nicht nur ums Prestige. Der sechste Rang war in der aktuellen Auszahlung von Rechteinhaber Liberty Media 95 Millionen Dollar wert. Das wäre ein schöner Geldsegen für ein Team, das mit 260 Mitarbeitern gegen die vier Mal so große Konkurrenz antritt, und das immer noch 20 Millionen Dollar unter dem Budgetdeckel operiert.

Williams hat in den letzten Rennen stark aufgeholt und will in den Kampf um Platz sechs bei den Konstrukteuren noch eingreifen.
Williams gefährlicher als Toro Rosso
Es ist kein Zufall, dass der US-Rennstall um den besten Platz der zweiten Hälfte des Feldes kämpft: "Wir hatten seit der Sommerpause bei jedem Rennen den Speed aus eigener Kraft in die Punkte zu fahren. Meistens waren wir sogar schneller als Aston Martin", rechnet Komatsu vor. Toro Rosso kann derzeit mit den Amerikanern nicht mithalten. Das Team aus Faenza hat seit dem GP Spanien den Faden verloren und findet ihn nicht wieder.
Gefährlicher ist da schon Williams, auch wenn der Traditionsrennstall noch 15 Zähler hinter Haas liegt. Doch wie schnell so ein Vorsprung verdampft, zeigte das Rennen in Baku. Da sammelte Williams auf einen Schlag zehn Punkte ein. Mit dem jüngsten Upgrade ist der FW46 ein echter Punktekandidat geworden. Doch das ist auch die letzte Trumpfkarte, die Williams in dieser Saison ausgespielt hat. Haas und Toro Rosso haben noch je eine finale Entwicklungsstufe in der Hinterhand. Sie ist für Austin angekündigt.
Kulturwechsel im Konstruktionsbüro
Doch was macht den David der Formel 1 so stark, dass er beständig mit den Goliaths mitschwimmt? Da ist zuerst das Auto. Die Aerodynamik ist stabil, der Abtrieb unabhängiger von der Bodenfreiheit, die Hinterradaufhängung dank Ferrari viel besser so zu trimmen, dass die Aerodynamik arbeiten kann. Das resultiert in einem Auto, das die Reifen schont.
Das hört sich alles so einfach an, ist tatsächlich aber ein Erdrutsch, wenn man bedenkt, dass der 2023er-Haas die genau entgegengesetzten Eigenschaften hatte. Es brauchte einen Kulturwechsel im Konstruktionsbüro das neue Konzept durchzusetzen. Ingenieure geben ungern eigene Fehler zu und halten an dem fest, von dem sie glauben, dass es funktioniert. Komatsu verbot seinen Designern so zu denken. In der neuen Struktur wird alles auf den Prüfstand gestellt. "Es wird jeder guten Idee nachgegangen, egal von wem sie kommt. Früher wurde von oben herab die Richtung festgelegt", erzählt ein Aerodynamiker. Große Namen sucht man bei Haas vergeblich. Gute Leute aus der zweiten Reihe machen die Musik.
Das wirkt sich auch auf die Upgrades aus. Alle drei haben bis jetzt funktioniert. "Das erste hat nur zu 50 Prozent, das zweite mehr als es die Zahlen vorhergesagt haben, das dritte mit einem Rennen Verzögerung", vergleicht Komatsu. Auch hier gilt absolute Ehrlichkeit: "Es wurde sofort angesprochen, dass die erste Entwicklungsstufe nur halb so gut war wie erwartet. Sofort kamen mehrere unserer Jungs mit Ideen rüber, wie wir doch noch alles aus dem Paket rausholen können. Es gab keine Schuldzuweisungen, alle zogen an einem Strang."

Haas-Teamchef Ayao Komatsu lobte seinen Piloten Nico Hülkenberg nach dem Singapur-GP.
Sattelfest bei der Setup-Arbeit
Auch bei der Abstimmung des Autos ist Haas mittlerweile sattelfest. Selbst dann, wenn das Team schlecht in ein Wochenende startet wie in Baku und Singapur. "Wir waren im ersten Training komplett neben der Spur", gibt Komatsu zu. "Aber keiner hat Panik geschoben. Da ist jetzt eine Sicherheit in der Truppe, dass wir uns zutrauen für jedes Problem eine Lösung zu finden. Statt das Auto hektisch umzubauen, haben wir die Streckenentwicklung und die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht in die Setup-Arbeit mit einkalkuliert und uns Schritt für Schritt an die Lösung herangetastet. Zum Schluss war das Auto so gut wie es nur sein konnte. Der sechste Startplatz von Nico, nur sechs Zehntel hinter der Pole-Position, ist für unser kleines Team wie die Pole-Position."
Haas hat im Gegensatz zu den großen Teams keine Eingreiftruppe an der Basis in Banbury, die über Nacht die Freitagsdaten auswertet, und auch keinen Simulatorfahrer, der diese Ergebnisse gleich im virtuellen Auto verifiziert. "Wir haben Pläne so etwas aufzubauen, aber das muss Schritt für Schritt gehen", bremst Komatsu. "Wenn so eine Abteilung nur mehr Lärm macht und sich am Ende die daheim und die an der Strecke darüber streiten, wer die besseren Ideen hat, ist nichts gewonnen."
Der letzte Faktor ist der Fahrer. "Nico ist fantastisch", schwärmt der Teamchef. "Nicht nur, weil er den Speed hat. Er ist gerade heraus und hart zu sich selbst. Wir mussten gar nichts sagen zu dem, was da in den letzten Runden in Baku passiert ist. Nico kam sofort zu uns und hat sich am meisten über die Mauerberührung geärgert. Er wusste selbst, dass er da Punkte weggeschmissen hat."
Es gibt aber auch noch Dinge, die sich verbessern müssen. Die Exekution im Rennen hätte hin und wieder glücklicher laufen können. In Zandvoort wurde Hülkenberg zu früh zum Reifenwechsel an die Box geholt, in Singapur zu spät. So rutschte ihm Fernando Alonso durch. "Oliver Bearman hätten wir in Baku viel früher am Funk warnen müssen, dass er es mit dem Reifenschonen nicht übertreiben soll. Wäre er normales Tempo gefahren, hätte er mindestens Siebter werden können. Wenn die Punkte so frei auf der Straße liegen wie in Baku, dürfen wir sie nicht so fahrlässig verschenken", mahnt Komatsu.