Es hörte sich am Donnerstag (20.3.) an wie Jammern auf hohem Niveau. Lando Norris spielte die überlegene Vorstellung der McLaren in Melbourne herunter: "Wir haben ein schnelles Auto, aber es ist extrem schwer zu fahren. Es passt nicht zu meinem Fahrstil. Ich kann die Kurven nicht so attackieren, wie ich will. Aber ich passe mich an, weil ich schnell damit bin."
Tatsächlich zeigte sich schon in Melbourne, dass es den McLaren-Fahrern schwerfällt, eine perfekte Runde auf den Asphalt zu zaubern und die besten Sektorzeiten in eine Runde zu packen. Wenn der McLaren-Express im Dauerlauf mal ins Rollen kommt, dann gibt es allerdings kein Halten mehr.
Dieses Bild setzte sich auch in Shanghai fort. Im freien Training (21.3.) schockte Norris die Formel-1-Konkurrenz mit einer Runde, die um vier Zehntel schneller war als alle anderen. Oscar Piastri dagegen baute in seine Runde in der Zielkurve einen Fehler ein und verlor sofort sechs Zehntel. Norris erklärte den Balanceakt mit einem Kompromiss, den die Ingenieure beim Setup der Autos eingehen. "Wir tendieren derzeit zu einer spitzen Aero-Balance, weil das schneller ist. Dafür ist es am Limit einfacher Fehler zu machen oder vom Winde verweht zu werden. Daraus resultieren zu viele Fehler."

Oscar Piastri war als Dritter der beste McLaren im Sprint-Qualifying.
Falsche Taktik für das SQ3
Beide McLaren-Fahrer klagten über den böigen Wind, der ihr Auto mehr als erwartet aus der Bahn warf. Auch die hohen Reifendrücke von 26,5 PSI vorne und 23,0 PSI hinten sind nicht hilfreich. Nach dem Sprint-Qualifying erhöhte Pirelli noch einmal den ohnehin hohen Druck auf 27,5 PSI an der Front und an der Hinterachse auf 24,0 PSI. "Wir hatten das Problem schon beim Bahrain-Test, nur nicht so stark", berichtete Norris. Piastri bestätigte: "Unser Auto ist im Wind schwer zu kontrollieren." Um auf der sicheren Seite zu sein, änderte McLaren in der Sprint-Qualifikation die Taktik.
Statt sich im SQ3 auf eine schnelle Runde zu verlassen, gab man den Piloten eine zweite Chance. Der Tank wurde für fünf Runden gefüllt, und die Fahrer durften auf den Soft-Reifen mit einer Abkühlrunde dazwischen zwei Mal auf Zeitenjagd gehen. "Ich bin nicht sicher, ob das der richtige Weg war. Wir waren zum falschen Zeitpunkt schnell", maulte Piastri, der als Dritter die Pole-Position von Lewis Hamilton um 0,080 Sekunden verfehlte. Beim ersten Versuch waren vier Kilogramm Sprit zu viel im Tank, beim zweiten die Reifen schon vier Runden alt.
Norris traf es nach guten Zwischenzeiten im letzten Versuch noch härter. Der Melbourne-Sieger verpasste vor der Haarnadel in T14 seinen Bremspunkt und brach die Runde ab. Der erste Schuss führte ihn nur auf Platz sechs. Im Vergleich zu SQ2 zeigte deutlich, dass die McLaren-Fahrer mit den weicheren Reifen klar unter ihren Möglichkeiten blieben. Piastri verbesserte sich von Medium zum Soft nur um vier Zehntel, Norris verschlechterte sich um zwei. Verstappen dagegen konnte sich mit dem Grip-Vorteil des C4-Reifens um sieben Zehntel steigern. Hamilton um eine halbe Sekunde.

Lando Norris sieht sein Team im Longrun gut gerüstet.
McLaren mehr, Red Bull weniger Abtrieb
Noch ist für McLaren nichts verloren. "Wir werden im Rennen ein Wörtchen mitreden", kündigte Norris an. Die Longruns im freien Training hatten bereits gezeigt, dass der Sprint für einige im Formel-1-Feld eine Zitterpartie werden könnte. Die Medium-Reifen könnten bei 19 Runden leicht in die Knie gehen.
Viele Fahrer klagten über Körnen oder Blasenbildung links vorne und damit Grip-Verlust. Schuld ist der neue Belag, der die schnellsten Rundenzeiten ermöglicht, die je in Shanghai gefahren wurden. Schon am Freitag lagen vier Fahrer unter der absolut schnellsten Runde aus dem Jahr 2018. Den alten Rekord hielt bis zum Freitag noch Sebastian Vettel.
Die Tempojagd geht aber auch auf die Reifen. Red Bull stellte im ersten Training anhand der Longruns von Max Verstappen und Liam Lawson fest, dass ein Satz Medium den Sprint nicht überstanden hätten. Die harten Gummis ließen alle in Reserve für das Hauptrennen. Lieber wurde das Setup radikal umgebaut. Von viel Abtrieb zu viel Topspeed. Von Reifen anzünden auf Reifen schonen.
Beim Vergleich der Topspeeds zeigt sich, dass die McLaren sich mit mehr Anpressdruck wohler fühlen. Dafür gibt man vier bis fünf km/h in der Endgeschwindigkeit auf. Die Papaya-Renner beherrschten den ersten Sektor mit der Schnecken-Kurve und belegten jeweils den zweiten Platz in den beiden anderen Streckenabschnitten. Einmal hinter Ferrari, dann hinter Red Bull.

Red Bull litt im Training unter einem hohen Reifenverschleiß. Die Longruns in Shanghai sind das Zünglein an der Waage.
McLaren im Longrun immer schneller
Doch schon im Sprint wird entscheidend sein, wie die Fahrer ihre Reifen über die Distanz bringen. McLaren überzeugte wie üblich mit starken Longruns. Sie waren die einzigen, die mit zunehmender Laufzeit immer schneller wurden. Eine Qualität, die sich schon in Melbourne zeigte.
Die Konkurrenz gab bei der Reifenabnutzung ein gemischtes Bild ab. Red Bull legte einen katastrophalen Longrun auf die Bahn, doch das war der Stand vor der großen Setup-Änderung. Mercedes spulte die meisten Runden am Stück ab, hielt seine Reifen gut in Schuss, wurde aber mit zunehmender Dauer immer langsamer. Ferrari entzog sich jeder Einschätzung. Weder Lewis Hamilton, noch Charles Leclerc fuhren schnelle Runden am Stück. Dazwischen lag jeweils eine Abkühlrunde. Der Sprint könnte zur großen Aufholjagd der McLaren werden.