Es läuft nicht bei Alpine. Der französische Nationalrennstall liegt in der WM-Tabelle nur an achter Stelle. Sogar das kleine Haas-Team steht besser da. Haas hat 250 Angestellte und lässt sich 50 Prozent des Autos von Ferrari bauen. Alpine beschäftigt 850 Menschen in der Chassis-Fabrik in Enstone und noch einmal 340 am Standort Viry-Châtillon, wo seit 1977 sämtliche Formel-1-Motoren von Renault entwickelt werden.
Der Plan von Renault-Präsident Luca de Meo, seine Sportwagen-Marke Alpine mit Erfolgen in der Formel 1 wieder strahlen zu lassen, ist grandios schiefgegangen. In seiner Not rief Renaults ranghöchster Manager Flavio Briatore zu Hilfe. Der mittlerweile 74-jährige Italiener soll in beratender Funktion die Brände löschen, die im Laufe der Jahre gelegt wurden und zu dem Absturz geführt haben. Drei Wechsel an der Spitze des Teams haben nichts bewirkt.
Wiederholt sich Geschichte?
Briatore ist seit 2009 raus aus dem Geschäft und ein wenig in die Jahre gekommen. Doch der Mann mit dem Playboy-Image ist ein heller Kopf. Er hat den Benetton-Rennstall 2001 in einem ähnlichen Zustand übernommen und dann als Renault 2005 und 2006 zu zwei WM-Titeln geführt. Warum sollte sich Geschichte nicht wiederholen?
Die Formel 1 von damals ist mit der von heute nicht mehr zu vergleichen. Was zu Briatores früherer Amtszeit zum Erfolg führte, lässt sich in jedem Fall auf die Gegenwart übertragen. Deshalb beschränkt sich sein Renovierungsplan auf grundsätzliche Dinge. Für die Details sind andere zuständig. Zum Beispiel der neue Teamchef Oliver Oakes und Technikdirektor David Sanchez.
Wenn man Briatore predigen hört, dann fühlt man sich an seine glorreiche Zeit erinnert. Braun gebrannt, weißes Haar, nuschelnde Stimme. Ein Unterhalter par excellence. Er kann in wenigen Worten mehr erzählen als andere in ganzen Romanen. Briatore denkt schwarz-weiß. Kompromisse gibt es mit ihm nicht.
Die Fehler des Managements
Für Briatore liegt alles an den Menschen: "Sie machen eine Firma aus und nicht umgekehrt." Bei seiner Bestandsaufnahme sei ihm aufgefallen, dass dem Team der Rennspirit fehlt. Die graue Eminenz im Hintergrund schiebt alle Fehler auf das frühere Management: "Es waren die falschen Leute, und die Liste der falschen Leute ist lang." Dann packt er den eisernen Besen aus. "Wir haben einen konkreten Plan. Wer mitmachen, will kann bleiben. Der Rest muss gehen."
Bei seinem Wiedersehen mit der Fabrik in Enstone stellte der frühere Meistermacher fest: "Das ist ein Monster geworden, das man nicht von Paris aus lenken kann. Für meinen Geschmack ist das Team auch zu groß. Nicht die Zahl der Mitarbeiter macht den Erfolg, sondern ihre Qualität."
Das ist so ein Punkt, wo sich die beiden Epochen nicht miteinander vergleichen lassen. Vor 20 Jahren konnte man mit einer schlanken Struktur durchaus noch Erfolg haben. Heute schreibt die Budgetdeckelung den Teams die Mitarbeiterzahl quasi vor. Um den nötigen Anteil an Eigenproduktion sicherzustellen, braucht man zwischen 800 und 900 Mitarbeiter.
Provokation für die Patrioten
Zuerst einmal musste ein neuer Teamchef her. Alpines Reanimator fand ihn in der Formel 2. Oliver Oakes hat mit seinem HitechGP-Team ausreichend Erfahrung gesammelt. Der 36-Jährige erfüllt alle Anforderungen seines Förderers: "Er ist jung, ambitioniert, leidenschaftlich, und er ist Engländer. Das kommt in Enstone gut an", grinst Briatore. Vielleicht nicht so sehr in Frankreich. Es ist für die Patrioten ein Puzzlestein mehr, dass Alpine seine Identität verliert.
Mit solchen Befindlichkeiten hält sich Briatore nicht lange auf. Er rechnet damit, dass im Erfolgsfall alle wieder Franzosen sind. "Wenn du gewinnst, sind alle im Team Champion. Auch die Putzfrau." Und bis dahin ist die Nationalität egal. Deshalb kann er auch gut damit leben, dass sein Auftraggeber die Motorenfabrik in Viry-Châtillon stilllegen und dort Technologien für Elektroautos entwickeln will. "Diese Entscheidung fiel vor meiner Zeit. Ich bin nicht immer der Bösewicht", wäscht Briatore seine Hände in Unschuld.
Widerstand von der Motorenfraktion
Alpine plant ab 2026 mit Mercedes-Motoren. Das würde den Motoren-Etat von 130 auf 17 Millionen Dollar drücken, zuzüglich Kosten für die E-Fuels, die Kundenteams voll bezahlen müssen. Die Rechnung kann am Anfang 25 Millionen Dollar extra ausmachen. Briatore glaubt nicht, dass die Abhängigkeit von einem fremden Motorenhersteller ein Nachteil sein muss: "McLaren baut seine Motoren auch nicht selbst und gewinnt trotzdem Rennen."
Das Kapitel Viry-Châtillon hat aber noch ein Nachspiel. Zunächst müssen die Gewerkschaften zustimmen. Keiner der 340 Mitarbeiter darf seinen Job verlieren. Das ist aber nur schwer möglich, weil die Formel-1-Ingenieure gar nicht qualifiziert dafür sind, an den Straßenprojekten zu arbeiten, die künftig für Viry-Châtillon vorgesehen sind.
Mittlerweile regt sich auch Widerstand in der Belegschaft selbst. Sie bittet de Meo inständig, seine Entscheidung noch einmal zu überdenken. "Es tut weh zu sehen, dass sich Alpine einem fremden Motorhersteller zuwendet und dafür ein Juwel französischer Technologie mit einer 50-jährigen Historie sterben lässt. Herr de Meo hat uns einst versprochen, dass Alpine zu seinen Wurzeln zurückkehren muss, dass nur Innovation zählt und Geld keine Rolle spielt. Wir fühlen uns in diesen Versprechen betrogen."
Sainz hätte nicht den Unterschied gemacht
Briatore lässt sich durch die Politik im Hintergrund nicht von seinem Weg abbringen. Er sieht es als Auftrag, Präsident de Meo wieder glücklich zu machen: "Luca ist mit Herz dabei, er hat Renault in der Formel 1 gehalten und hat auch durchgehalten, als die Ergebnisse schlechter wurden. Wir sind es ihm schuldig, Alpine wieder strahlen zu lassen."
Für Briatore stand Alpine in den letzten drei Jahre in der Ecke und nahm gar nicht richtig am Geschehen teil. Um das abzustellen, braucht er mehr als einen neuen Teamchef. Jetzt taucht Adrian Newey auch auf der Alpine-Wunschliste auf. Doch Briatore warnt: "Ein Mann allein macht nicht den Unterschied. Er muss ins Team passen, und der Preis muss sich rechtfertigen."
Deshalb ist Briatore auch nicht enttäuscht, dass sich Carlos Sainz für Williams entschieden hat. "Unser Problem ist das Auto, nicht die Fahrer. Es bringt nichts, in einen Fahrer wie Sainz zu investieren, wenn der nicht den Unterschied machen kann." Briatore rechnet frühestens 2027 mit Erfolgen. "Der Wettbewerb ist heute zu stark. Uns fehlt so viel. Das änderst du nicht über Nacht."