Hat George Russell vor den Formel-1-Kommissaren gelogen?

Das lief wirklich im Büro der F1-Sportkommissare
Hat Russell gelogen?

GP Abu Dhabi 2024
Zuletzt aktualisiert am 06.12.2024

Max Verstappens Ärger über George Russell war auch fünf Tage nach dem Streitfall mit dem Engländer in Katar nicht verraucht. Nicht nur die Startplatzstrafe, die ihn die Pole-Position kostete, ärgerte den Niederländer. Es war die Art, wie George Russell die Behinderung im Q3 aufbauschte.

Kurz noch einmal, was passiert ist. Verstappen befand sich auf seiner zweiten Abkühlrunde vor dem entscheidenden Q3-Versuch. Russell war auf einer Vorbereitungsrunde, die der Definition nach eine fliegende Runde ist, weil sie der Aufwärmrunde aus den Boxen heraus folgt und daher fliegend beginnt. Das war auch die Grundlage für die finale Strafe.

Für Verstappens Red Bull war es optimal, die Reifen zu Beginn der schnellen Runde in einem bestimmten Temperaturfenster zu halten, um dann über die gesamte Runde optimalen Grip zu haben und nicht im dritten Sektor einzubrechen. Der Abkühlprozess war präzise darauf abgestimmt. Der Mercedes von Russell brauchte dagegen zu Beginn der Runde etwas mehr Reifentemperatur und damit eine etwas aggressivere Runde davor.

Max Verstappen - Red Bull - GP Abu Dhabi 2024 - Yas Marina - Formel 1
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Verstappen wollte nur nett sein

Zwischen den Kurven 12 und 13 kam es zum Aufeinandertreffen der beiden Fahrer. Verstappen war zu dem Zeitpunkt rund 140 km/h langsamer als Russell und fuhr nach Meinung des Mercedes-Piloten unnötig langsam auf der Ideallinie. Verstappen hielt dagegen: "Ich sah im Rückspiegel Norris und Alonso anfliegen und wollte nur nett zu ihnen sein und ihnen nicht im Weg stehen. Natürlich fährst du auf deinen Aufwärmrunden so weit wie möglich auf der normalen Linie, weil du mit den Reifen keinen Dreck aufsammeln willst."

Russell erwiderte, dass ihm genau das passiert sein, weil er Verstappen ausweichen musste. Damit sammelten seine Reifen Schmutz auf. Der Formel-1-Weltmeister hält das für eine maßlose Übertreibung und unterstellte dem Gegner, dass er von vornherein darauf aus war, ihn in eine Falle zu treiben. "Dann sah ich in meinem Spiegel ein Auto schnell aufschließen, dessen Fahrer schauspielerte, um zu demonstrieren, dass ich ihn in die gefährlichste Aktion aller Zeiten gebracht habe und dass er dabei fast gestorben wäre."

George Russell - Mercedes - GP Abu Dhabi 2024 - Yas Marina - Formel 1
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Russell beruft sich auf Fakten

Als die beiden Fahrer zu den Formel-1-Sportkommissaren gerufen wurden, glaubte Verstappen seinen Ohren nicht zu trauen. "Ich wusste gar nicht, was ich da sollte. Ich habe keinen behindert. Ich wollte mich nicht in Schwierigkeiten bringen und steckte plötzlich mitten drin. Ich hätte nie gedacht, dass ein Fahrerkollege aktiv versucht einem anderen eine Strafe reinzudrücken und dabei noch lügt bei den Dingen, die er mir vorwirft."

Russell belehrte Verstappen, dass er vor den Sportkommissaren nur Fakten vorgetragen habe. "Ich musste nicht lügen, denn alles lag auf dem Tisch." Jedes Team und jeder Fahrer hätte in der gleichen Situation alles getan, um für seinen Vorteil anzutreten. "Als Fahrer kämpft man sowohl auf der Strecke als auch bei den Kommissaren. Max hat es am nächsten Tag genauso gemacht, als er sein Team aufforderte, nachzuprüfen, ob Lando Norris unter Gelb vom Gas gegangen war." Verstappen konterte, dass er nur nachfragen wollte, ob es wirklich so war.

Es ist auch klar, dass die Formel-1-Fahrer vor dem Gang zu den Schiedsrichtern von ihrem Team mit den bestmöglichen Argumenten und Fakten gefüttert werden, um das gewünschte Ergebnis rauszuholen. Egal, ob man in der Defensive oder Kläger ist.

Max Verstappen - George Russell - Red Bull - Mercedes - Formel 1 - 2024
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Russells zwei Anklagepunkte

Doch was wurde tatsächlich im Büro der Sportkommissare gesprochen? War da irgendetwas dabei, was man Russell als Lüge auslegen konnte? Der Mercedes-Pilot warf seinem Kontrahenten zwei Dinge vor. Er berichtete, dass Verstappen zu dem Zeitpunkt bereits 18,5 Sekunden über seiner Delta-Zeit lag und eigentlich das Gegenteil hätte tun müssen, wenn er bis zum Ende der Runde das aufholen wollte. Immerhin befand man sich schon im dritten Sektor in Kurve 12.

Er selbst musste Gas geben, um innerhalb seiner eigenen Delta-Zeit zu bleiben. Keiner der beiden konnte sich wirklich auf Verkehr berufen, der einzigen Entschuldigung diese Delta-Zeit nicht einzuhalten. Die Details konnte Russell natürlich nur von seinem Team wissen, die ihn vorher mit allen Zeiten und Geschwindigkeiten der beiden Autos munitioniert hatten.

George Russell - Mercedes - Formel 1 - GP Katar - 29. November 2024
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Hektische Lenkbewegung ohne Einfluss

Russells zweiter Anklagepunkt war, dass Verstappen in dieser Kurve unnötig langsam auf der Ideallinie fuhr, was ihn gezwungen habe auszuweichen und mit den linken Rädern das Kiesbett zu streifen. Die Reifen wären danach schmutzig und nicht im optimalen Temperaturbereich gewesen.

Russell erwähnte, dass dieses Intermezzo Verstappen die bestmögliche Reifenvorbereitung erlaubte, er dagegen mit dem Nachteil leben musste. Bei einem Unterschied von 55 Tausendstel hätte das den Unterschied zwischen Pole-Position und Platz zwei ausmachen können.

Verstappen echauffierte sich auch, dass Russell den Vorfall durch absichtlich hektische Lenkbewegungen dramatisiert hätte. Die Sportkommissare winken ab. Russells theatralisches Gehabe am Lenkrad hat null Einfluss gehabt. "Wir kennen unsere Pappenheimer. Alonso hat vor Jahren mal das Gleiche getan, um einen Unsafe-Release eines anderen Teams noch gefährlicher aussehen zu lassen. Auf so etwas fallen wir nicht rein. Uns interessieren nur die Fakten."