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Formel-1-Chef Stefano Domenicali im Interview
„Der klimaneutrale Sprit ist unsere größte Chance“

Formel 1-Chef Stefano Domenicali sprach mit auto motor und sport über den Erfolg der Formel 1, die Kritik an den 2026er-Regeln und darüber, warum 24 Grand Prix die Zuschauer nicht übersättigen.

Stefano Domenicali - Formel 1 - CEO - Saison 2024
Foto: Wilhelm

Die FIA hat in Montreal einen Entwurf des 2026er Reglements präsentiert und von den Teams viel Kritik eingesteckt. Was halten Sie von den Regeln?

Domenicali: Ich sehe es pragmatisch. Immer, wenn es eine große Regeländerung gibt, muss man viele Parameter berücksichtigen. Normalerweise ist es so: Zuerst werden die Chassis-Regeln geschrieben, dann die Motorregeln. Dieses Schema wurde zum ersten Mal 2014 durchbrochen, als die Formel 1 sich dem Hybridantrieb verschrieben hat. Diesmal war es noch einmal eine andere Dimension.

Unsere Highlights

Wir wollten einen größeren Anteil des Elektroantriebs gegenüber dem Verbrenner, und dazu noch die Verwendung von klimaneutralem Kraftstoff. In diesem Umfeld mussten wir die Interessen der etablierten Hersteller und neuer Interessenten unter einen Hut bringen. Aus den technischen Vorgaben für den Antrieb entstanden die Chassis-Regeln. Und da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Wir haben noch genügend Zeit nachzubessern. Das muss in einem konstruktiven Prozess zwischen den Teams und den Ingenieuren der Teams passieren.

Haben Sie nicht die Sorge, dass die Teams dabei hauptsächlich ihre eigenen Interessen verfolgen?

Domenicali: Bis zu einem gewissen Grad mag das passieren. Deshalb ist es wichtig, dass die FIA gut zuhört und die richtigen Kompromisse herausfiltert. Wir müssen jetzt klug handeln und sinnvolle Lösungen suchen statt mit dem Finger aufeinander zeigen.

Hätte man den Elektro-Anteil nicht ein bisschen runterfahren können angesichts der Tatsache, dass der Verbrenner mit nachhaltigem Sprit betrieben wird?

Domenicali: Man muss immer die politische Großwetterlage der jeweiligen Zeit im Blick haben. Es gab Momente, da hat man von uns eine totale Elektrifizierung gefordert. Wir haben an der Hybridlösung festgehalten und dann erkannt, dass wir mit nachhaltigem Kraftstoff der Welt zeigen können, dass es noch andere Technologien gibt. Zu dem Zeitpunkt aber als die 2026er Motorregeln geschrieben wurden, konnten wir auf Hybrid noch nicht verzichten.

Den Herstellern war es damals wichtig, dass der Anteil der elektrischen Leistung erhöht wird. Heute würden sie vielleicht anders denken, weil die Welt erkannt hat, dass mehrere Wege zum Ziel der Nachhaltigkeit führen. Heute realisieren sie, dass unser Weg mit dem Kraftstoff für sie in der Serie einen Nutzen abwerfen könnte. Es ist kein Zufall, dass sich immer mehr Hersteller für die Formel 1 interessieren. Wir wissen, dass die Entwicklung in der Formel 1 für alles eine Lösung findet. Wenn das Ziel nicht ambitioniert ist, haben die Ingenieure es morgen schon erreicht. Schauen Sie nur an wie sich die aktuellen Autos und Hybridantriebe seit 2014 entwickelt haben.

Reicht der Einsatz nachhaltiger Kraftstoffe nicht als gute Nachricht? Brauchen wir aus heutiger Sicht den Hybridantrieb überhaupt noch?

Domenicali: Meine persönliche Meinung ist, dass es ausreichen würde mit klimaneutralem Kraftstoff zu fahren. Aber da mussten wir die Wünsche der Hersteller berücksichtigen. Die Dinge haben sich so schnell entwickelt, dass heute eine Entscheidung vielleicht anders ausfallen würde als vor zwei Jahren. Ich bin kein Ingenieur, aber ich muss eine Vision haben wie der Sport in Zukunft aussieht. Und ich kann mir vorstellen, dass wir mit dem nächsten Reglement uns auf nachhaltigen Kraftstoff beschränken können. Wenn wir in der Lage sind zu zeigen, dass wir damit null Emissionen produzieren, können wir uns um andere wichtige Dinge im Sinne der Nachhaltigkeit kümmern. Autos und Motoren wären dann wieder leichter und weniger komplex. Und die Motoren hätten wieder einen guten Sound. Das ist den Fans wichtig. Aber jetzt sollten wir uns erst einmal um den nächsten Schritt kümmern, nicht um den übernächsten.

Wo sehen Sie bei den 2026er Chassis-Regeln noch Raum für Diskussionen?

Domenicali: Vielleicht sollten wir bei der Aerodynamik ein bisschen mehr Freiheit geben. Vielleicht sollten wir beim Abtrieb und beim Energiemanagement nachbessern. Ich bin mir sicher, dass die FIA und die Ingenieure der Teams da eine vernünftige Lösung finden. Die Basis der Regeln ist richtig, aber die brauchen noch etwas Kosmetik.

Die Formel 1 hat mit dem Hybridantrieb eine große Chance verpasst, für Ihre Technologien, die daraus entstanden sind, zu werben. Wird das mit dem klimaneutralen Kraftstoff wieder passieren?

Domenicali: Wir haben einen Plan, wie wir das ändern wollen. Es ist absolut wichtig, dass wir der Welt zeigen, was wir tun. Da haben wir in der Vergangenheit versagt. Und wir müssen es so erklären, dass es meine 86 Jahre alte Mutter versteht. Da müssen alle mitspielen. Die Teams, die Hersteller, die Kraftstofflieferanten. Diese Chance muss vor jeder Geheimhaltung stehen. Es ist auch die Chance der Hersteller und der Spritfirmen und deshalb muss es eine konzertierte Aktion von allen sein.

Die Leute müssen verstehen, dass der Kraftstoff, den wir einsetzen werden, nicht nur nachhaltig sein wird, sondern in jedes Straßenauto eingefüllt werden kann, sobald der Markt in der Lage ist, diesen Sprit für einen vernünftigen Preis anzubieten. Im Moment ist dieses Ziel noch ein Stück weit weg, aber die Formel 1 ist bekannt dafür, dass wir in der Lage sind in komprimierter Zeit viel zu erreichen. Das muss unsere Message sein. Wir wollen damit nicht gegen Elektrofahrzeuge kämpfen, sondern den Leuten die Augen öffnen, dass es noch andere Technologien gibt um ans Ziel zu kommen. Und wir müssen für unseren Sport werben indem wir allen zeigen: Die Formel 1 ist in der Entwicklung dieser Kraftstoffe allen anderen voraus.

Stefano Domenicali - Formel 1 - CEO - Saison 2024
Wilhelm

F1-Chef Stefano Domenicali glaubt an die Zukunft der E-Fuels in der Königsklasse.

Verkauft sich die Formel 1 zu schlecht?

Domenicali: Was unser Produkt angeht, verkaufen wir uns gut. Alle Kurven zeigen nach oben. Die Action auf der Strecke, die Zuschauerzahlen, das Interesse großer Unternehmen als Plattform für Geschäfte. Wo wir nachlegen müssen ist unser Image als Technologie-Führer. Ein Beispiel: Wir sind der einzige globale Sport, der sich das Ziel gesetzt hat, 2030 klimaneutral zu sein. Und wir reden nicht nur darüber, wir schaffen auch Fakten. Das macht kein anderer Sport.

Für den Zuschauer sind viele Regeln zu kompliziert. Geht das nicht einfacher?

Domenicali: Die Regeln sind generell zu kompliziert. Auch auf der sportlichen Seite. Das Strafen-System versteht keiner. Einfachere Regeln sind eine Aufgabe, die sich die Formel 1-Kommission gestellt hat und Vorschläge erstellen will. Es ist ja schon für die Teams zu kompliziert. Können Sie sich vorstellen, was das für den Zuschauer bedeutet? Ich muss mir in meiner Funktion den Sport mit dem Auge des Publikums anschauen. Das ist unser Kunde. Ich weiß das noch von meinem früheren Job bei Ferrari. Wenn du dich zu sehr ins Detail verliebst, verlierst du schnell das große Bild aus dem Auge. Wir stellen uns auch zu selten die Frage: Was machen wir, wenn das oder das eintritt?

Was meinen Sie damit?

Domenicali: Beispiel Monte Carlo. Wir wissen, was uns dort erwartet. Die Strecke ist wie sie ist, unsere Autos sind wie sie sind, und es ist fast unmöglich zu überholen. Wenn es aber während des Rennens Boxenstopps gibt, gibt es auch Action. Dann haben wir in diesem Jahr eine rote Flagge in der ersten Runde, und jeder hat damit automatisch seinen Boxenstopp bereits gemacht. So etwas darf uns nicht mehr passieren. Solche Szenarien müssen wir besser antizipieren und durch die Regeln abfangen. Das betrifft uns alle. Schauen Sie sich den Umfang der einzelnen Reglemente an. Das sind dicke Wälzer. Wie schön dünn war das Buch als ich noch damit arbeiten musste.

Fans - Formel 1 - GP USA 2023 - Austin - Rennen
xpb

Die Formel 1 lockt seit Jahren immer mehr neue Fans an. Das lässt die Serie boomen.

Die Formel 1 erlebt gerade einen Höhenflug. Was sind die Gründe dafür?

Domenicali: Wir hören unseren Kunden zu und versuchen zu verstehen, wo und wie wir neue Fans für unseren Sport gewinnen können und was sie von uns erwarten. So sind wir in der Lage, unsere Zielgruppen genau in ihre einzelnen Interessen einzuteilen. Wir haben auch verstanden, dass es heute andere Kommunikationswege gibt als vor zehn Jahren. So waren wir in der Lage viel mehr Leute mit unserem Produkt zu erreichen. Es allein auf Netflix zu beschränken ist viel zu einfach gedacht. Netflix hat für eine bestimmte Gruppe von Fans genau das Richtige angeboten. Aber wir holen Zuschauer auch aus anderen Richtungen ab. Die Formel 1 ist heute ein Event, das unseren Zuschauern alle mögliche Formen von Unterhaltung bietet und den Firmen eine Plattform mit anderen zu kommunizieren und Geschäfte zu machen. Wir haben die Fahrer, unsere Stars, näher an unser Publikum gebracht. Sie gehen regelmäßig in Fan-Zonen. Ihre Kommunikation auf den sozialen Netzwerken lockt neue Fans an.

Es gibt aber noch Märkte, die schwierig für Sie sind. Deutschland ist ein Beispiel. Warum funktioniert die Formel 1 bei uns nicht?

Domenicali: Es gibt gewisse Dynamiken, die man akzeptieren muss. Der Geschmack entwickelt sich und ist von Land zu Land unterschiedlich. Es gab mit Michael Schumacher und Sebastian Vettel in Deutschland super erfolgreiche Fahrer und auch sehr viel Interesse. Dann ist das abgeflaut. Das gleiche erleben wir gerade mit Brasilien. Da fehlt plötzlich ein großer Held, so wie sie das über Jahrzehnte gewohnt waren. Ich bin überzeugt, dass das Interesse in Deutschland mit Mercedes und Audi wieder zurückkehren wird. Auch weil das Automobil wieder positiver dasteht als in den letzten Jahren. Und da kann unsere Kampagne mit dem nachhaltigen Kraftstoff eine Hilfe sein. Du kannst weder die Liebe zum Motorsport noch das Verlangen nach Mobilität einfach wegnehmen. Ich sehe gute Chancen, dass die Leidenschaft für den Sport in Deutschland wieder zurückkehrt.

Braucht die Formel 1 Deutschland noch?

Domenicali: Wir wollen keinen abschreiben aber es ist Fakt, dass wir heute nicht mehr so abhängig von unseren Kernmärkten sind wie früher. In der Vergangenheit gab es Europa, Brasilien und ein paar vereinzelte Länder, wo die Formel 1 groß war. Heute sind wir überall populär. Und wenn es mal irgendwo eine Flaute aus nachvollziehbaren Gründen gibt, müssen wir damit leben und dort investieren, wo wir Wachstum sehen.

GP Deutschland 2018 - Fans - Startaufstellung
Wilhelm

In Deutschland trug die Formel 1 seit 2020 keinen GP mehr aus. Die Chancen auf eine Rückkehr in den Kalender stehen schlecht.

Droht mit immer mehr Rennen nicht eine Übersättigung?

Domenicali: Ich glaube nicht, dass 24 Grand Prix ein Überangebot sind. Schauen Sie sich andere Sportarten an. Im Fußball und Basketball wird jeden zweiten Tag gespielt. Sie unterhalten ihre Fans viel intensiver. In Bezug auf Quantität haben wir viel weniger Inhalt zu bieten. Trotzdem stehen wir im Vergleich zu anderen Sportarten sehr gut da und wachsen. Jeder, der in unseren Sport, egal auf welche Weise involviert ist, sollte happy mit der Situation sein.

Heißt das, wir sehen in der Zukunft mehr als 24 Rennen?

Domenicali: Wir wollen es bei 24 Grand Prix belassen. Es ist aber falsch zu sagen, dass 24 zu viel ist. Zu viel von was? Wenn der Sport so gut ist wie im Augenblick mit vielen möglichen Siegern, dann zählen die Fans die Tage bis zum nächsten Rennen. Ich meine, wir haben ein Feld, das so eng zusammenliegt wie noch nie. Wir reden heute über Abstände von 0,078 oder 0,093 Sekunden. Das ist weniger als ein Zehntel auf eine Runde von mehr als vier oder fünf Kilometer. Abstände, wie wir sie bei einem 100 Meter-Lauf sehen. 24 Rennen ist eine gute Zahl. Jedes unserer Events hat seinen eigenen Charakter. Ich meine, der GP Monaco war sicher nicht der aufregendste Grand Prix der Geschichte, aber wir hatten eine der besten TV-Quoten weltweit überhaupt. Wir wollen uns eine gute Balance zwischen alten und neuen Rennen behalten. Obwohl es viel mehr Länder gibt, die einen Grand Prix haben wollen.

Charles Leclerc - Ferrari - GP Belgien 2023 - Spa
Wilhelm

Strecken wie Spa könnten in Zukunft dank Rotationsprinzip auf Dauer im Rennkalender bleiben.

Wie wollen Sie diesen Konflikt lösen?

Domenicali: Wir denken über ein Rotationssystem nach. Es ist wahrscheinlich, dass wir damit in Europa anfangen.

Kann ein Veranstalter Antrittsgelder von 30 Millionen Dollar ohne Hilfe der Regierung noch refinanzieren?

Domenicali: Wenn es nicht so wäre, gäbe es nicht so viele Rennen. Jeder Markt hat seine eigenen Gesetze. Das berücksichtigen wir. Doch wir sollten auch einmal die Frage stellen, warum 90 Prozent der Veranstalter in irgendeiner Form die Unterstützung der Regierung haben. Der wirtschaftliche Faktor für die Region ist enorm. Ein Grand Prix schafft viele Arbeitsplätze und neue Geschäftsbeziehungen und generiert damit Steuergelder. Im Umfeld eines Grand Prix entstehen große Umsätze. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Miami und Las Vegas waren schon Gastgber des Superbowls, dem mit Abstand größten amerikanischen Sportereignis. Wir haben mit der Formel 1 an beiden Standorten einen größeren wirtschaftlichen Input geschafft.

Werden Sie die Anzahl der Sprintrennen erhöhen?

Domenicali: Das ist das Ziel. Die Zahlen belegen, dass Interesse daran besteht.

Vielen gibt es zu viele Nebengeräusche, die nichts mit dem Sport zu tun haben.

Domenicali: Das Geschehen auf der Rennstrecke ist immer noch unsere Hauptattraktion. Jeder kann sich das Ticket kaufen, das er will. Von der einfachen Tribüne bis zum Fahrerlager. Aber warum sollen wir unserem Publikum daneben nicht noch andere Dinge bieten? Sie können in die Fan-Zone gehen, Merchandising-Artikel kaufen, es gibt Musik und Konzerte.

Wie gefährlich ist es, dass die Formel 1 zu gierig wird und den Bogen überspannt?

Domenicali: Wir sind nicht zu gierig. Wir investieren dort, wo wir Wachstumschancen sehen. Das ist normal.

Wo liegen die Fallstricke?

Domenicali: Es ist immer wichtig bescheiden zu bleiben, wenn die Dinge gut laufen. Wir müssen zuhören und beobachten, was unseren Kunden gefällt und was nicht. Wir müssen achtsam bleiben, dass sich die Dinge auch schnell ändern können. Schauen Sie sich nur die Covid-Pandemie an. Das hätte unser Ende sein können. Aber wir haben einen Weg aus dieser Krise gefunden und davon profitiert, dass wir der erste globale Sport waren, der wieder präsent war. Uns war klar, dass wir zwei Jahre lang Geld verlieren werden, um das durchzustehen. Doch das hat uns geholfen eine bessere Zukunft aufzubauen.

Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 14 / 2024

Erscheinungsdatum 20.06.2024

148 Seiten

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