Motorsport ist gefährlich. Das gilt nicht nur für die Rennfahrer in ihren Autos, sondern auch für die Fans am Streckenrand. Immer wieder kommt es vor, dass Trümmerteile bis auf die Tribünen geschleudert werden. Doch beim Schutz der Zuschauer konnten in den letzten Jahrzehnten bemerkenswerte Fortschritte erzielt werden.
Der Trend zu immer mehr Stadtkursen mit langen Geraden und hohen Geschwindigkeiten verlangt von den Verantwortlichen, dass die technische Entwicklung auch in Zukunft nicht stillsteht. Neben den sogenannten "TecPro-Banden" und den mit Schaumstoff gedämpften "Safer-Barriers" nehmen im Sicherheitskonzept der FIA vor allem die Fangzäune eine wichtige Rolle ein.
Obwohl Rennsportevents in der Schweiz seit dem schweren Le-Mans-Crash im Jahr 1955 jahrelang nicht erlaubt waren, ist ausgerechnet eine Firma aus der Alpennation führend bei der Entwicklung neuer Streckenbegrenzungen. Die Firma Geobrugg hat sich darauf spezialisiert, Sicherheitszäune aus hochfesten Stahldrahtnetzen herzustellen.

Wie wichtig gute Fangzäune sind, zeigte der Crash von Guanyu Zhou 2022 in Silverstone eindrücklich.
Fangzäune für Lawinen und Rennautos
Dabei ging es dem Unternehmen ursprünglich gar nicht um den Schutz von Rennfahrern und Zuschauern, sondern vor allem um die Absicherung von öffentlichem Gelände gegen Steinschlag, Erdrutsch, Lawinen oder Küstenerosion. Auch beim Tunnelbau und im Bergbau sind die rund 400 Spezialisten der Schweizer Firma tätig.
Seit zehn Jahren stattet Geobrugg nun aber auch Rennstrecken mit ihren Sicherheitszäunen aus. Mittlerweile kann man die Schutzvorrichtungen aus dem Kanton Thurgau auf 18 Grand-Prix-Kursen in der Formel 1 sowie auf Strecken der MotoGP und den US-Serien NASCAR und IndyCar finden. Um das Sicherheitslevel stetig zu erhöhen, arbeiten die Ingenieure immer wieder an neuen Lösungen.
Beim aktuellsten Produkt handelt es sich um einen mächtigen Fangzaun mit sechs Metern Höhe, der gerade erst seine letzten Crashtests bestanden hat. Es ist damit der höchste Sicherheitszaun, den die FIA überhaupt für den Einsatz an ihren Rennstrecken homologiert hat. Normalerweise ragen Fangzäune nur auf eine Höhe von dreieinhalb Metern in die Höhe.

Beim neuen Sechs-Meter-Zaun liegen die horizontalen Verstärkungen im oberen Bereich weiter auseinander. Das sorgt für eine bessere Sicht für die Zuschauer.
Sechs-Meter-Zaun für mehr Sicherheit
Der neue Riesenzaun soll vor allem in Hochrisiko-Zonen zum Einsatz kommen, in denen eine zusätzliche Absicherung notwendig ist. Dabei kann es sich zum Beispiel um Highspeed-Kurven oder Passagen mit großen Höhenunterschieden handeln. Auch Bereiche, in denen die Tribünen besonders von herumfliegenden Trümmerteilen bedroht sind, wurden als Einsatzgebiet ausgemacht.
Mit der Homologation neuer Zäune will die FIA an allen zertifizierten Rennstrecken vergleichbare Standards schaffen. Nach den aktuellen Richtlinien des Automobil-Weltverbands müssen alle neu gebauten Kurse mit homologierten Zäunen ausgerüstet werden. Nicht homologierte Zäune auf älteren Rennstrecken müssen aber nicht gleich ausgetauscht werden. Erst im Falle von Beschädigungen muss der Ersatz von der FIA geprüft worden sein.
Der neue Geobrugg-Zaun soll aber nicht nur die Sicherheit erhöhen, sondern auch das Erlebnis für die Zuschauer verbessern. Die Verstärkung des Zauns durch hochfeste Stahlkabel stellt normalerweise eine Sichtbehinderung dar. Beim neuen Zaun werden die horizontalen Verstärkungen ab einer Höhe von drei Meter in einem etwas weiteren Abstand eingearbeitet.

Bei den Crashtests wurde der Zaun mit verschiedenen Objekten beschossen.
FIA-Crashtest mit Auto
Um die strikten Standards nach der FIA Homologations-Norm 3502-2018 zu erfüllen, musste der Sechs-Meter-Zaun einige harte Crashtests durchlaufen. Dabei wurde unter anderem eine 780 Kilogramm schwere Kugel mit 60 km/h auf die Schutzbarriere gefeuert. Durchgeführt wurde auch ein Crashtest mit einem Auto, das mit 120 km/h auf den Zaun trifft. Dabei durften die Objekte eine drei Meter breite Einschlagzone nicht durchdringen.
Die Bilder und Videos der Praxistests zeigen eindrucksvoll, welchen Kräften die Schutzvorrichtungen im schlimmsten Fall ausgesetzt sind. Jochen Braunwarth, der Motorsportchef von Geobrugg, stellte zufrieden fest: "Bei unserem Ziel, Zuschauer, Arbeiter und Streckenposten auf Rennstrecken abzusichern, konnten wir einen weiteren Fortschritt erzielen. Die zusätzliche Höhe des Fangzauns bietet ein höheres Level an Sicherheit gegen herumfliegende Trümmer, die auf Tribünen oder in anderen Zuschauerbereichen landen könnten."
Mit den modernen Sicherheitszäunen bekommen Streckenbetreiber ganz neue Möglichkeiten bei der Positionierung ihrer Tribünen: "Es ist immer ein heikles Thema, wenn es darum geht, die richtige Balance zwischen Sicherheit und der Nähe zur Action zu finden. Normalerweise ist das immer mit zusätzlichen Risiken verbunden. Mit der höheren Lösung, die Schutz vor umherfliegenden Trümmern von aufprallenden Autos bietet, konnten wir dieses Risiko nun reduzieren."