Wie fuhr Verstappen von Platz 17 zum Sieg?
Max Verstappen musste 133 Tage auf einen Sieg warten. Doch das Warten sollte sich lohnen. In Brasilien zeigte der Niederländer das ganze Repertoire seines Könnens. Gleichzeitig kontrolliert und aggressiv tankte sich der Weltmeister durchs Feld, überholte wie kein anderer und flog der Konkurrenz am Ende mit 17 schnellsten Runden am Stück davon. Dass zwischendurch auch ein bisschen Taktik-Glück im Spiel war, interessierte bei Red Bull später niemanden.
"Max war in seiner eigenen Welt. Diese Performance hat alles gesprengt", staunte Sportchef Helmut Marko nicht schlecht. Von Startplatz 17 schnappte sich Verstappen schon in der Startrunde sechs Konkurrenten. Im weiteren Verlauf des Rennens zählten Statistiker weitere sechs, teilweise atemberaubende Manöver. Was noch in der Rechnung fehlte, erledigte der Abbruch in Runde 32, der dem Vierfach-Weltmeister in spe einen Gratis-Boxenstopp schenkte.
"Dieses Wochenende war eine emotionale Achterbahnfahrt", schnaufte Teamchef Christian Horner danach durch. "Wir wussten aus dem Sprint, dass wir eine gute Pace haben. Dann lief es im Qualifying aber unglücklich. Dazu noch die Motorenstrafe und plötzlich stand Max in der vorletzten Reihe. Die Startrunde erinnerte mich an Ayrton Senna in Donington 1993. Max war der Einzige im Feld, der überholen konnte. Am Ende ist er bis zu einer Sekunde schneller gefahren als der Rest."
Auch mit der Strategie lief alles perfekt. In der entscheidenden Phase, als es stärker zu regnen begann, zögerte Red Bull im Gegensatz zu vielen Konkurrenten den Boxenstopp heraus. Das war der Schlüssel zum Gratis-Stopp beim Abbruch. "Die Reifen waren noch in einem guten Zustand. Es hätte also keinen großen Vorteil gebracht, früher reinzugehen. Wir hatten dann natürlich etwas Glück mit den roten Flaggen. Bei den widrigen Bedingungen waren wir aber überrascht, dass nicht schon vorher abgebrochen wurde."

Max Verstappen feierte in Brasilien seinen ersten Sieg seit dem Barcelona-Rennen im Juni.
Was lief bei McLaren alles schief?
Bei McLaren fuhr die Achterbahn in die andere Richtung. Im Sprint auf trockener Piste feierten die Papaya-Renner noch einen Doppelsieg. Im Qualifying lief mit der Pole für Lando Norris auch noch alles nach Plan. Es schien, als könne der Engländer im Titelkampf gegen seinen direkten Rivalen einen Big Point landen. Doch am Ende wuchs der Rückstand auf praktisch uneinholbare 62 Punkte an.
Die Misere begann schon am Start, als George Russell von Platz zwei vorbeiziehen konnte. "Der Launch ist auf feuchter Strecke immer ein bisschen Lotterie", philosophierte Norris. "Ich glaube, dass es auf der Innenspur etwas mehr Grip gab." Mit dem großen Heckflügel, den McLaren für den feuchten Sonntag montierte, reichte der Topspeed anschließend nicht aus, um sich den Spitzenplatz auf der Strecke zurückzuholen.
Auch bei der Strategie agierte McLaren unglücklich. Nur zwei Runden nach dem Reifenwechsel schickte die Rennleitung das Safety-Car auf die Bahn. Die Schiedsrichter wollten das Tempo drosseln, weil die Grip- und Sichtverhältnisse mit zunehmendem Regen abnahmen. Doch dann schmiss Franco Colapinto sein Auto weg, was den kompletten Abbruch erzwang und Verstappen sowie den beiden Alpine-Piloten den Pflichtboxenstopp ersparte.

Schon am Start ging es für Lando Norris rückwärts. George Russell zog innen vorbei.
Die Autos länger draußen zu lassen, kam für Teamchef Andrea Stella nicht in Frage: "Als es stärker zu regnen begann, haben beide Fahrer gesagt, dass sie neue Reifen brauchen. In unsere Entscheidung hat auch die Vernunft reingespielt. Wir müssen die Rennen auf jeden Fall beenden, weil wir um den Titel kämpfen. Wir hatten kein gutes Gefühl dabei, ein Auto mit abgefahrenen Reifen auf der Strecke zu lassen." Während Verstappen nach seiner Quali-Pleite zwei Mal frische Intermediates aufschnallen konnte, gab es für die McLaren-Fahrer im Rennen nur noch gebrauchte Sätze.
Gerne hätte Stella gesehen, wie es ohne den Abbruch ausgegangen wäre: "Alleine schon der Restart nach dem Safety-Car wäre für die Autos auf abgefahrenen Reifen schwierig geworden. Dann hätten wir sicher ein anderes Rennen gesehen", prophezeit der Italiener. "Die anderen haben nur deshalb gut ausgesehen, weil sie alles auf eine Karte gesetzt haben. So etwas ist immer leichter, wenn man hinten liegt. Dann sieht man am Ende aus wie ein Held."
Alleine das fehlende Glück wollte der Ingenieur dann aber auch nicht als Ausrede für die Niederlage geltend machen: "Wir hatten mit den Intermediates leider nicht den Pace-Vorteil wie auf Slicks. Dazu klagte beide Piloten über Probleme mit blockierenden Reifen auf der feuchten Strecke. Das Auto war schwer zu fahren und in Teilen unberechenbar. Auch den Start werden wir noch einmal untersuchen müssen."

Die Alpine-Piloten kamen mit etwas Abbruch-Glück gemeinsam aufs Podium.
Wie kam Alpine zum Doppel-Podium?
Das Rennen in São Paulo könnte für Alpine rund 20 Millionen Euro wert sein. Mit Platz zwei für Esteban Ocon und Rang drei für Pierre Gasly fuhren die Franzosen alleine im Rennen 33 Punkte ein, mehr als alle anderen Teams. Das reichte, um sich von Rang neun in der Teamwertung vorbei an Williams, Toro Rosso und Haas auf Rang sechs zu schieben.
Teamchef Oliver Oakes lobte seine ganze Mannschaft für den Erfolg: "Wir haben mit dem Austin-Upgrade etwas Pace gefunden. Das hat man schon mit Platz sieben im Sprint gesehen. Und dann hat das Team am Sonntag mit der Strategie alles richtig gemacht und die Fahrer lieferten ein starkes Rennen ab." Entscheidend war, dass man wie im Fall von Verstappen die Unterbrechung zum Gratis-Stopp nutzen konnte.
"Als das Safety-Car rauskam, haben wir kurz diskutiert, ob wir reinkommen sollen. Weil Überholen auf der Strecke aber schwierig war, sind wir lieber draußen geblieben, um keine Plätze zu verlieren", erklärt Oakes. Bei Konkurrent Toro Rosso war man etwas sauer, dass die Rennleitung überhaupt das Safety-Car rausschickte. Yuki Tsunoda und Liam Lawson wurden kurz vorher auf die Heavy-Wet-Reifen gesetzt, konnten den Vorteil auf richtig nasser Piste aber nicht ausspielen.

Lance Stroll löste mit seinem Crash in der Einführungsrunde ein kleines Chaos aus.
Warum gab es Chaos nach der Formationsrunde?
In einem irren Rennen war schon vor dem Start Chaos angesagt. Lance Stroll schmiss seinen frisch reparierten Aston Martin in der Einführungsrunde in die Bande. Beim Weg zurück auf die Strecke wollte der Kanadier durchs Kiesbett abkürzen und blieb stecken. Weil die Bergung etwas länger dauerte, entschied sich die Rennleitung nicht für eine weitere Einführungsrunde, sondern für einen kompletten Abbruch des Starts.
Die entsprechende Meldung erschien auch auf der Anzeigetafel über der Ampel. Doch anstatt den Motor abzustellen und auf die Mechaniker zu warten, begann Pole-Setter Norris eine zweite Formationsrunde. Russell und die beiden Toro-Rosso-Renner folgten direkt dahinter. Die anderen Piloten erkannten den Fehler und zögerten. Sie mussten dann aber irgendwann ebenfalls losfahren. "Ferrari hat uns gesagt, dass die Motortemperaturen zu hoch gehen, wenn wir weiter warten", erklärte Sauber-Teammanager Beat Zehnder.
Der Abbruch erfolgte dann erst nach der zweiten Formationsrunde. Die Renndistanz wurde entsprechend gekürzt. Nach dem Rennen mussten sich die Chaos-Verursacher bei den FIA-Stewards zum Rapport melden, kamen aber glimpflich davon. Statt Zeitstrafen gab es für Norris und Russell nur Geldbußen in Höhe von 5.000 Euro. Die beiden Toro-Rosso-Youngster kamen straffrei davon, weil sie durch ihre Vorderleute in der ersten Reihe zum Losfahren verleitet wurden.

Nico Hülkenberg hatte sich nach seinem Dreher in Kurve 1 festgefahren und kam nur mit Hilfe von außen wieder in Fahrt.
Warum wurde Hülkenberg disqualifiziert?
Drei Mal gab es zuletzt Punkte für Nico Hülkenberg. Doch in São Paulo schrieb der Rheinländer einen Nuller. Der Haas-Pilot suchte gar nicht lange nach Ausreden: "Es ist alles schiefgelaufen, was schieflaufen konnte. Wir haben dieses Wochenende einige Fehler gemacht und müssen hart mit uns ins Gericht gehen."
Für beide Haas war im Qualifying schon in der ersten Runde Schluss. Im Rennen befand sich Hülkenberg auf dem Weg nach vorne, als er sich in Runde 27 einen Dreher in Kurve 1 leistete. Beim Rangieren blieb er an einer Welle im Asphalt hängen und kam nicht mehr weg. Vier Streckenposten mussten den Haas händisch aus der misslichen Situation befreien. Hülkenberg fuhr anschließend noch bis zur Unterbrechung weiter, bevor er durch die schwarze Flagge aus dem Spiel genommen wurde.
"Ich habe mir da eine Aufmerksamkeitspause gegönnt und auf der weißen Linie eingelenkt", erklärte der Pilot den Fahrfehler. "Dass ich dann mit dem Unterboden hängengeblieben bin, war einfach Pech. Normalerweise fährt man einfach weiter und alles ist okay. Aber wenn's nicht läuft, kommt sowas auch noch dazu. Dann haben mich die Marshals weggeschoben. Dafür gab es die schwarze Flagge, weil man nach Hilfe von außen nicht weiterfahren darf."