Formel 1: Lando Norris knallt in Oscar Piastri

McLaren-Teamchef reagiert auf Norris-Crash
Muss jetzt Stallregie her?

GP Kanada 2025
Zuletzt aktualisiert am 17.06.2025

Johann Wolfgang von Goethe verfasste in seinem Gedicht "Der Zauberlehrling" einst folgende Verse: "Die Geister, die ich rief, werd' ich nun nicht los." Nach dem zehnten Grand Prix des Jahres könnte dieser Satz fast deckungsgleich auf das beste Formel-1-Team dieser Saison angewendet werden.

Im Vorfeld des Kanada-Grand-Prix hatten die Piloten Oscar Piastri und Lando Norris am Donnerstag (12.6.) mit den Medienvertretern gesprochen. Nach dem ersten Saisondrittel hatte sich herauskristallisiert, dass Oscar Piastri und Lando Norris den WM-Titel unter sich ausmachen dürften. Während die Konkurrenz mehr Wellenbewegungen in der Performance aufweist, konnte McLaren mit Konstanz glänzen.

Das wissen auch die Piloten. Im Hinblick auf vergangene teaminterne Reibereien im Kampf um die WM-Krone sagte Norris in weiser Voraussicht: "Irgendwann wird etwas passieren." Und setzte nur drei Tage später seine eigenen Worte im Rennen von Montreal in die Tat um.

Norris hatte Piastri in der 66. Runde in der Haarnadelkurve attackiert. Sein Widersacher bremste vor der Zielschikane jedoch später und hielt seine Nase vorne. Norris nahm mehr Schwung auf die Zielgerade und versuchte sich links neben das Schwesterauto zu setzen. Da war aber kein Platz, weil der WM-Leader die Innenbahn abdeckte. Norris knallte ins Heck seines Teamkollegen und anschließend in die Betonmauer. Sein Rennen war gelaufen, Piastri behielt seinen vierten Platz.

Lando Norris - McLaren  - GP Kanada 2025 - Montreal - Formel 1
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"War nur eine Frage der Zeit"

Rund eine Stunde nach Rennende sprach Teamchef Andrea Stella mit den Journalisten vor Ort. Der Boss der beiden Streithähne wirkte gefasst: "Es war nur eine Frage der Zeit. Es ging nicht um das 'ob', sondern um das 'wann'. Jetzt haben wir Gewissheit und können sagen: 'Kanada 2025'. Das wollen wir natürlich nicht bei McLaren. Wir werden jetzt einige Gespräche führen müssen."

Die berühmten "Papaya-Rules" stehen dabei aber nicht auf dem Prüfstand. Ein komplettes Angriffsverbot per Stallregie soll es nicht geben: "Natürlich könnten wir vom Kommandostand alles kontrollieren, aber das wollen wir nicht. Das wäre künstliches Racing. Wir wollen beiden Fahrern die Chance geben, um Positionen zu kämpfen – auch untereinander", erklärte Stella.

Norris selbst hatte sich bereits im Auto für den Vorfall entschuldigt. Im Anschluss legte er in der Presse nach. "Ich habe es einfach falsch eingeschätzt. Es war mein Fehler, ich übernehme die volle Schuld, ich entschuldige mich bei meinem ganzen Team und bei Oscar, dass ich so etwas versucht habe."

Als Piastri mit den Journalisten in der Mixed Zone sprach, kam Norris zu ihm und entschuldigte sich per Handschlag persönlich beim Australier. Stella hob das Verhalten von Norris hervor: "Es ist gut, dass Lando sofort die Verantwortung übernommen hat. Er hatte die Situation auf der Strecke einfach falsch eingeschätzt. Ich bin sicher, dass er daraus lernen und gestärkt aus der Situation hervorgehen wird."

Lando Norris - McLaren - GP Monaco 2025
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Mentale Hilfe nötig bei Norris?

Einige Experten dürften da anderer Meinung sein. Während Piastri in diesem Jahr weniger Fehler macht und auch in den meisten Zweikämpfen die Situationen besser einschätzt, scheint Norris immer wieder unter Druck zu patzen. Schon im Qualifying hatte er zwei Fehler begangen. Piastri startete im für McLaren-Verhältnisse schwachen Montreal-GP von P3, Norris musste von Rang sieben losfahren.

Dass die beiden am Sonntag doch noch in die Quere kamen, lag auch an den unterschiedlichen Strategien. Piastri nutzte im ersten Stint den Medium-Gummi, um dann zweimal auf harte Reifen zu setzen. Norris zog es vor, auf dem C4-Pneu ins Rennen zu gehen. Der lange erste Stint und der Zwischensprint auf dem Medium brachten ihn in Schlagdistanz zum WM-Rivalen.

Doch die gute Renn-Pace von Norris brachte ihm letztendlich nichts. Aus Kanada reiste der Vizeweltmeister des Vorjahres mit 22 Punkten Rückstand auf Piastri ab. Als er durch das Fahrerlager ging, sah man ihm im Gesicht die Schwere der Niederlage an. Er atmete tief durch und hielt den Kopf gesenkt.

Nico Rosberg - Sky - TV
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Rosberg bietet Norris Hilfe an

Ex-Champion und Sky-Experte Nico Rosberg sind die Höhen und Tiefen des Formel-1-Piloten schon häufiger aufgefallen. Der ehemalige Mercedes-Pilot weiß aus eigener Erfahrung um die psychischen Belastungen eines WM-Kampfs. Seiner Meinung nach bräuchte Norris eine Art Mentor, der ihn neben der Strecke unterstützt, so wie es Mark Webber mit Piastri macht.

"Ich habe ihm bereits meine Hilfe angeboten und ihm geschrieben. Aber er hat leider nicht darauf geantwortet. Vielleicht kommt es ja noch", verriet Rosberg vor laufenden Kameras. Rosberg selbst hatte sich in der Saison 2016 einen Mentaltrainer ins Team geholt. Die psychologische Unterstützung half auch dabei, den WM-Kampf 2016 gegen Mercedes-Teamkollege Lewis Hamilton zu gewinnen.

Anschließend entschied sich Rosberg für den Rücktritt. Nach drei Jahren voller Reibereien und teaminterner Kämpfe kehrte damit bei Mercedes wieder Ruhe ein. So weit ist man bei McLaren noch nicht. Kanada war der erste Vorfall dieser Art. Doch die Geister haben sie selbst gerufen.