Diese Saison ist wie verhext. Kaum glaubt man, dass etwas Ruhe eingekehrt ist, da packt die Formel 1 die nächste Überraschung aus. In Kanada hatten sich die meisten wohl schon auf ein Podium mit drei Weltmeistern eingestellt. Doch dann spielten wieder einmal die Reifen verrückt und Fernando Alonso und Sebastian Vettel mussten auf die Champagnerdusche verzichten.
Auf dem Podest feierten mit Lewis Hamilton, Romain Grosjean und Sergio Perez am Ende drei Piloten, die in diesem Jahr zuvor noch kein Rennen gewonnen hatten. "Spätestens in Valencia geht die Serie zu Ende", war sich Vettel zuletzt sicher. Dabei gibt es immer noch genügend Kandidaten, die für einen Premierenerfolg in Frage kommen. Neben den starken Lotus und Sauber steht auch noch ein gewisser Michael Schumacher 2012 bisher ohne Sieg da.
In der WM-Wertung geht es vor dem GP Europa äußerst eng zu. Mit dem Erfolg in Montreal hat Lewis Hamilton erstmals in dieser Saison die Spitze übernommen. Fernando Alonso und Sebastian Vettel liegen mit zwei beziehungsweise drei Punkten Rückstand aber noch im Windschatten des Engländers. Auch Mark Webber ist neun Punkte hinter der Spitze noch in direkter Schlagdistanz. Nico Rosberg liegt auf Rang fünf ebenfalls noch aussichtsreich im Rennen.
Die Strecke: Valencia Street Circuit
Wie schon zuletzt in Monaco und Montreal handelt es sich beim 5,419 Kilometer langen Valencia Street Circuit um keine permanente Rennstrecke. Mit den üblichen Stadtkursen hat die Hafenrundfahrt am Mittelmeer aber nicht viel zu tun. Die vom deutschen Formel 1-Architekten entworfene Strecke ist breit, schnell und flach. Bodenwellen oder hohe Kerbs sucht man hier vergeblich.
In den ersten beiden Sektoren besitzt der Kurs mit vielen rechtwinkligen Kurven einen Stop-and-Go-Charakter. Highlight ist die Überquerung der Hafeneinfahrt, bei der die Piloten über die enge Schwenkbrücke müssen. Im letzten Streckenabschnitt finden sich aber auch einige schnelle und flüssigere Kurven.
Fünf Mal beschleunigen die Piloten innerhalb einer Runde auf mehr als 290 km/h. Motoren und Bremsen leisten Schwerstarbeit. Die vergangenen Jahre haben allerdings gezeigt, dass das Überholen trotz der langen Geraden nicht einfach ist. Im Gegensatz zum Vorjahr gibt es 2012 übrigens nur noch eine DRS-Zone, die aber immerhin um 100 Meter verlängert wurde.
Fast Facts:
Höchste Querbeschleunigung: 2,7g (für 2 Sekunden in Kurven 19 und 20)
Längste Vollgaspassage: 900 Meter
Anteil der Bremsphasen an der Rundenzeit: 16 Prozent
Anteil der Geraden an einer Runde: 45 Prozent
Anzahl der Gangwechsel pro Runde: 62
Vollgasanteil auf einer Runde: 59 Prozent
Geringste Geschwindigkeit: 65 km/h (Kurve 25)
Höchste Kurvengeschwindigkeit: 295 km/h (Kurve 23 und 24)
Distanz von der Startlinie bis zur ersten Kurve: 450 Meter
Top-Speed: 317 km/h
Spritverbrauch: 2,55 Kilo/Runde
Zeitverlust pro 10 Kilo Zusatzgewicht: 0,28 Sekunden
Reifenverschleiß: 3/5
Bremsbelastung: 4/5
Setup:
Obwohl mit Valencia nun schon der dritte Stadtkurs in Folge auf dem Programm steht, müssen die Ingenieure umdenken. In puncto Abtrieb werden deutlich steilere Flügel als zuletzt in Kanada verlangt. Der ebene Asphalt verleitet die Techniker dazu, bei den Fahrwerkseinstellungen bretthart und ultratief zu gehen, um das Auto immer in der optimalen aerodynamischen Position zu halten. Die vielen engen Kurven verlangen aber auch eine gute Traktion. Zumindest auf der Hinterachse ist etwas Federweg also sinnvoll - auch im die Reifen im Rennen zu schonen.
In Valencia könnten die Gummis wieder einmal das Zünglein an der Waage spielen. Mit den Mischungen "soft" und "medium" geht Pirelli zwar eine Stufe härter als zuletzt in Kanada, dafür beansprucht die Strecke am Mittelmeer die Walzen auch deutlich stärker. Dazu kommen noch die tropischen Temperaturen in Südspanien. Am Rennsonntag werden mehr als 30°C erwartet. Eine schonende Fahrweise könnte also wieder der Schlüssel zum Erfolg sein.
Updates:
Nach dem Technik-Festival von Montreal sollte es in Valencia an der Update-Front wieder etwas ruhiger werden. Die meisten Teams haben die nächsten großen Pakete erst für Silverstone angekündigt. Nur bei Ferrari will man schon wieder neue Teile bringen - Frontflügel, Unterboden, Auspuff. Lokalmatador Fernando Alonso versprach seinen Fans nach Barcelona und Montreal den dritten Schritt des Großumbaus des F2012, der das Team endgültig zurück an die Spitze bringen soll.
Favoriten für den GP Europa 2012:
Gerne würden wir Ihnen an dieser Stelle verraten, wer die besten Aussichten auf den Sieg in Valencia besitzt. Zuletzt waren allerdings alle Prognosen Kaffeesatzleserei. Vom Papier her ist Mercedes stark einzuschätzen. Doch die Silberpfeile gingen auch schon in Montreal als Geheimfavoriten an den Start und am Ende reichte es nur zu Rang sechs für Nico Rosberg. Die Tatsache, dass sechs verschiedene Autos in Kanada auf den ersten Plätzen ins Ziel fuhren zeigt, wie ausgeglichen das Feld aktuell ist.
Sollte es tatsächlich wieder zu einer Reifenschlacht kommen, haben Sauber und Lotus die besten Chancen. Schon in Montreal waren der E20 und der C31 am Sonntag die schnellsten Autos im Feld. McLaren sollte die Strecke mangels schneller Kurven theoretisch nicht so gut liegen. Aber das hat man von Montreal auch schon gedacht und dann gewann Lewis Hamilton sein erstes Rennen in diesem Jahr.
Sebastian Vettel stand in Valencia 2011 ganz oben auf dem Podium und ist bekanntlich immer ein heißer Kandidat auf den Sieg. Und auch Fernando Alonso darf man nie unterschätzen, auch wenn der Spanier in Valencia bisher noch nicht gewinnen konnte. Die Rolle des Geheimfavoriten nimmt dieses Mal Williams ein. Das englische Traditionsteam wurde in Montreal deutlich unter Wert geschlagen, gehört in puncto Traktion aber immer zu den Besten im Feld.
Expertenanalyse - Sebastian Vettel:
"In Valencia liegen die Durchschnittsgeschwindigkeiten über der 200 km/h-Marke. Es ist somit einer der schnellsten Stadtkurse der Formel 1. Überholen ist möglich, aber nicht ohne Risiko. Der Grund dafür liegt in den Luftverwirbelungen hinter den Autos, die durch die hohen Wände am Streckenrand nicht so schnell wie gewöhnlich verschwinden. Man verliert dadurch an Grip und muss öfter vom Gas. Die Zielgerade ist etwas Besonderes, weil sie nicht sehr lang ist und in eine schnelle Rechtskurve übergeht, die wir mit 290 km/h nehmen."
Das Rennen im Vorjahr - GP Europa 2011
Bisher war Valencia noch nicht für spektakuläre Rennen bekannt. Von den vier Grand Prix, die auf der neuen Strecke am Yachthafen ausgetragen wurden, konnten drei von der Pole Position aus gewonnen werden. Auch Sebastian Vettel gewann 2011 souverän von der Spitze und dominierte 57 Runden lang das Rennen. Hinter dem späteren Weltmeister ging es etwas spannender zu. Fernando Alonso und Mark Webber tauschten drei Mal die Plätze. Am Ende fuhr der Ferrari-Pilot auf Rang zwei über die Ziellinie.
Insgesamt kamen 2011 vier deutsche Piloten in die Top Ten. Michael Schumacher gehörte leider nicht dazu. Der Rekordchampion hatte sich nach dem ersten Stopp mit Lotus-Pilot Vitaly Petrov angelegt und dabei seinen Frontflügel demoliert. "Meine eigene Dummheit", gab der Routinier anschließend zu. Trotz eines extrem heißen Rennsonntags sahen im Vorjahr alle 24 Autos die Zielflagge, was einen neuen Rekord in der Formel 1 bedeutete.
In unserer Bildergalerie haben wir noch einmal die besten Fotos von 2011 für Sie.