Singapur war das Rennen von Sergio Perez. Der Mann im zweiten Red Bull zeigte unter Flutlicht eine Weltklasse-Leistung. Nicht wenige sagen, es war die beste Fahrt überhaupt in der Karriere des Mexikaners. Besser noch als bei seinem Sieg in Monte Carlo in dieser Saison. Damals trotzte Perez ebenfalls den widrigen Bedingungen. Er brauchte aber die Unterstützung seiner Strategiechefin, um es bis an die Spitze zu schaffen.
In Singapur regelte es der WM-Dritte selbst. Er gewann den Start, und überstand nach eigener Aussage einige heikle Momente – sowohl auf den Intermediates als auch auf den Slickreifen. Perez blieb unter Renntempo tadellos. Trotz zeitweise hohem Druck von Charles Leclerc. Der Monegasse fand keinen Weg vorbei. Unter gleichwertigen Autos war es schier unmöglich, zu überholen.
Das Risiko wäre zu hoch gewesen, bei noch geringeren Haftungsverhältnissen abseits der Ideallinie in die Streckenbegrenzung zu fliegen. Singapur zählte in Summe nur 16 Überholmanöver nach der ersten Runde bis ins Ziel. Zehn davon orchestrierte Max Verstappen.

Gleiche Vergehen, nur eine Strafe
Der Start brachte also die Vorentscheidung. Da hatte Leclerc Pech, nicht von seiner Pole Position zu profitieren, weil er auf der Seite stand, die weniger Grip bot, weil dort mehr Wasser stand. Und doch hätte Ferrari dieses Rennen aus eigener Sicht gewinnen können. Das erste seit dem GP Österreich. Im Team erkannte man an, dass Perez eine starke Vorstellung bot. Jedoch haderte Ferrari mit den Entscheidungen der Sportkommissare.
Perez versäumte es drei Mal, innerhalb der zehn Wagenlängen zum Safety Car zu bleiben. Zunächst in der zehnten Runde auf den Intermediates und später in Runde 36 auf den Medium-Slicks gleich zwei Mal. Der Mann aus Guadalajara redete sich mit kalten Reifen und kalten Bremsen auf einer seifigen Rennstrecke heraus. Die Sportkommissare glaubten ihm nur so halb, und sprachen für dasselbe Vergehen unterschiedliche Urteile aus.
Für den ersten Fall gab es eine Verwarnung, für den zweiten eine Fünfsekundenstrafe. Ihr erstes Urteil begründeten die Stewards wie folgt: "Obwohl die Strecke in Teilen nass war, akzeptieren wir nicht, dass die Verhältnisse es unmöglich oder gefährlich für Perez gemacht hätten, innerhalb der weniger als zehn Wagenlängen zum Safety Car zu bleiben."
Perez mit vermeidbarem Verstoß
Mit anderen Worten: Der Verstoß wäre vermeidbar gewesen, und dennoch verzichteten die Sportkommissare darauf, es mit einer Zeitstrafe zu ahnden. Sie schreiben in ihrer Urteilsbegründung weiter: "Nichtsdestotrotz berücksichtigen wir die nassen Streckenbedingungen und die Schwierigkeiten, die Perez heraushob, als mildernde Umstände für diesen Zwischenfall und beschließen dementsprechend, dass eine Verwarnung ausgesprochen werden sollte."
Die Sportkommissare suchten eine Entscheidung mit Augenmaß. Jedoch lässt sich auch nachvollziehen, wenn der Geschädigte, in diesem Fall Ferrari, mit dem Kopf schüttelt. Zumal die zweite Untersuchung mit einer Fünfsekundenstrafe gegen Perez endete. Diesmal ließen die Stewards die Argumente des Angeklagten nicht mildernd gelten. Er hätte es nach dem ersten Verstoß besser wissen müssen. Und die Rennleitung hatte ihn kurz vor dem Restart bereits ermahnt, den korrekten Mindestabstand einzuhalten. Zwischen den Kurven neun und zehn. Das dritte Vergehen ließen sie ihm nicht mehr durchgehen.
Keine einheitliche Linie
Ein Problem ist es, wenn Untersuchungen erst mit Verspätung eingeleitet werden. Wie beim ersten Vergehen unter Safety Car von Perez. Der 32-Jährige wurde erst nach dem zweiten Verstoß von Red Bull informiert, dass eine Untersuchung gegen ihn läuft. Perez wunderte sich, was er falsch gemacht haben soll. Ein Indiz dafür, dass er nach der ersten Verfehlung nicht unterrichtet wurde. Bei einer Info der FIA hätte Red Bull seinen Fahrer informiert. Dann hätte Perez den gleichen Fehler wahrscheinlich nicht ein zweites Mal gemacht.
Ein Ärgernis ist es, wenn vermeintlich einfache Urteile erst nach dem Rennen gefällt werden. In diesem konkreten Fall zweieinhalb Stunden nach Fallen der Zielflagge. Entweder war Perez mehr als zehn Wagenlängen hinter dem Safety Car oder nicht als der Leuchtbalken noch aktiviert war. Natürlich kann man den Beschuldigten anhören. Aber dann müsste man das immer so handhaben. Das System ist nicht einheitlich. Es gibt zwar ein Regelwerk, doch die wechselnden Sportkommissare haben unterschiedliche Ansichten. Ergo legen sie die Regeln verschieden aus. Tatsachenentscheidung nennt man das.

Ferrari hätte anders taktiert
Leclerc witterte nach dem zweiten Safety Car seine letzte Chance. Er wusste, dass er nur ein paar Runden hat, um an Perez vorbeizukommen. Der WM-Zweite war an diesem Renntag besser darin, die Reifen warm zu fahren. Er genoss einen Vorteil von sechs bis sieben Runden mit besser konditionierten Reifen, ehe sie auch am Red Bull richtig auf Temperatur waren – und Perez volles Vertrauen gefasst hatte.
Mit einer Entscheidung der Sportkommissare während des Rennens hätte Ferrari anders taktiert – heißt es aus dem Umfeld des Teams. Dann hätte Leclerc nicht auf Teufel komm raus in den ersten Runden nach Restart Attacke machen müssen. Dadurch verheizte er die Vorderreifen. Sondern er hätte mit etwas Abstand zu Perez in sauberer Luft die Reifen besser managen können, argumentiert das Team.
Bei Ferrari ist man überzeugt, dass Leclerc dann innerhalb von fünf Sekunden zum Red Bull geblieben wäre. Und dadurch das Rennen gewonnen hätte. So verbrauchte er anfangs zu viel Reifengummi und fiel bis ins Ziel um 7,5 Sekunden zurück. Den eigenen Fahrer auf Verdacht zurückzupfeifen, konnte sich Ferrari selbstredend nicht erlauben. Man kann ja nicht wissen, wie das Strafmaß tatsächlich ausfällt. Die Konkurrenz ist übrigens anderer Meinung. Bei Mercedes heißt es, Ferrari habe generell die Vorderreifen zu sehr beansprucht, und sei langsamer gewesen als Red Bull.
Kein Protest von Ferrari
Erinnern wir uns zurück an andere Episoden. In Russland 2020 bekam Hamilton für zwei Probestarts an falscher Position zwei Mal fünf Sekunden aufgebrummt. Da wurde nicht erst verwarnt, und dann gehandelt. Beim GP Kanada 2019 bestraften die Sportkommissare Sebastian Vettel noch während des Rennens mit fünf Sekunden. Er sollte sich im Zweikampf mit Lewis Hamilton regelwidrig verteidigt haben, nachdem er in einer Schikane durchs Gras gerodelt war, und unsicher auf die Piste zurückkam.
Durch die schnelle Entscheidung musste Hamilton kein zweites Mal attackieren, sondern konnte es sich hinter dem Ferrari einrichten. Es reichte ja, innerhalb von fünf Sekunden zu Vettel zu bleiben. Da konnte er auch die Reifen verwalten. Risiko war nicht mehr nötig.
Vielleicht hielten die Ferrari-Verantwortlichen bewusst die Füße still. Jedenfalls verzichtete man darauf, einen Protest gegen das Urteil der Sportkommissare einzulegen. So etwas kommt auch bei den Fans selten gut an. Und auf dem politischen Parkett wäre ein Nachkarten vielleicht auch eine unkluge Entscheidung gewesen. Red Bulls angeblicher Verstoß gegen den Budgetdeckel schwebt über allem – in einer solchen Woche könnte zu viel Druck auf die FIA kontraproduktiv wirken.