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Gerhard Berger im Interview
„Verstappen ist der Beste aller Zeiten“

Gerhard Berger hat sich in aktiver Rolle aus dem Motorsport zurückgezogen, ist aber trotzdem noch ein aufmerksamer Beobachter der Szene. Im Gespräch blickt er auf seine Zeit zurück und verrät, warum er Max Verstappen mittlerweile über Senna stellt.

Gerhard Berger
Foto: xpb

Wie fühlt sich das Leben als Rentner an?

Berger: Rentner trifft es nicht richtig. Ich habe ja noch meine Firmen, mit denen ich ganz gut ausgelastet bin. Wir stellen Logistik bereit, betreiben LKW-Werkstätten und sind Marktführer im Leichtbau von LKW-Aufliegern. Da ich in den vergangenen Jahren stark im Motorsport beschäftigt war, musste ich die wichtigen Positionen in meinen Firmen mit guten Köpfen besetzen und die auch selbständig arbeiten lassen. Dieses Prinzip fahre ich weiter. So kann ich mich um die Strategie, die Planung und die Kontrolle der Finanzen kümmern. Der Zeitaufwand dafür ist genau richtig für mich. So habe ich eine gute Balance gefunden zwischen den Geschäften und Zeit für mich selbst und meine Familie. Es könnte nicht besser sein.

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Hat sich Ihr Lebensrhythmus verändert?

Berger: Ich bin viel zuhause und genieße das auch. Dadurch habe ich einen ganz anderen Umgang mit der Familie, bin beim Mittag- und Abendessen da. Das ist eine Veränderung zu früher, aber für mich eine gute und meinem Alter angepasste.

Vermissen Sie den Motorsport nicht?

Berger: Die Zeit läuft mir davon. Ich wäre so gern noch einmal jung und wäre richtig im Motorsport involviert. Aber meine Leidenschaft ist immer noch dort. Trotz meines Familienbetriebs, mit dem ich natürlich auch emotional verbunden bin. Aber wenn du mit Leidenschaft eine Sache betreibst, dann brennst du Tag und Nacht dafür. So war es bei mir im Motorsport. Diese Zeit vermisse ich natürlich. Jeder Abschnitt im Leben hat seine Zeit und seine Berechtigung. Jetzt sind es eben meine Familie und die Firmen. Ich bin immer auf die Sonnenseite gefallen. Ich kann mich über keinen Abschnitt meines Lebens beklagen, auch wenn es sicher auch die ein oder andere schwierige Situation gegeben hat. Unter dem Strich habe ich in einer der besten Epochen gelebt, bin in den 80er und 90er Jahren in einer tollen Zeit Formel 1 gefahren und habe den Sport überlebt. Ich hatte das Glück, dass ich auch danach als Motorsportdirektor von BMW, mit Toro Rosso, mit meiner Arbeit für die FIA und die DTM super Aufgaben im Motorsport hatte, das alles verbunden mit meinem Geschäft. Dafür bin ich dankbar.

Gerhard Berger
Red Bull

Im Rahmen der Red-Bull-F1-Show auf dem Nürburgring nahm Gerhard Berger noch einmal im Ferrari Platz.

War der Motorsport eine gute Schule für das Leben?

Berger: Generell ist Sport eine gute Schule für das Leben, der Motorsport ganz speziell. Weil er eine Mischung aus Technik, Politik und Wirtschaft ist. Bei vielen anderen Sportarten kommt es hauptsächlich nur auf das Talent und die körperliche Herausforderung an. Im Motorsport musst du das Klavier auf allen Tasten spielen, wenn du es in die Formel 1 schaffen und dort vorne mitschwimmen willst. Das ist ein Haifischbecken, in dem du ausgeschlafen sein musst, um dich dort zu behaupten. Wenn du dann einiges davon mit ins andere Leben nehmen kannst, ist das schon mal eine gute Absprungbasis.

Man lernt in diesem Sport auch verrückte Typen kennen. Welche haben Sie am meisten beeindruckt oder geprägt?

Berger: Du baust ein wahnsinnig großes Netzwerk auf. Wenn du das ein bisschen pflegst, kannst du lange davon profitieren. In den 80er und 90er Jahren war die Formel 1 ein Treffpunkt unterschiedlichster Typen. Die einen haben Rennsport auf höchstem Niveau betrieben, die anderen sind Risiken auf höchsten Niveau eingegangen. Es gab Leute, die sich von unten hochgearbeitet haben, solche, die mit sehr viel Geld eingestiegen, und auch welche, die am Ende im Gefängnis gelandet sind. Die Mischung war einmalig. Mit Bernie Ecclestone hatten wir einen an der Spitze, der dieses Orchester perfekt geführt hat. Und wir waren ein Teil dieses Orchesters, so lange wir mitgespielt haben, wie er es vorgegeben hat. Das war schon eine prägende Zeit. Ich bin in einer kleinen Ortschaft in Tirol aufgewachsen und war Mechaniker in einer LKW-Werkstatt. Da war Motorsport weit weg. Und dann bin ich für Ferrari Formel 1 gefahren. Mehr durfte ich nicht erwarten.

Was waren so Ihre ersten Erinnerungen als Rennfahrer?

Berger: Ich habe im Alfasud-Cup angefangen. Eines meiner ersten Rennen fand in Imola im Rahmenprogramm der Formel 1 statt. Da habe ich das erste Mal ein Formel-1-Auto auf der Strecke gesehen. Für mich war das unheimlich weit weg. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass ich irgendwann mal in einem Formel-1-Auto sitze. Ich habe mich da in der Tosa-Kurve außen auf eine Betonmauer gestellt und geschaut, wie die Fahrer diese Kurve anbremsen. Das war für mich so beeindruckend, dass ich mir gesagt habe: Das kannst du nie. Du hast schon beim Zuschauen richtig Angst gehabt. Einer, der mir speziell aufgefallen ist, war der Michele Alboreto im grünen Tyrrell. Und ein paar Jahre später ist der mein Teamkollege bei Ferrari. Ich bin 1981 meine erste volle Rennsaison gefahren. Das war mehr ein Hobby für mich. 1984 habe ich mein Debüt in der Formel 1 gegeben. Dazwischen lagen 40 Rennen. Ich hatte nicht mal ein klares Ziel, in dem Sinne: Da möchte ich hin. Es hat sich alles wie von selbst ergeben. Das ist heute gar nicht mehr vorstellbar.

Gerhard Berger
Motorsport Images

Nach seinem Abschied als DTM-Chef hat Gerhard Berger mehr Zeit für die Familie und die eigene Firma.

Es war auch immer noch eine gefährliche Zeit?

Berger: Absolut. Ich habe in einer Zeit überlebt, in der Bellof, Gartner, Winkelhock, de Angelis, Ratzenberger, Senna und so weiter gestorben sind, und ich bin trotz einiger schwerer Unfälle immer irgendwie durchgekommen.

Als Fahrer oder Teamchef sieht man den Motorsport von innen. Heute schauen Sie von außen drauf. Wie anders ist das Bild?

Berger: Im Rückblick muss ich sagen, dass ich es zu der Zeit, als ich mittendrin war, nicht genug geschätzt habe. Ich bin wie gesagt immer so hineingeschliddert. Selbst wenn ich ein Rennen gewonnen habe, war das Wichtigste, so schnell wie möglich wegzukommen, statt an der Strecke zu bleiben und mit dem Team zu feiern und es zu genießen. Keke Rosberg hat auf dem Weg zum Podium einmal zu mir gesagt: ‚Genieße es, denn die Tage sind selten, an denen du Gelegenheit dazu hast.‘ Er hatte Recht. Das gilt eigentlich für alle, mit Ausnahme der Supertalente wie Senna, Schumacher, Hamilton oder Verstappen. Heute beobachte ich den Motorsport als Zuschauer, mal mit mehr, mal mit weniger Begeisterung. Mit jedem Jahr wird der Abstand ein bisschen größer, auch weil du die neuen Leute nicht mehr so gut kennst. Wenn du aber so tief in dem Geschäft warst wie ich, kannst du das große Bild immer noch sehr gut abschätzen und erkennen, auf was es ankommt und auf was nicht.

Wo sehen Sie den Motorsport heute in einer Zeit, in der das Automobil immer mehr unter Druck gerät?

Berger: Den Gesamt-Motorsport sehe ich kritisch. Die Formel 1 hat da eine Sonderstellung. Das ist eine Mischung aus Riesensport und Riesenshow. Da sollten auch diese Fragen, ob Hybrid, Elektroantrieb, Wasserstoff oder E-Fuels nicht die entscheidende Rolle spielen. Auf der Ebene geht es darum, die Fans zu begeistern und mitzunehmen. Da ist das Wichtigste, dass der Sport auf der Strecke spannend und ausgeglichen ist und dass die Zuschauer das Gefühl haben, außergewöhnliche Leistungen zu sehen. Die vollen Tribünen sind im Moment noch ein Beweis dafür, dass die Rechnung aufgeht. Der restliche Motorsport leidet unter den gesellschaftlichen Zwängen. Erstens ist die Technologie der Zukunft noch nicht so richtig klar. Da gibt es noch einige Fragezeichen, wo die Reise hingeht. Andererseits hat man inzwischen gemerkt, dass der reine Elektroantrieb nicht so super für den Motorsport geeignet ist. Was ich auch kritisch sehe ist, dass der Motorsport als Testlabor nicht mehr so funktioniert wie früher. Heute haben Simulationen und Prüfstandsarbeit weitgehend die Erfahrungen auf der Rennstrecke ersetzt. Red Bull fährt auf höchstem Niveau und hatte die ganze Saison nicht einen Defekt. Zu meiner Zeit unvorstellbar. Da ist immer mal was gebrochen oder dir ist kurz vor Schluss das Benzin ausgegangen, weil man den Verbrauch nicht so genau berechnen konnte. Das wird heute durch perfekte Vorbereitung alles verhindert.

Sie waren letztes Jahr in Monza beim Grand Prix und in Valencia beim MotoGP-Finale. Wie unterscheiden sie diese beiden Serien?

Berger: Der Motorradsport ist brutaler und bodenständiger. Damit meine ich nicht die Technik. Das ganze Umfeld ist lockerer im Umgang, näher dran am Fan. Die Formel 1 ist in ihrer ganzen Einstellung her abgehobener. Alles wird der Perfektion untergeordnet, alles berechnet. Wenn sich da ein Fahrer den Finger verstaucht, sind gleich Ärzte und Physios zur Stelle, und das Ganze ist eine Riesenstory. In der MotoGP bricht sich ein Fahrer am Morgen die Schulter und sitzt übertrieben gesagt am Nachmittag schon wieder auf seiner Maschine. So stellt man sich Superstars vor, die einerseits eine Höllenmaschine beherrschen, dann aber auch die Zähne zusammenbeißen, wenn es einmal wehtut. In der Formel 1 jammern die Fahrer, wenn es mal zu heiß ist wie in Katar. Wir sind zu meiner Zeit bei 40 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit in Rio gefahren. Und wir mussten nebenher noch mit der Hand schalten. Ich will nicht sagen, dass es damals schwerer war, es war aber auch nicht leichter. Natürlich gibt es bei der Risikobereitschaft Limits. Ich war letztes Jahr auf der Isle of Man. Da bin ich nach einem Tag abgereist. Das ist einfach zu viel Risiko, zu viel Gefahr. Auf der anderen Seite liegt die Formel 1, was das angeht, zu weit drunter. Die MotoGP ist die goldene Mitte.

Gerhard Berger & Helmut Marko
Red Bull

Gerhard Berger rät Red Bull, sich nicht auf den Lorbeeren auszuruhen.

Die Formel 1 hat eine beispiellose Dominanz von Max Verstappen gesehen. Fährt er schon auf dem Niveau der ganz Großen wie Senna oder Schumacher?

Berger: Ich bin bei der Frage ein bisschen befangen. Weil ich mit und gegen Ayrton Senna gefahren bin, setze ich ihn meistens auch an die erste Stelle. Da beginnt aber schon die Frage: Wie bewertet man so etwas? Eigentlich geht es nur mit Fakten oder Zahlen. Und da musst du Michael Schumacher an die erste Stelle setzen. Senna hat mit seinem Talent und seinen übernatürlichen Fähigkeiten im Auto beeindruckt. Jetzt, mit Max Verstappen haben wir aber einen, da zweifle ich selbst, ob meine alte Wertung noch stimmt. Max hat in der letzten Saison nicht einen Fehler gemacht. Dem Senna ist das wenigstens hin und wieder noch passiert. Senna und Schumacher haben seinerzeit davon profitiert, dass sie von klein auf im Kart gefahren sind und nichts anderes im Leben gemacht haben, als Rennen zu fahren. Das trifft heute auf alle Fahrer zu. Verstappen aber fährt in seiner Freizeit noch virtuell Rennen am Simulator. Manchmal drei am Tag. Der ist also immer mit diesem Thema beschäftigt. Er spielt gedanklich durch, wo man überholen kann und wo nicht. Dieses Werkzeug hatten weder Senna, Schumacher noch Hamilton. Es fällt einfach auf, dass Max immer am richtigen Platz ist. Am Start, in der ersten Kurve, im Zweikampf. Ich finde nichts, was man noch besser machen könnte als er. Deshalb ist Max Verstappen wahrscheinlich der Beste, den wir je in der Formel 1 gesehen haben.

Wie erklären Sie sich diese langen Dominanzen über Jahre hinweg in der Formel 1?

Berger: Ich finde das wahnsinnig interessant, weil sich solche Dominanzen immer wiederholen. Mal war es McLaren, mal Williams, Ferrari, Mercedes oder Red Bull. Aber sie gehen alle irgendwann zu Ende, und meistens aus einem ähnlichen Grund. Wer alles gewinnt, wie jetzt Red Bull, wird keine radikalen Veränderungen vornehmen. Du hast ja eine gute Basis und auf der baust du immer wieder auf. Davon profitiert man auch eine ganze Weile. Aber dann kommt der Moment, an dem der Zweite oder Dritte diesen radikalen Schritt geht, weil er einen großen Sprung machen muss, um wieder nach vorne zu kommen. Wenn der dann gelingt, wendet sich das Blatt. Langjähriger Erfolg macht auch etwas mit den Leuten im Team selbst. Sie sind zwangsläufig irgendwann übersättigt und suchen sich eine neue Herausforderung. Oder sie werden von anderen Teams abgeworben. Nicht nur mit Geld. Das neue Team gibt ihnen das Gefühl, wichtig zu sein. Beim alten fühlen sie sich nur als Teil vom Erfolg. Wenn dann bei einem Team zwei oder drei Schlüsselpositionen rausfallen, verschiebt sich das Kräfteverhältnis. Mir selbst ist das auch passiert. Eigentlich gab es Ende 1989 keinen Grund, von Ferrari wegzugehen. Ich wollte aber eine neue Herausforderung, und das war damals McLaren.

Sehen Sie eine Chance, dass Red Bull dieses Jahr Konkurrenz bekommt?

Berger: In der Formel 1 kommt es immer anders, als man denkt. Die Latte liegt sehr hoch. Wenn Red Bull seine Truppe so zusammenhält, wird es schwer sie einzuholen. Funktionieren kann es nur, wenn die anderen radikale Schritte machen. Ferrari traue noch am meisten zu. Sie waren in der zweiten Saisonhälfte besser, als es die Ergebnisse gezeigt haben. Mercedes und Hamilton darf man nie unterschätzen, und auch McLaren macht einen sehr guten Job.

Wie lange hält die Formel 1 eine solche Überlegenheit aus?

Berger: Wir haben schon zu Schumachers Zeiten gesagt: Das kann nicht lange gutgehen. So eine Dominanz weckt aber auch eine gewisse Begeisterung, selbst bei mir. Du bist dann einfach von der Perfektion gefangen. Dass der Fahrer wieder keinen Fehler macht, dass das Team wieder jeden Boxenstopp in Bestzeit abspult, dass das Auto wieder nicht stehenbleibt und der Motor wieder hält. Das übt schon eine Faszination aus und man will einfach wissen, ob es beim nächsten Mal wieder so sein wird.

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