F1-Technik: Geheimnis um Unterboden von Red Bull

Unterboden-Show beim Monaco-GP
Geheimnis um komplizierte Red-Bull-Kanäle

Zuletzt aktualisiert am 31.05.2023

Das große Unterscheidungsmerkmal der aktuellen Formel-1-Autos sind die Seitenkästen. Die Form der Seitenteile ist für jeden sichtbar. Änderungen durch Upgrades lassen sich oft mit dem bloßen Auge erkennen. So wie am runderneuerten Mercedes in Monaco. Die Rundenzeit wird aber an anderer Stelle gemacht. Oder wie es Mercedes-Chefingenieur Andrew Shovlin beschreibt: "Mit diesen Regularien ist der wichtigste Fahrzeugbereich der, den man nicht sieht."

Die Rede ist vom Unterboden, der schon immer eine tragende Säule in der Aerodynamik der Formel-1-Autos war und bei Groundeffect-Autos eine noch größere Rolle spielt. Mehr als 40 Prozent des Gesamtabtriebs steuert der Unterboden bei. Der Rest kommt hauptsächlich von den Flügeln vorne wie hinten. Den Anpressdruck über den Unterboden zu erzeugen, hat noch einen gewichtigen Vorteil: Es ist Abtrieb, der besonders effizient ist, weil er im Gegensatz zu den Flügeln nicht zulasten des Luftwiderstands geht. Die Flügel stehen bekanntlich im Wind.

Red Bull - Unterboden - GP Monaco 2023
Motorsport Images

Red Bull gegen Bouncing

Die Groundeffect-Autos gewinnen ihren Abtrieb durch Kanäle im Unterboden. Diese beginnen hinter den Vorderrädern. Luft fließt durch je vier Schächte an beiden Seiten, die einen starken Unterdruck erzeugen. Das saugt das Auto auf die Straße. Je kleiner der Abstand zwischen Rennwagen und Asphalt, desto größer der Effekt – und desto größer der Abtrieb.

Allerdings erhöht sich dann die Gefahr des Bouncings, also des wilden Springens des Autos bei höheren Geschwindigkeiten. Einfach erklärt: Unter dem Auto herrscht Unterdruck, über der Bodenplatte Überdruck. Das erzeugt an der Bodenkante automatisch Wirbelschleppen. Je näher das Auto am Boden ist, desto größer fallen die Druckunterschiede aus. Und umso stärker werden diese Wirbel. Wenn sie außer Kontrolle geraten, wird die Aerodynamik instabil. Ein unkontrolliertes An- und Absaugen beginnt. Das Auto beginnt auf- und abzuspringen.

Es ist kein Geheimnis, dass Red Bull das beste Verständnis über die Aerodynamik der Groundeffect-Autos und damit über die Strukturen am Unterboden hat. Das schnellste Auto im Feld kennt kein Bouncing, obwohl es so tief eingestellt ist wie kein anderes. Der Red Bull RB19 kauert praktisch an der Straße, was zu viel Abtrieb und wenig Luftwiderstand führt. Nur wie stellt das Team aus Milton Keynes das an?

Großer Unterschied an Bodenplatte

Was bisher ein Geheimnis war, ist die Form des Unterbodens. Am Rennwochenende von Monte Carlo wurde es jedoch gelüftet. Nach dem Unfall von Sergio Perez in der Qualifikation hoben die Streckenposten den RB19 per Kran über die Leitplanken. Der Unterboden war für Fotografen und Spione folglich zum Abschuss bereit. "Die Ingenieure der einzelnen Teams werden sich auf diese Bilder stürzen", erzählte Mercedes-Chefingenieur Shovlin. Wir hören: Bei den Gegnern stellt man gewissermaßen bestürzt fest, wie viel weiter und wie viel komplizierter der Unterboden des Red Bull entwickelt ist.

Auch der Mercedes und der Ferrari entblößten in Monte Carlo nach Unfällen ihre sensibelste Seite. "Red Bull wird sich sicher mehr geärgert haben. Sie haben mehr preiszugeben als wir. Wer unseren Unterboden kopieren möchte, dem sage ich: Macht ruhig!", juxte Mercedes-Teamchef Toto Wolff. In der Tat: Die Konkurrenz kann sicher einiges vom Red Bull lernen. Die Frage ist nur, ob sie es umsetzen kann. Williams-Performance-Chef Dave Robson bezweifelt es: "Ich habe mir den Unterboden des Red Bulls kurz angeschaut. Das Teil ist so komplex und kurvig, dass man mit zweidimensionalen Fotos kaum Schlussfolgerungen ziehen kann. Weil es auch darauf ankommt, wie das Licht einfällt."

Das mag auf die komplizierten Kanäle auf der Unterseite zutreffen, die am Red Bull unterschiedlich groß ausfallen und zwischen breiten und schmalen Stellen abwechseln. Was sich aber mit dem bloßen Auge erkennen lässt, sind Unterschiede an der Bodenplatte. Die sogenannte Planke in der Mitte des Autos, die aus einem Holzmaterial besteht, ist am Red Bull pechschwarz verfärbt.

Mercedes - Unterboden - GP Monaco 2023
xpb

Was macht Red Bull mit Skid Blocks?

Das kann nur vom Kontakt mit der Fahrbahnoberfläche kommen? Bei genauem Hinsehen sieht es nach schwarzer Farbe aus, die großflächig verteilt ist. Jedenfalls ist der Red Bull das Auto mit der geringsten Bodenfreiheit. Doch wie stellt das Weltmeister-Team das an, ohne die Bodenplatte zu stark zu verschleißen? Erlaubt ist eine maximale Abnutzung von einem Millimeter, die an den Titanblöcken gemessen wird.

Schon seit dem letzten Jahr vermutet die Konkurrenz einen besonderen Trick im Bereich der Skid Blocks. Das sind eben diese Titanblöcke, die in der Platte an vier verschiedenen Stellen eingelassen sind. Sie schützen die Bodenplatte. Bei Fahraufnahmen lässt sich schnell erkennen, wann die Autos mit den Skid Blocks den Boden berühren. Sobald die Funken sprühen, wenn die Titanbolzen an der Straße reiben.

In den Sommermonaten 2022 hieß es vonseiten der Konkurrenz, dass Red Bull es schaffe, die Skid Blocks so flexibel auszulegen, dass sie bei Bodenkontakt verschwinden – also gewissermaßen abfedern – und im Stand zurück in ihre Ausgangsposition kehren. Eine Theorie, die nie belegt wurde. Im Zuge der verschärften Vorschriften für die Steifigkeit des Unterbodens legte die FIA ab dem GP Belgien auch bei den Skid Blocks nach. Die Dicke wurde nicht mehr nur an einer Stelle gemessen, sondern an 75 Prozent der Peripherie. Und die Motorsportbehörde schrieb generell steifere Skids vor.

Alles legal am Red Bull

Die Bilder der Unterböden aus Monte Carlo offenbaren, dass Red Bull im Bereich der Titanblöcke etwas andere Lösungen verfolgt als Ferrari und Mercedes. Bei den TV-Aufnahmen staunt die Konkurrenz immer wieder: Schließlich setzt das Auto von Max Verstappen und Sergio Perez schon oft anfangs der Geraden bei noch niedrigeren Geschwindigkeiten auf.

Wichtig an dieser Stelle: Red Bull hat bisher jeden Test der FIA bestanden. Sicher ist das Team mit dem Auto und der Abnutzung der Planke am Limit. Aber eben nie darüber hinaus. Folglich muss es sich um einen oder mehrere clevere Tricks bei der Aerodynamik und der Mechanik handeln. Der Unterboden des Mercedes verfärbt sich im Vergleich nur minimal. Der des Ferrari wirkt an verschiedenen Stellen verkratzt. Die Bilder plus weitere Erklärungen finden Sie in unserer Fotoshow.

Fraglich ist, ob die Konkurrenz wirklich viel mit den aufgetauchten Bildern des Red Bull, die besonders die kompliziert ausgeformten Venturi-Kanäle zeigen, anfangen kann. Auch im letzten Jahr wurde das schnellste Auto mal von unten fotografiert. Und trotzdem kam niemand den Geheimnissen auf die Spur.