Es ist selten ein gutes Zeichen, wenn die TV-Produzenten zunächst keine Unfallbilder zeigen. In Silverstone dauerte es eine halbe Stunde, bis der Startunfall endlich über die TV-Schirme flimmerte. Und dann aus allen Perspektiven. Pierre Gasly wollte im Startgetümmel zwischen dem Mercedes von George Russell und dem Alfa-Sauber von Guanyu Zhou durch. Dabei traf Gasly den Mercedes links hinten. Russell drehte sich in den Alfa-Sauber, der sofort eine Rolle seitwärts machte.
Dann begann für Zhou eine 200 Meter lange Irrfahrt auf dem Dach. Doch das Dach war schon nach kurzer Zeit um 15 Zentimeter kürzer. Eine Fotoserie von Zhous Rutschpartie über den Asphalt zeigt, dass Überrollbügel beim ersten Aufprall auf die Straße nach dem Salto in der Teerschicht eingehakt ist und in Langsrichtung nach hinten gedrückt wurde. DasTitanteil brach am Übergang zum Chassis ab. Die FIA-Ingenieure bestätigten: "Die Überrollbügel sind normalerweise aus Titan. Dort wo sie mit der Karbonstruktur des Chassis verleimt sind, liegt die Schwachstelle."

Chassis höher, Fahrer sitzt tiefer
Fotos zeigen, dass die Struktur offenbar schon auf dem Asphalt brach und nicht erst im Kiesbett, wie die Unfallexperten zunächst vermutet hatten. Dort ist die Gefahr des Einhakens viel größer als auf einer glatten Fläche. Trotzdem war zwischen Zhous Helm und dem Untergrund immer genügend Luft um den Kopf des Fahrers zu schützen.
Das liegt nach Ansicht von FIA-Technikchef Nikolas Tombazis nicht allein am Halo, den viele Fahrer als die beste Erfindung der letzten 20 Jahre lobten. Der Chassisockel hinten ist deutlich höher als in der Vergangenheit. Und der Fahrer sitzt viel tiefer im Cockpit. Deshalb stößt der Kopf auch dann noch nicht auf dem Boden auf, wenn der Überrollbügel bricht. Früher musste der Helm einfach nur unter einer gedachten Linie zwischen den beiden Überrollbügeln liegen. Heute ist der Abstand zwischen der Verbindungslinie und dem Kopf deutlich größer.
Zhou war laut FIA-Informationen sofort nach dem Unfall ansprechbar. Der Chinese bedankte sich bei den Rettungskräften und der Sicherheitskampagne des Weltverbandes. Sie macht die Autos zwar immer schwerer, aber sie rettet auch Leben. "Heute hat mich der Halo gerettet und dass die FIA nicht lockerlässt, die Sicherheit unserer Autos zu verbessern."

Lob an das Sicherheitsnetz der FIA
Die FIA wird auch diesen Unfall als Anlass nehmen, aus den Erkenntnissen der Analyse zu lernen. An den Belastungstest für die hintere Rollstruktur ist wenig zu ändern. Da wird schon mit 105 Kilonewton vertikal, 60 kN lateral und 70 kN in Längsrichtung gezogen und gedrückt wobei sich die Struktur nicht mehr als 25 Millimeter deformieren darf. Wenn aber ein 798 Kilogramm schweres Autos mit 100 Kilogramm Sprit an Bord bei 250 km/h kopfüber dahinrutscht, dann sind ganz andere Kräfte am Werk als im Labor.
Eine Möglichkeit zur Verbesserung wäre die Höhe der Überrollbügel zu stutzen, um die Hebelwirkung zu verringern. Das ginge, weil man da noch Spielraum hat. Außerdem könnte man die Basis des Bügels verbreitern, um die Steifigkeit der Konstruktion zu erhöhen. Beim Sauber C42 ist der Bügel lediglich ein vertikaler Steg mit den beiden Airbox-Öffnungen an der Seite.
Zhou hatte außerdem Glück, dass er nach einem Salto seitwärts über die Reifenstapel hinweg mit dem Boden zuerst in den Schutzzaun vor der Tribüne eingeschlagen ist und nicht kopfüber. Die Zuschauer hatten Glück, dass der Sauber nicht höher flog. Fahrer und Besucher kamen mit dem Schrecken davon. Zhou bekam nach einem Check in der Arztstation an der Strecke schon wieder grünes Licht für den GP Österreich.
Auch Alexander Albon fährt in Spielberg. Er musste nach seinem heftigen Einschlag in die Boxenmauer als Vorsichtsmaßnahme zur Untersuchung ins Krankenhaus geflogen werden. Sieger Carlos Sainz sagte, was alle dachten. "Ich habe den Unfall zum ersten Mal auf dem Podium gesehen. Es unglaublich, dass alle so unversehrt davongekommen sind. Der Halo hat heute wieder ein Leben gerettet. Es ist gut zu wissen, dass die FIA für uns so ein Sicherheitsnetz aufgebaut hat."