So schnell kann es gehen. Den Saisonauftakt vor einer Woche in Melbourne (16.3.) hatte Ferrari noch völlig verbockt. Nur die Plätze acht und zehn sprangen für die Formel-1-Fahrer Charles Leclerc und Lewis Hamilton im verregneten Australien heraus. Die Alarmglocken in Maranello schrillten bereits. In Italien ging die Sorge um, dass die Scuderia bereits nach einem WM-Rennen hoffnungslos zurückliegen würde. Zu groß war der Abstand auf Primus McLaren.
Fünf Tage nach dem ersten Grand Prix hat sich das Blatt gewendet. Und es hat sich wieder einmal bestätigt, wie schnell sich die Dinge im Sport, und gerade in der Formel 1, ändern können. Lewis Hamilton stürmte im Sprint-Qualifying (21.3.) des zweiten Rennwochenendes des Jahres auf die Pole-Position. Das ist eine mittlere Sensation. Solch ein Ergebnis hatten nur die wenigsten Experten im Fahrerlager vorhergesehen.
Der Ferrari-Neuling unterbot bei seiner schnellsten Runde auf dem Shanghai International Circuit die alte Bestmarke seines ehemaligen Rivalen Sebastian Vettel aus dem Jahr 2018 um zwei Zehntelsekunden. Die neue Benchmark liegt nun bei 1.30,849 Minuten für den 5,451 Kilometer langen Kurs vor den Toren der Millionen-Metropole.
Lewis Hamilton konnte sein Glück am Boxenfunk zunächst kaum fassen. Der 40-Jährige lachte mehrere Sekunden vor Freude, als ihm sein Renningenieur Riccardo Adami die frohe Botschaft überbrachte. Ausgerechnet Adami und Hamilton werden sich manche Spötter denken: Beim Melbourne-Rennen knarzte es zwischen den beiden hin und wieder am Funk. Ergebnisse wie im Sprint-Qualifying lassen solche Missverständnisse schnell vergessen.

Lewis Hamilton und Charles Leclerc eroberten in Shanghai die Sprint-Startplätze eins und vier für Ferrari.
Wie stark ist Ferrari in China?
Im Interview nach der Hamilton-Show zeigte sich der Superstar überglücklich und war selbst überrascht: "Ich habe das nicht erwartet, ich bin aber natürlich sehr glücklich. Ich bin sogar ein wenig schockiert, dass es zur Pole gereicht hat. Wir wussten, dass wir mehr Performance [als in Australien] in unserem Auto haben. Heute hat es sich super angefühlt. Von der ersten Runde an hat der Speed gestimmt."
Zu euphorisch wollte der Formel-1-Rekordsieger aber nicht werden. "Es gibt immer noch Raum für Verbesserungen und es liegt noch Arbeit vor uns." Nach zwölf Jahren bei Mercedes löste das neue Gefühl in einem Ferrari auf die Pole-Position zu fahren, Emotionen beim siebenmaligen Weltmeister aus. "Es ist einfach unglaublich, wenn man auf der Zeitentabelle sieht, dass man in einem Ferrari Erster ist."
Sein Teamchef Frédéric Vasseur trat nach dem Ergebnis aber erst einmal auf die Bremse. Der Franzose hatte schon nach dem schwachen Auftakt die Situation um das stets unter Druck stehende Ferrari-Team beruhigen wollen. Jetzt wollte Vasseur in Shanghai die Euphorie-Welle nicht mitreiten. "Naja, das Resultat bedeutet nicht, dass wir vorher ganz unten waren und jetzt auf einmal wieder ganz oben. Es ist einfach sehr eng an der Spitze."

Sowohl Hamilton als auch Leclerc fuhren am Freitag keinen Longrun in China.
Ferrari ohne Longruns
Der 56-Jährige klärte auf, was der Schlüssel zu dem starken Ergebnis war, das Charles Leclerc mit Platz vier abrundete. "Es geht um das Reifenmanagement und wie man die Reifen ins richtige Arbeitsfenster bekommt." Das ist Ferrari zumindest im Sprint-Qualifying gelungen. Für den 19 Runden langen Sprint gibt es aber noch zu wenig Anhaltspunkte über Ferrari. Weder Leclerc noch Hamilton bestritten im ersten Training einen Longrun auf der Medium-Mischung.
Die Reifen werden in Shanghai der Knackpunkt sein. Red-Bull-Motorsportchef Dr. Helmut Marko schlug bereits nach dem Training Alarm und sprach von einem höheren Verschleiß, als man vor dem Wochenende erwartet hatte. Dort waren seinem Star-Piloten Max Verstappen die McLaren von Lando Norris und Oscar Piastri um eine bis anderthalb Sekunden davongefahren. Es lässt sich nicht realistisch einschätzen, in welchem Korridor Ferrari liegen wird.

Erstmals seit Ungarn 2023 starten Max Verstappen (links) und der damalige Mercedes-Mann Lewis Hamilton (rechts) aus der ersten Reihe.
Hamilton und Verstappen in Reihe 1
Denn trotz des zweiten Platzes von Weltmeister Verstappen dürfte der Hauptgegner der Scuderia im Sprint McLaren sein. Oscar Piastri qualifizierte sich auf Platz drei und ist noch in Schlagdistanz zu den beiden erbitterten Rivalen der Saison 2021. Die erste Startreihe verspricht für den Sprint immense Spannung. Es ist das erste Mal seitdem Grand Prix von Ungarn im Jahr 2023, dass Hamilton und Verstappen nebeneinander aus Reihe 1 losfahren.
Trotz der vielen Unbekannten gab Vasseur die Marschroute für seinen Schützling aus: "Wenn man auf der Pole-Position steht, muss man gewinnen." Dann schob der Ferrari-Teamchef noch leise hinterher. "Wenn das möglich ist." Der Glaube bei den Tifosi ist nach dem Ergebnis vom Freitag in Shanghai auf jeden Fall zurückgekehrt. Die Frage wird sein, wie nachhaltig er dieses Mal ist.