Welche Lehren zieht Ferrari aus der Formel-1-Saison?

Die Lehren aus der Formel-1-Saison von Ferrari
Wo hat Ferrari den Titel verloren?

Veröffentlicht am 25.12.2024

Für Ferrari war es eine gute Saison. Obwohl der Traditionsrennstall nur um 14 Punkte am Konstrukteurs-Titel vorbeigeschrammt ist. Doch so nah am WM-Titel war Ferrari seit 2008 nicht mehr. 2022, als die Scuderia zuletzt zweiter Sieger war, fehlten 105 Zähler auf den Titel.

Bei so einem großen Rückstand verteilen sich die Punktverluste über die gesamte Saison. Diesmal nicht. Ferraris Saison lässt sich in drei Phasen einteilen. Nach Charles Leclercs Sieg in Monte Carlo stand es im Duell Ferrari gegen McLaren 252 zu 184 für Maranello. Nach der Sommerpause stach die Farbe Rot die papayagelben Autos mit 307 zu 300 Punkten aus.

Wenn da nur nicht diese verflixten sechs Rennen gewesen wären, die mit einer Nullrunde beim GP Kanada begannen und bei denen Ferrari 89 Punkte auf McLaren verlor. Ausgerechnet Montreal, wo Ferrari als Favorit hingefahren ist. Doch am Auto von Leclerc streikte die Leistungselektronik, was eine Batterie mit in den Abgrund riss. Und Carlos Sainz crashte mit Alexander Albon.

Charles Leclerc - Ferrari - Formel 1 - GP Aserbaidschan - Baku - 15. September 2024
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Zwei Probleme mit Langzeitwirkung

Im Prinzip kann es jeder kleine und große Fehler gewesen sein, der die entscheidenden Punkte gekostet hat. Nicht nur während Ferraris Sommerloch. "Wenn Charles in Baku gewinnt, machen wir sieben Punkte auf McLaren gut. Wenn Carlos nicht mit Perez in der vorletzten Runde zusammenstößt, weitere 15. Und McLaren holt vier Punkte weniger, weil Norris weiter nach hinten rutscht", rechnet Teamchef Frédéric Vasseur vor. Und verbietet sich gleichzeitig das Rechnen: "Auch die andere Teams hatten ihre Momente, wo sie Punkte hergeschenkt haben."

Viel entscheidender für die Niederlage waren zwei grundsätzliche Dinge. Sie haben laut Vasseur die Weltmeisterschaft entscheidend beeinflusst. Zum einen das Unterboden-Upgrade von Barcelona, zum anderen die späte Reaktion auf McLarens biegsamen Frontflügel. Beides hatte Langzeitwirkung.

Leclerc vs. Sainz - Ferrari - GP Spanien 2024
Wilhelm

Das Bouncing war wieder da und musste weg

Ein neuer Unterboden in Verbindung mit modifizierten Seitenkästen und dem dazu passenden Heckflügel brachte ab dem GP Spanien das Bouncing zurück. Die Ingenieure schauten sich verwundert an, als die Fahrer davon berichteten, dass sich das Auto bei hohen Geschwindigkeiten wieder aufschaukelt.

Der Windkanal ist bei Bouncing wenig hilfreich. Im Labor passiert so etwas nicht. Man kann nur anhand bestimmter Datenmuster vermuten, dass in Realität Bouncing auftritt und mit jeder neuen Erfahrung die Korrelation anpassen. "In so einem Fall versuchst du das Manko erst einmal mit der Fahrzeugabstimmung wegzudrücken", erklärt Vasseur.

Die Ferrari-Ingenieure schoben ihren Stolz schnell beiseite und stellten den SF-24 noch in der Woche nach Barcelona erneut in den Windkanal, um den Fehler zu finden. Und sie fanden ihn. Vasseur sagt stolz: "Es gab keine Diskussionen, wer den Fehler gemacht hat und wer nicht. Das Bouncing war wieder da, und es musste weg."

Charles Leclerc - Ferrari - Formel 1 - GP Italien - Monza - 1. September 2024
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Drei Siege in fünf Rennen

Auf der Rennstrecke kam die Lösung mit Verzögerung an. "Du schleppst ja nicht zu jedem Rennen den alten und den neuen Boden mit und hast auch nicht immer genug Ersatzteile von jeder Spezifikation", nimmt Vasseur sein Team in Schutz, warum erst beim GP Ungarn ein Kompromiss aus altem und neuem Boden einsatzbereit war. Der reichte immerhin für Podestplätze in Spa und Zandvoort.

Die Ferrari-Ingenieure hatten ihre Lektion gelernt. In Monza feierte die fünfte Version des Unterbodens ihre Premiere, dazu eine schlankere Motorabdeckung und die Monza-typischen Flügel. Es war ein Volltreffer, der mit einem Sieg auf heiligem Boden den perfekten Einstand feierte und in der Folge drei von fünf Rennen gewann.

Es hätten auch fünf Siege sein können, trauert Vasseur den Niederlagen von Baku und Singapur nach. In Baku saß Leclerc im schnelleren Auto, ließ sich aber von Oscar Piastri austricksen. In Singapur starteten beide Fahrer nur aus der fünften Reihe. Sainz wegen eines Unfalls, Leclerc, weil ihm die entscheidende Q3-Runde gestrichen wurde.

Auch Las Vegas hätte man gewinnen können, behauptet Vasseur. "Der Einfluss der Reifen überlagert manchmal die Qualität des Autos. Auf dem Papier waren wir schneller als Mercedes. Uns hat das Körnen der Reifen gekillt. Da haben wir zwei Sekunden pro Runde verloren."

Frederic Vasseur - GP Niederlande 2024
Ferrari

Zu spät Klarstellung zu elastischen Flügeln

Der Ferrari SF-24 war mittlerweile unsichtbar mit dem nächsten Upgrade aufgerüstet worden. Der neue Frontflügel verbog sich nach McLaren-Vorbild mit zunehmender Last, was es deutlich einfacher machte, die Autos für langsame und schnelle Kurven auszubalancieren.

Vasseur ärgert dieser Punkt fast noch mehr als das Barcelona-Upgrade. "Der Zeitpunkt, wann welches Team diese Art Flügel eingesetzt hat, hatte einen klaren Einfluss auf die WM. Wir haben zu lange damit gewartet. Es war aber erst Anfang September klar, was die FIA erlaubt und was nicht."

Jetzt kommt der Budgetdeckel ins Spiel. "Heute musst du das Kostenlimit immer im Blick haben. Du kannst bei einem Entwicklungsetat von vier Millionen Dollar nicht mit einem Frontflügel eine halbe Million Dollar verbrennen, der zwei Rennen später von der FIA einkassiert wird. Wir haben uns lange an Paragraf 1 der Aerodynamikregeln gehalten. Demnach ist es nicht erlaubt, ein Teil zu bauen, das sich gewollt verbiegt. Wir hätten uns früher eine Klarstellung der FIA gewünscht."

Charles Leclerc - Ferrari - GP Abu Dhabi 2024 - Yas Marina - Formel 1
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Mit einem Schritt in der Illegalität

Wenn die acht Topautos innerhalb von vier Zehnteln liegen, dann zählt jedes Detail. War Ferrari da zu blauäugig? Vasseur widerspricht: "Ich sage meinen Leuten, dass sie im erlaubten Bereich ans Limit gehen sollen, aber nicht außerhalb." Der Franzose führt aus, dass heute jeder mit einem Bein in der Illegalität steht. "Du bist gezwungen, mit dem Gewicht, dem Benzinverbrauch, der Bodenplanke und der Kühlung absolut an die Grenze zu gehen. Sonst verlierst du Zeit. Deshalb ist Russells Disqualifikation in Spa keine Überraschung. Da ist das Risikomanagement über das Ziel hinausgeschossen. Es hätte jeden treffen können."

Unter dem Strich war es eine erfolgreiche Saison für Ferrari. Das sagen schon die Zahlen. 400 Prozent mehr Siege als im Vorjahr, 144 Prozent mehr Podestplätze, 61 Prozent mehr Punkte. Nur bei den Pole-Positions notieren die Statistiker einen Rückgang: Von sieben auf vier. Das unterstreicht die neue Entwicklungsphilosophie. Aus einem Samstagsauto wurde ein Sonntagsauto.

Auch sonst zieht der Teamchef eine positive Bilanz. "Wir haben uns in allen Disziplinen verbessert. Performance, Zuverlässigkeit, Strategie, Boxenstopps." 92 Prozent aller Boxenstopps lagen unter drei Sekunden. Nur ein einziger über der 3,5 Sekunden-Marke, die intern als die obere Grenze akzeptiert wird. Der Reifenwechsel am Sainz-Auto in Katar dauerte fünf Sekunden. Das lag daran, dass der Reifen nach dem Platzer in Fetzen an der Felge hing und möglicherweise Komponenten in der Nachbarschaft beschädigt hatte.

Max Verstappen - Charles Leclerc - Red Bull - Ferrari - 21. Juli 2024
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Formschwankungen minimieren

Während bei Red Bull Max Verstappen 74 Prozent der kompletten Ausbeute des Teams abräumte, waren die Punkte bei Ferrari und McLaren viel gleichmäßiger unter den Fahrern verteilt. Das aber spricht auch für die Qualitäten des Autos. Die Launen des Red Bull RB20 konnte nur Verstappen zähmen. Der Ferrari SF-24 und der McLaren MCL38 hatten in der Spitze vielleicht eine Spur weniger, dafür in der Breite mehr Abtrieb als der Red Bull. Das machte sie berechenbar.

Dass sich Red Bull bei der Fahrer-WM auf einen Fahrer konzentrieren kann, ist für Vasseur nur auf den ersten Blick ein Vorteil. "Wir haben von dem Wettbewerb unserer Fahrer profitiert. Wenn der eine ein besonders gutes Wochenende hatte, konnten wir sicher sein, dass der andere das nächste Wochenende nachgelegt hat. Das hat auch die Entwicklung des Autos beschleunigt." Das Duell Leclerc gegen Hamilton wird 2025 dafür sorgen, dass es so weiter geht.

Der Ferrari SF-24 kam so unscheinbar daher wie der McLaren MCL38. Man sah weder dem einen noch dem anderen Auto an, warum es schneller war als der Rest. Red Bull und Mercedes hatten die spektakuläreren technischen Lösungen. Aber eben auch mehr Formschwankungen.

Die hatte laut Vasseur im Verlauf des Jahres jeder. Der eine mehr, der andere weniger. "Wir befinden uns im dritten Jahr dieser Fahrzeuggeneration. Alle hatten die Möglichkeiten schon ziemlich ausgeschöpft. Jedes Upgrade war mit der Gefahr von Nebenwirkungen wie Bouncing oder Instabilität verbunden. Das hat uns alle irgendwann mal getroffen."

Die Lehre aus einer Saison mit vier fast gleichwertigen Marken und sieben Siegern ist, dass man 2025 die Zahl der schwachen Rennen weiter reduzieren und auf jede Kleinigkeit achten muss, weil bei den engen Abständen der Fehler im Detail steckt. "Der Schlüssel wird sein, an den Wochenenden, wo es nicht gut läuft, maximal Punkte zu holen und auf Probleme schnell zu reagieren. Wir haben mit dem Unterboden bewiesen, dass wir das können", resümiert Vasseur.