Die Saison endete versöhnlich für Ferrari. Der zweite Platz musste her. Charles Leclerc und Carlos Sainz sicherten ihn mit den Plätzen zwei und vier im GP Abu Dhabi ab. Es war ein gerechtes Ende. Unterm Strich hatte Ferrari über die Saison das bessere Paket als Mercedes. 4:1 nach Siegen, 12:1 nach Pole Positions, 20:17 nach Podestplätzen. Unterm Strich bleibt aber auch festzuhalten, dass Mercedes von weit hinten kam, und im Saisonendspurt fast immer schneller war als Ferrari. Mit Ausnahme von Abu Dhabi.
Maranello wertet die Saison generell als Fortschritt. Es war auch einer, wenn man bedenkt, wo Ferrari herkam. Kein Sieg 2020, keiner im Vorjahr. In dieser Saison fand der erfolgreichste Rennstall der Formel-1-Geschichte zurück in die Erfolgsspur, auch wenn man keine Chance auf den WM-Titel hatte. "Unser Ziel war es, wieder konkurrenzfähig zu sein. Das haben wir erreicht", urteilt Teamchef Mattia Binotto. "Den zweiten Platz gehalten zu haben, ist großartig für das Team. Unsere Strategen haben ganze Arbeit geleistet. Sie haben die richtigen Entscheidungen getroffen."

Ferraris Prio ist Zuverlässigkeit
In Abu Dhabi machte die sonst so gescholtene Taktikabteilung alles richtig. Ferrari zeigte sich flexibel genug, die Strategie notfalls anzupassen. Zwischendurch wirkte man sogar wie ein ernsthafter Herausforderer von Max Verstappen. Wenn man ein schnelles Rennauto hat, fällt vieles leichter. Und das bringt uns zu den Baustellen, die Ferrari für die nächste Saison räumen muss, wenn man Red Bull vom Thron stoßen möchte.
Teamchef Binotto führt aus. "Oberste Priorität hat die Zuverlässigkeit. Wenn du nicht ankommst, gewinnst du kein Rennen." Eine Binsenweisheit. Beide Autos brauchten sechs statt drei Motoren, um über die 22 Rennen zu kommen. Dazu verwendete Leclerc sechs Turbolader, Sainz fünf. Beiden wurden fünf Elektromaschinen MGU-H eingebaut.
Die weiteren Motorkomponenten: fünf MGU-K bei Leclerc, sechs bei Sainz; je drei Batterien und je vier Steuergeräte. Die Ventilseuche kostete Startplätze und Leistung. "Wir mussten die Power etwas zurückschrauben", gibt der Teamchef zu. Ferrari legte mit 2.222 Rennkilometern die zweitwenigsten zurück. Nur Alfa-Sauber war schlechter dran.
Stabiler Abtrieb muss her
In der Qualifikation war Ferrari meist wettbewerbsfähig. Ja, die Scuderia holte sogar die meisten Pole Positions. Doch gerade in der zweiten Saisonhälfte ging es über die Distanz oft rückwärts. Der letzte Sieg datiert vom GP Österreich. Dort hatte Red Bull das Setup am Sprintwochenende wie in Brasilien nicht getroffen. "Wir müssen an unserer Renn-Pace arbeiten. Sie war nicht gut genug, um Red Bull herauszufordern."
Die hohe Reifenabnutzung bremste die roten Autos ein. Ferraris Entwicklungsabteilung bog im Frühsommer falsch ab. Im Bestreben, den Abtrieb effizienter über den Unterboden zu bekommen, und damit mit kleineren Flügeln fahren zu können, um das Topspeed-Manko gegenüber Red Bull zu verringern, machte man den F1-75 unruhiger.
In der Spitze hat der Ferrari mehr Anpressdruck als der Red Bull. Allerdings schwankt er im Kurvenverlauf. Das lässt das Auto mehr rutschen. Das treibt den Reifenverschleiß nach oben. Und es erhöht die Gefahr, dass die Piloten von einem ausbrechenden Auto plötzlich überrascht werden. Die Fehlerquote steigt. Siehe Leclerc in Frankreich. Anfangs hatte der Ferrari stabilen Abtrieb. Den roten Rennwagen warf selbst Bouncing nicht aus der Bahn, wenn die Piloten einlenkten.
Ferrari-Entwicklung nicht effizient genug
Binotto gibt zu: "Unsere Entwicklung war nicht effizient genug." Red Bull habe es aber auch leichter gehabt. "Sie hatten einen vorgezeichneten Weg. Sie mussten in erster Linie das Gewicht reduzieren. Für uns war es komplizierter. Wir mussten über die aerodynamische Entwicklung mehr herausholen." Red Bull soll zu Saisonbeginn rund zehn Kilogramm mehr als Ferrari herumgeschleppt haben. Das sind je nach Strecke allein drei bis vier Zehntel, die man über eine Abspeckkur in der Tasche hatte.
Bei Ferrari sollte man es sich allerdings nicht zu leicht machen. Im Saisonendspurt war der Red Bull wieder schwerer – und trotzdem besser als das rote Auto. Klar ist: Der Luftwiderstand muss beim 2023er Ferrari reduziert werden. Sonst wird man in dieselbe Falle laufen wie in diesem Jahr. Ferrari braucht ein effizienteres Paket. Ein gesundes Verhältnis aus Abtrieb und Luftwiderstand. Effizienz-Strecken, wo sich Kurven und lange Geraden mixen, sind im Rennkalender in der Mehrzahl.
Immerhin gestattet das Reglement der Scuderia mehr Zeit mit den Entwicklungswerkzeugen als Red Bull. Man hat 12 Prozent mehr als das Weltmeisterteam im Windkanal (63 zu 75 Prozent), das durch die Budgetstrafe ohnehin geschwächt ist. Und fünf Prozent weniger als Mercedes. Das Top-Trio könnte sich zusammenschieben.

Budget Cap umtreibt Ferrari
Eine Sache umtreibt Maranello. Man stellte die Entwicklung am 2022er Auto früher ein als die Konkurrenz. Um sich einerseits auf das nächstjährige Projekt zu stürzen. Andererseits, weil der Budgetdeckel keine Entwicklungsausgaben mehr erlaubte. Was machen Red Bull und Mercedes anders?
Bei Red Bull verweist man darauf, dass man von der Anzahl her nicht viele Updates an den RB18 schraubte. Gewicht zu reduzieren kostet. Jedoch belasteten Max Verstappen und Sergio Perez nach eigener Rechnung den Etat nicht so sehr wie die Ferrari- und Mercedes-Fahrer. Stichwort Unfälle. Stabiler Abtrieb hilft, damit die Fahrer nicht entgleisen.
Mercedes entwickelte am längsten. Die vielen, kontinuierlichen Modifikationen hätte man sich bei Ferrari nicht leisten können. In Maranello kratzt man sich an den Köpfen. Aus dem Lager von Mercedes heißt es, dass man beispielsweise für Änderungen am Unterboden nicht jedes Mal einen neuen bauen müsste. Ein modularer Aufbau des Autos geht zwar ins Gewicht, macht Updates aber einfacher möglich. So oder so: Das Thema Budget Cap wird die Formel 1 weiter verfolgen.
Baustelle operatives Geschäft
Sicher ist: Ferrari hatte ein schnelles Auto, wusste es aber zu selten zu nutzen. Was auch mit dem operativen Geschäft zu tun hat. "Wir hatten zu viele Aufs und Abs. Das analysieren wir im Winter, damit wir gestärkt zurückkommen", versichert Binotto. Der Strategieabteilung unterlaufen zu viele Fehler. Ferrari wirkt nicht sattelfest, wenn mal ein, zwei Variablen in der Gleichung verrutschen. Siehe Qualifikation zum GP Brasilien. In solchen Momenten wirken die Roten oft kopflos.
Es braucht Ruhe, es braucht geschärfte Prozesse. Sicher wird Ferrari bei Missgeschicken härter kritisiert als die Konkurrenz. Weil mit Maranello so viele Emotionen verbunden sind. Und trotzdem muss Ferrari auf der operativen Seite einen großen Schritt vorwärts machen. So wie von 2021 auf 2022 mit dem Auto. Ein besseres Rennauto würde den Kommandostand unterstützen. Wer vorneweg fährt, sollte automatisch mehr Ruhe verspüren. Und weniger Fehler machen.

Was passiert mit Binotto?
Fraglich ist, ob in Maranello über den Winter Ruhe einkehrt, und sich die Ingenieure auf ihre Aufgaben konzentrieren können. Teamchef Binotto wurde nach Brasilien öffentlich angezählt. "Ich bin entspannt", sagt er. "Die Entscheidung liegt ohnehin nicht in meiner Hand. Was ich sagen kann, ist, dass ich immer offene Gespräche mit unserer Führungsspitze führe." Zusammen mit Ferrari-Oberhaupt John Elkann sei entschieden worden, die Presseberichte über eine Ablösung Binottos zu dementieren.
Elkann sollte sich drei Mal überlegen, ob eine neue Führung überhaupt zielführend wäre. Er sollte sich Mercedes und Red Bull zum Beispiel nehmen. Dort herrscht beim wichtigsten Personal Kontinuität. Die geeignetsten Kandidaten wären ohnehin nicht verfügbar. Ferrari ist zwar der größte Name im Fahrerlager. Eine Weltmarke mit immenser Anziehungskraft. Doch keiner der Top Shots will sich auf den Schleudersitz setzen.