Gerhard Berger im Interview: "Ferrari holt einen Titel"

Gerhard Berger im Interview
„Ferrari holt einen Titel“

Zuletzt aktualisiert am 11.02.2025

Wie hat Ihnen die Formel-1-Saison 2024 gefallen?

Berger: Eigentlich ganz gut, weil endlich diese Überlegenheit von einem Team beendet war. Wir haben das ja oft genug erlebt. Ferrari mit Schumacher, Mercedes mit Hamilton, Red Bull mit Verstappen. Alles drehte sich um einen Mann, und das ist genau das, was der Sport nicht braucht. So eine Situation ist zwar sehr erfreulich für das jeweilige Team und den Fahrer, aber als Zuschauer will ich mehr Abwechslung, unterschiedliche Teams und Fahrer, die gewinnen können. Ich habe viele Jahre lang gesagt, dass ich mir die MotoGP lieber anschaue, weil ich bis zur letzten Kurve nicht weiß, wer gewinnt. Bei der Formel 1 wusste ich es lange Zeit schon nach der ersten Kurve. Das hat sich letztes Jahr geändert. Da musste man sich das Rennen bis zum Ende anschauen. Wenn sich das jetzt noch weiterentwickelt und unter schwierigen Bedingungen auch mal ein Außenseiter gewinnt, dann ist die Formel 1 wieder dort, wo sie hinsoll.

Hätten Sie geglaubt, dass Red Bull den großen Vorsprung von 2023 quasi in einem Winter verspielt?

Berger: Es ist bekannt, dass du für den Aufbau viel länger brauchst als für den Abbau. Aber kein Mensch hätte gedacht, dass nur mal ein halbes Jahr nach dem Tod von Didi Mateschitz alles zerbröckelt.

Haben die politischen Spielchen bei Red Bull zu Saisonbeginn zu dem Niedergang beigetragen?

Berger: Es ist oft der Anfang vom Ende, wenn solche Themen losgetreten werden. Die Formel 1 ist so komplex und so umkämpft, dass man nur Erfolg haben kann, wenn alle im Team an einem Strang ziehen, wenn sich alle einig sind und gut miteinander kommunizieren. Die Marke Red Bull hat immer Fröhlichkeit und ein cooles Image ausgestrahlt. Auf einmal hat sich alles geändert. Völlig untypisch für das Team gibt es keine klaren Aussagen mehr. Nehmen wir das Beispiel Perez. Dass der nicht mehr die Leistung bringt, hat man gesehen. Dass man ihm trotzdem wieder einen Vertrag gibt, hat in der Fachwelt keiner verstanden. Es mag Gründe gegeben haben, wie Marketingzwänge oder die Vertragslage. Aber als es danach auch nicht besser wurde, hat man ihm noch drei Rennen gegeben und dann noch zwei und sich um eine Entscheidung herumgedrückt. Ich konnte da keine klare Linie erkennen. In Mateschitz-Zeiten war Red Bull immer für Klarheit berühmt.

Gerhard Berger & Max Verstappen - Formel 1 2024
xpb

Gibt es überhaupt einen, der mit Verstappen mithalten kann?

Berger: Verstappen ist der beste Fahrer, gar keine Frage. Vorher aber saß der beste Fahrer im besten Team. In der Zwischenzeit aber holt Max die Kohlen aus dem Feuer. Jetzt wird es spannend zu sehen, ob Red Bull wieder zur alten Stärke zurückkehren kann, oder ob Verstappen weiter Schwierigkeiten hat zu gewinnen. Dann wird er sich überlegen, ob er noch im richtigen Team ist.

Wen würden Sie neben Verstappen ins Auto setzen?

Berger: Es gibt wahrscheinlich keinen, der ihm richtig Dampf macht. Ich hätte aber auf alle Fälle Carlos Sainz genommen. Auch wenn ich es jetzt auch nicht schlecht finde, dass sie Lawson neben Max gesetzt haben, obwohl es für den jungen Burschen vielleicht besser gewesen wäre, bei Toro Rosso erst mal weiter Erfahrung zu sammeln. Mir hat Lawson schon in der DTM gefallen. Da war er schneller und aggressiver als Albon, und Albon macht ja bei Williams einen guten Job. Deshalb habe ich damals dem Helmut [Marko] empfohlen, sich den mal anzuschauen. Ich glaube, Verstappen und Lawson kann eine gute Paarung werden.

Verstappen ist letztes Jahr neun Mal Vierter, Fünfter oder Sechster geworden. Früher gab es bei ihm nur alles oder nichts. Hat er gelernt zu verlieren, damit aber Punkte für die WM zu hamstern?

Berger: Verstappen ist auch in dieser Hinsicht gereift. Auch Hamilton hat das irgendwann gelernt. Das sind die echten Champions. So nehmen sie die Meisterschaften mit.

Lando Norris - Max Verstappen - McLaren - Red Bull - GP Österreich 2024 - Spielberg - Formel 1
Wilhelm

Im Zweikampf ist Verstappen nach wie vor beinhart. Hätte Norris mehr gegenhalten sollen?

Berger: Ich glaube, Norris war noch nicht reif für den Titel im Duell mit Verstappen. Vielleicht sind McLaren und sein Auto auch ein bisschen zu spät zum Siegerteam geworden. Grundsätzlich macht Norris einen sehr guten Job. Er ist ein extrem talentierter Fahrer. Seine Fehler versucht man ihm als mentale Schwäche auszulegen. Aber erinnern wir uns zurück. Auch Verstappen hat am Anfang seine Fehler gemacht. Mit der Erfahrung wurde das immer weniger. Das wird auch mit Norris passieren.

Oscar Piastri hat sich von Verstappen nichts gefallen lassen und dagegengehalten. Ist das nicht der bessere Umgang mit einem wie Max?

Berger: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Diese Härte kann zum Vorteil und zum Nachteil werden. Wenn du auch rausfliegst, gehen dir die Punkte am Ende des Jahres ab. Und da hast du nichts gewonnen. Die Mehrfach-Weltmeister handeln meistens clever. Als Fahrer musst du schon abschätzen können, wer fliegen geht, wenn man dagegenhält. Verstappen liegt da meistens richtig. Er hat den absoluten Überblick, wie er sich positionieren muss, ob außen oder innen, wo es geht und wo nicht. Das kommt vom Kartfahren und vom Sim-Racing. Er hat die unterschiedlichen Szenarien schon x-mal im Simulator erlebt.

Würden Sie jedem jungen Fahrer dieses Werkzeug empfehlen?

Berger: Absolut.

Hätten Sie sich in Ihrer Zeit als 30-Jähriger noch umstellen können, wenn es diese Heim-Simulatoren damals schon gegeben hätte?

Berger: Nein. Das ist eine Generations-Sache.

Gerhard Berger & Liam Lawson - DTM 2021
Alexander Trienitz via Getty Images

Dieses Jahr fahren sechs Rookies im Feld mit. Ist das eine gute Entwicklung?

Berger: Ich finde, ja. Überraschend war, wie leicht sich im letzten Jahr die Rookies in diesen Autos getan haben. Entweder sind die Autos nicht so anspruchsvoll, oder die jungen Piloten sind heute besser vorbereitet.

Auf welche Fahrer müssen wir in den nächsten Jahren am meisten aufpassen?

Berger: Die Reihenfolge im Feld ist ziemlich klar. Oben steht Max über allen anderen. Dahinter hast du auf Augenhöhe Norris, Leclerc, Russell, Hamilton. Piastri klopft da schon an. Mal ist er da, mal nicht. Dem müssen wir noch dieses Jahr Zeit geben, um ihn endgültig beurteilen zu können. Es scheint aber so, dass einige der älteren Fahrer wie Ricciardo, Bottas oder Magnussen mit diesen Groundeffect-Autos nicht so zurechtgekommen sind. Ich weiß nicht, ob das an den Autos lag. Vielleicht waren sie einfach über ihren Zenit hinaus. Die Autos waren ja ziemlich ausgeglichen, und wenn dann ein junger Fahrer reinkommt, mit dem Spirit eines Rookies, dann tun sich die Älteren schwer. Nur noch Alonso bringt es gut hin, aber das sind Einzelfälle.

Wie sehen Sie die Situation bei Lewis Hamilton, der ja doch von George Russell meistens geschlagen wurde?

Berger: Ich glaube, Hamilton braucht eine neue Motivation. Er hat zwei Probleme gehabt: Der Mercedes war nur in Ausnahmefällen ein Siegerauto, und er war nun schon so lange im gleichen Team, dass da nur noch ein Tapetenwechsel hilft. Fünfter zu werden, ist für Hamilton kein Ergebnis, das ihn antreibt. Der wird bei Ferrari noch einmal richtig auf die Zähne beißen und könnte durchaus noch einmal zur Höchstleistung auflaufen. Andererseits glaube ich, dass er sich gegen den Speed von Leclerc schwertun wird. Das wird eine ganz enge Kiste.

Gerhard Berger & Lewis Hamilton - Formel 1 2015
xpb

Hamilton und Ferrari: Passt das zusammen?

Berger: Ja. Wenn Hamilton auf Ferrari Weltmeister werden könnte, wäre das vom Marketing her das Größte, was es in der Formel 1 jemals gegeben hat.

Welche Chancen geben Sie Ferrari?

Berger: Ich würde mein Geld in dieser Saison auf Ferrari setzen. Ich kann zwar nicht sagen, ob Hamilton oder Leclerc, ob die Weltmeisterschaft der Fahrer oder Konstrukteure, aber einen Titel holen sie. Das ist mein persönlicher Eindruck. Ferrari war letztes Jahr fast immer schnell, mit ein paar Ausrutschern. Fred Vasseur traue ich zu, dass er diese Volatilität auch noch rauskriegt. Das hat ein bisschen gedauert, aber ich glaube, sie sind ganz nahe dran. Sie sind bei Motor und Chassis gut aufgestellt, haben Top-Fahrer. Vasseur macht einen guten Eindruck. Er ist ruhig, überlegt, immer am Punkt, und er liefert ab. Das war bei allen Stationen in der Motorsport-Welt so, wo er bis jetzt war. Es war eine gute Entscheidung von Ferrari, ihn zu verpflichten. Und es war klar, dass es ein oder zwei Jahre dauern würde, bis sich seine Arbeit auszahlt. Jetzt habe ich das Gefühl, dass es beginnt zu wirken. Dass er Hamilton geholt hat, finde ich auch super. Vasseur wird Ferrari wieder an Spitze bringen.

2026 kommt Audi in die Formel 1. Wie schwer werden die sich tun?

Berger: Sehr schwer. Das liegt aber nicht an Audi. Bis jetzt ist noch kein Neueinsteiger über Nacht zum Überflieger geworden. Das ist ein hochkomplexes Geschäft und eine Knochenarbeit. Dann hängt es davon ab, ob die Entscheidungsträger auch die richtigen Weichen stellen. Budget und Infrastruktur sind vorhanden. Sie haben mit Mattia Binotto und Jonathan Wheatley an der Spitze zwei kompetente Leute. Sie werden ein turbulentes erstes Jahr haben, aber sie werden ihren Weg machen, wenn sie vom Konzern kontinuierlich unterstützt werden. Beim Antriebsstrang wird es auch schwierig, doch da traue ich ihnen am ehesten zu, dass sie konkurrenzfähig sein werden. Da haben sie mit Stefan Dreyer und Adam Baker gutes Personal.

Also eine bessere Startbasis als das Cadillac-Werksteam, das wirklich auf der grünen Wiese beginnt?

Berger: Da schätze ich Audi stärker ein.

Gerhard Berger & Flavio Briatore - Formel 1 2024
xpb

Haben Sie nachvollziehen können, dass man Cadillac so lange ausgesperrt hat?

Berger: Ich habe es nicht verstanden, aber vielleicht gibt es da ja etwas im Hintergrund, das ich nicht weiß. Egal, ob das Team Andretti oder Cadillac heißt. Andretti ist einer der wichtigsten und bekanntesten Namen im Motorsport, in Amerika ein absolutes Schwergewicht. Was will man mehr als ein amerikanisches Team mit einem amerikanischen Fahrer und der Power von Cadillac dahinter? Auch wenn die erst einmal zwei Jahre lang eine Durststrecke haben werden. Ja, Cadillac nimmt den anderen Teams ein bisschen Geld vom Kuchen weg, bringt aber auch neue Sponsoren. Da hätte man eine bessere Lösung finden müssen, als sich zwei Jahre zu streiten.

Flavio Briatore, ein ehemaliger Teamchef von Ihnen, ist wieder zurück. Was trauen Sie ihm bei Alpine zu?

Berger: Flavio ist genau der richtige Mann. Das zeigt sich ja schon jetzt. Er hat in kürzester Zeit das Team auf links gedreht, das jahrelang im gleichen Sumpf unterwegs war. Viele haben sich daran probiert, aber keiner hat den Laden weitergebracht. Flavio reichen sechs Monate. Und ich glaube, das wird noch besser. Es ist natürlich eine brutale Entscheidung, Motoren bei Mercedes einzukaufen, statt die eigenen Renault-Motoren zu nehmen, aber für die reine Performance war es wahrscheinlich der richtige Schritt. Da kann man Alpine-Präsident Luca de Meo nur gratulieren.

Haben Sie eigentlich noch Kontakt zu Ihren alten Teamchefs?

Berger: Ja, mit allen aus meiner Formel-Welt, die heute noch da sind. Sogar mit Luca di Montezemolo. Ich habe im Sommer ein paar Tage Urlaub mit ihm verbracht. Ich stehe mit allen regelmäßig in Verbindung. Mit Ron Dennis vielleicht am wenigsten. Mit Ron habe ich letztes Jahr mal länger telefoniert.

Sie haben jetzt Abstand zu dem Sport gewonnen, sind nicht mehr aktiv involviert. Wie hat das Ihren Blick verändert?

Berger: Ich habe einen achtjährigen Sohn und bin mit ihm am Anfang seiner Kart-Zeit dabei. So habe ich noch ein bisschen Beziehung zum Sport. Natürlich schaue ich noch die Formel-1-Rennen im Fernsehen, aber eher als Fan mit einer gewissen Distanz. Was mir, wie schon eingangs erwähnt, positiv fällt, ist die Ausgeglichenheit im Feld. Ich hoffe, dass das neue Reglement 2026 das nicht wieder zu einer Einmann-Show zurückdreht. Kritisch sehe ich die vielen Rennen im Kalender. Früher konnte man sich gar nicht vorstellen, ein Rennen auszulassen. Jetzt, wo fast jedes Wochenende ein Grand Prix stattfindet, gehst du im Sommer auch mal baden, wenn das Wetter schön ist, und schaust dir nachher die Zusammenfassung an. Du hast nicht das Gefühl, was verpasst zu haben. Ich sehe auch noch ein Problem für die Familien der Ingenieure und Mechaniker, die immer bei allen 24 Rennen dabei sein müssen. Die müssen auch mal daheim sein. Da wird der Budgetdeckel zum Problem. Man hat gar nicht mehr das Geld, Leute links und rechts zum Rotieren einzustellen.