Taktikcheck GP Singapur 2022: Regen killt F1-Show

Taktikcheck GP Singapur
Regen killt die Show

GP Singapur 2022
Veröffentlicht am 04.10.2022

Wäre dieser Grand Prix von Singapur doch nur ein Trockenrennen gewesen. Dann hätte er das Zeug gehabt, eine gute Show zu bieten. In diesem Fall hätte die große Frage gelautet: Ein oder zwei Stropps? Keiner der Strategen traute sich vorher, sich auf die Zahl der Reifenwechsel festzulegen. Zwei unterschiedliche Strategien hätten das Reifen-Delta vergrößert und Überholmanöver erleichtert. So wurden nur 16 Überholmanöver gezählt, zehn davon von Max Verstappen.

Dafür gab es zwei Safety Cars und drei VSC-Phasen. Das erste Safety Car in Runde 8 kam viel zu früh für taktische Spielchen. Das zweite in der 36. Runde ein bisschen zu spät. Nur Daniel Ricciardo legte seinen Boxenstopp perfekt in die Neutralisation. Das schenkte dem Australier fünf Positionen. Hat McLaren darauf gewartet? Wenn ja, dann wäre es sehr clever gewesen. Weil sich in der Aufwärmrunde mit Slicks meistens einer auf die Nase legt und die Chance einer Safety-Car-Phase steigt. In diesem Fall spielte Yuki Tsunoda den Auslöser.

Im Rückblick war es auch ohne Safety Car besser, seine Intermediates erst in Runde 36 statt 34 loszuwerden. In der Übergangsphase dauerte es zu lang, bis der neue Slick auf Temperatur kam und sich der Fahrer an die Rutschpartie auf den immer noch feuchten Stellen gewohnt hatte. Da machte man auf abgefahrenen, aber heißen Intermediates diese eine Runde, die man länger draußen blieb, immer noch Zeit gut. So kam Lance Stroll vor seinen Teamkollegen Sebastian Vettel. Und beide Aston Martin vor Pierre Gasly, der sich nach dem Rennen bitter über die Taktik seines Teams beklagte.

Sergio Perez - Red Bull - Formel 1 - GP Singapur 2022 - Rennen
Wilhelm

Deshalb trocknete Strecke so langsam

Der große Regen 90 Minuten vor dem Start warf alle Planungen über den Haufen. Auch wenn der Himmel 20 Minuten vor dem Start seine Schleusen wieder schloss, war die Strecke zu Rennbeginn immer noch durchgehend nass. Man wusste schon aus der Qualifikation, dass es ewig dauern würde, bis sich eine halbwegs trockene Spur bildet.

Die Luftfeuchtigkeit betrug 85 bis 90 Prozent. Die 70 bis 80 Grad heißen Reifen ließen die Feuchtigkeit auf der Strecke zwar verdampfen, doch sie fiel als Wasser wieder zurück auf den Asphalt, weil die Luft schon gesättigt war. Dazu gab es kaum Wind. Pirelli-Sportchef Mario Isola fügte hinzu: "Die neu asphaltierten Passagen haben die Feuchtigkeit besonders gut gespeichert."

So wie sich das Rennen entwickelt hat, wurden alle Teams in die gleichen Entscheidungen getrieben. Man konnte nur beim Übergang zu Slicks entscheidend Boden gewinnen. Das zwang alle dazu, die Intermediates zu schonen, um notfalls so lange wie möglich zu warten, bis es trocken genug ist. Und genau in der Übergangsphase kam es darauf an wie gut der Zustand der Reifen noch war. So herrschte 35 Runden lang quasi ein Nichtangriffspakt.

Charles Leclerc - Ferrari - GP Singapur 2022
Motorsport Images

Leclercs Undercut funktionierte nicht

Die Prozession wurde nur durch Max Verstappens Vormarsch und den ein oder anderen Ausrutscher unterbrochen. Auch der Weltmeister kam nicht ungeschoren davon. Bei einem Überhol-Delta von 1,8 Sekunden war Risiko gefragt. Beim zweiten Re-Start in der 39. Runde überspannte er den Bogen und bremste sich im Duell mit Lando Norris in Kurve 7 ins Aus. Da Verstappen ans Ende des Feldes zurückfiel und seine Medium-Gummis eckig waren, gab ihm Red Bull Soft-Gummis mit auf die letzten 20 Runden. Pirellis weichste Mischung hielt erstaunlich lange durch. Diese Erfahrung machte auch Ricciardo.

Perez, Leclerc und Sainz war die Nummer zu heiß. Ferraris Undercut mit Charles Leclerc funktionierte nicht, weil der Boxenstopp 5,3 Sekunden dauerte und eine Runde zu früh kam. Leclerc überschoss seine Parkposition. Das geht auf seine Kappe. Beim Start hatte der Trainingsschnellste das Pech auf der linken Seite zu stehen.

Und die war deutlich rutschiger als die rechte. "Der Start hat mir das Rennen verloren", ist sich Leclerc sicher. "Ab da war ich in der Defensive." Wie schon in den Rennen zuvor nahm der Ferrari zudem seine Reifen zu hart ran. Diesmal wurden die Vorderreifen zu heiß.

Lewis Hamilton - Mercedes - Formel 1 - GP Singapur 2022 - Rennen
xpb

Hamilton nicht schnell genug

Lewis Hamilton kam gleich zwei Mal vom rechten Weg ab. Der vierfache Singapur-Sieger durfte vom dritten Startplatz von Sieg Nummer fünf träumen, doch der Regen machte Hamilton einen Strich durch die Rechnung. "Im ersten Stint auf Intermediates ist uns Sainz zuerst einmal bis auf drei Sekunden davongezogen. Uns fehlte einfach der Speed. Als Ferraris Vorderreifen zu heiß wurden, haben wir die Lücke wieder geschlossen. Nach dem Safety Car wurden wir aufgehalten. Dann hätten wir eine Sekunde schneller fahren können", erzählten die Ingenieure.

Hamilton hatte sich für den Start gebrauchte Intermediates gewünscht, weil er den Grip dann besser spürt. Die Strategen bedauerten: "Unser gebrauchter Satz war zwei Mal gefahren worden und hatte schon einige Runden auf der Lauffläche. Wir hatten Sorge, dass sie nicht genug Traktion für den Start bieten würden. Ein neuer Satz war in den ersten Runden sicher schneller."

George Russell - Mercedes - Formel 1 - GP Singapur 2022
Wilhelm

Russells Poker geht nicht auf

George Russell steckte nach seinem Start aus der Boxengasse im hinteren Feld fest. Deshalb wagte Mercedes ein Experiment und nutzte eine VSC-Phase in Runde 21, um Russell auf Slicks zu setzen. Man hätte besser auf das nächste VSC-Signal vier Runden später gewartet. Da wäre Russell immer noch der erste Fahrer gewesen, der auf Trockenreifen umstellt, aber mit deutlich weniger Verlust.

Die Männer am Kommandostand gaben zu, zu früh ins Risiko gegangen zu sein. Die Rechnung ging nicht auf. "Die VSC-Phase hat uns beim Boxenstopp zehn Sekunden geschenkt. Wir kalkulierten ein, dass wir dieses Geschenk wieder verlieren würden, bis die Slicks besser als Intermediates sind. George hätte sich dann aber schon mit den Slicks eingefahren und gewusst, an welchen Stellen er wie viel riskieren kann. Das wäre ein klarer Vorteil gewesen. Man hat gesehen, dass viele Fahrer speziell in der ersten Runde auf Slicks große Probleme hatten. George hatte die beste Re-Start Runde von allen, weil er die Reifen am besten kannte."

Tatsächlich büßte der WM-Vierte viel mehr Zeit ein. Die Slicks waren erst ab der 33. Runde im Vorteil. In den zwölf Runden davor verlor Russell auf den zehntplatzierten Pierre Gasly 14 Sekunden, also mehr als er mit dem VSC-Stopp eingespart hatte. Erkenntnis: "Der Poker hätte vielleicht funktionieren können, wenn das Safety Car etwas früher gekommen und alle gezwungen hätte, Slicks zu nehmen."