MISSING :: structure.inactiveTabOverlay
{"irCurrentContainer":"23975672","configName":"structure.inactiveTabOverlay"}
MISSING :: ads.vgWort
{"irCurrentContainer":"23975672","configName":"ads.vgWort"}

Leidensweg von Lewis Hamilton
Rennen mit anderer Perspektive

Lewis Hamilton ist es gewohnt zu gewinnen. Nach sieben WM-Titeln und 103 GP-Siegen fährt der erfolgreichste Formel-1-Fahrer aller Zeiten plötzlich um fünfte und sechste Plätze und tut sich schwer, den Abstieg zu akzeptieren.

Lewis Hamilton - Mercedes - GP Miami 2022
Foto: Wilhelm

Auf dem Papier hat Lewis Hamilton jeden dritten Grand Prix gewonnen, an dem er teilgenommen hat. Mit sieben WM-Titeln, 103 GP-Siegen, 103 Pole Positions und 59 schnellsten Rennrunden ist der 37-jährige Engländer der erfolgreichste Formel-1-Fahrer der Geschichte. Seit seinem Debüt 2007 hat Sir Lewis in jeder Saison mindestens ein Rennen gewonnen. Auch 2009 und 2013, seinen bislang schwierigsten Jahren.

In dieser Saison zählt schon ein Podium wie ein Sieg. Hamilton hat es gleich beim Saisonstart erreicht. Danach kam er nur in Australien ansatzweise in die Nähe eines dritten Platzes. Da mochte er sich noch nicht vorstellen, dass sich die harten Zeiten nicht so schnell verscheuchen lassen. Beim fünften Saisonlauf in Miami ließ er zum ersten Mal zwischen den Zeilen so etwas wie Frust und Ungeduld durchblitzen: "Wir fahren immer noch ein Rennen, nur die Perspektive hat sich geändert."

Unsere Highlights
Lewis Hamilton - GP Miami 2022
xpb
WM-Sechster mit 36 Punkten: Hamilton fährt in dieser Saison hinterher.

Hamilton verlässt das Glück

Auch intern weht dem Rekordsieger ein rauer Wind ins Gesicht. George Russell bietet ihm mehr Gegenwehr als Valtteri Bottas. Im Quali-Duell führt Hamilton knapp mit 3:2. Nach Punkten hat sein um 13 Jahre jüngerer Landsmann mit 59:36 die Nase vorn. In Miami überholte Russell seinen berühmten Teamkollegen gleich zwei Mal. Das kommt einer Majestätsbeleidigung gleich.

Prompt beschwerte sich Hamilton über die Strategie. Er hätte entweder gleich auf harten Reifen starten oder das Safety Car zu einem zweiten Reifenwechsel nutzen wollen. Das eine hätte so wenig Sinn gemacht wie das andere. Wer auf Platz 6 startet muss mit den Wölfen heulen und das gleiche machen wie sein Umfeld. Ein Reifenwechsel in der Safety-Car-Phase hätte ihn auf jeden Fall hinter Russell geworfen. Und er hätte dann Reifen am Auto gehabt, die auf jeden Fall schlechter gewesen wären als die des Stallrivalen. Nicht die Taktik hat Hamilton ausgebremst, sondern das Safety Car.

Das war aus seiner Sicht einfach Pech. Nicht zum ersten Mal in dieser Saison. Auch in Melbourne profitierte Russell von einer Neutralisation. Und in Jeddah konnte Hamilton eine VSC-Phase nicht nutzen, weil er übervorsichtig hinter dem langsam dahinrollenden Alonso wartete, dabei sechs Sekunden verschenkte und dann auch noch die Boxeneinfahrt verpasste. Auch in Imola stand das Glück nicht auf der Seite des Ex-Champions. Er steckte nach einem schlechten Boxenstopp in einem DRS-Zug fest, aus dem er sich nicht mehr befreien konnte.

Lewis Hamilton - GP Emilia Romagna - Imola - 2022
xpb
Das Bouncing stutzt dem Silberpfeil die Flügel.

Vergleich mit der Saison 2009

Man merkt mit jeder Aussage wie Hamilton unter der Krise leidet. Er beschwört zwar immer wieder den Zusammenhalt und die Entschlossenheit des Teams, den Fehler im Auto zu finden, lässt aber immer häufiger durchblicken, dass er an eine schnelle Lösung nicht glaubt. Und dass es ihm schwer fällt mit der Aussicht in ein Wochenende zu gehen, in dem ein fünfter Platz das bestmögliche Ergebnis ist, wenn bei Red Bull und Ferrari nichts schiefläuft.

Noch feuert sich Hamilton selbst an: "Ein paar schlechte Rennen werden mich nicht entmutigen. Ich erlebe jede Woche in der Fabrik wie hart die Jungs an der Lösung des Problems arbeiten. Das inspiriert mich. Ich habe keinen Zweifel, dass wir es schaffen und dass der Erfolg dann noch besser schmecken wird. Es ist eine Zeit, in der wir viel über uns lernen als Mensch und in der wir an der Situation wachsen werden."

Er sagt aber auch: "Wir haben große Anstrengungen gemacht, das Auto zu verbessern, doch der Rückstand ist immer noch der gleiche wie im ersten Rennen." Und Hamilton vergleicht den Mercedes W13 schon mit dem McLaren MP4-24 von 2009. "Das Jahr 2009 hat ähnlich schlecht begonnen. McLaren hatte das neue Reglement so gelesen, dass die Autos 50 Prozent ihres Abtriebs verlieren werden. Das war ihre Messlatte. Wir wurden dann von Autos überrascht, die viel mehr Abtrieb hatten."

Damals hat es ein halbes Jahr gedauert, bis McLaren die Wende schaffte. Hamilton hegt leise Zweifel, dass es diesmal schneller geht: "Diesmal haben wir die Ziele geschafft, die wir uns gesetzt hatten. In der Theorie stimmt der Abtrieb. In der Wirklichkeit kommt uns das Bouncing dazwischen, und das ist kein Problem, das sich über Nacht lösen lässt."

Russell - Hamilton - Mercedes - GP Miami 2022 - USA
Motorsport Images
George Russell zieht mehr Motivation aus dem teaminternen Duell als umgekehrt.

Die Abstürze der Mehrfach-Weltmeister

Hamiltons Pech ist, dass er auf einen Teamkollegen trifft, der neu im Team ist, der eine andere Perspektive hat, der noch nicht vom Erfolg verwöhnt wurde und der sich im direkten Duell mit dem Superstar eine Ersatz-Motivation schaffen kann. Jeder Sieg über Hamilton ist für Russell ein Erfolg, egal ob er am Ende Dritter oder Zehnter wird. Russell hatte insgeheim zwar auch mit GP-Siegen gerechnet, doch sein Anspruchsdenken ist ein anderes als das eines Mannes, der den Erfolg abonniert hatte. Mercedes-Teamchef Toto Wolff bemerkt sarkastisch: "Wir haben George aus dem Tabellenkeller ins Mittelfeld geholt." Für Hamilton stellt es sich genau anders herum dar.

Hamilton ist nicht der erste Mehrfach-Weltmeister, der abstürzt, weil das Auto nicht mitspielt. Auch Jim Clark, Jackie Stewart, Emerson Fittipaldi, Niki Lauda, Nelson Piquet, Alain Prost, Ayrton Senna, Michael Schumacher, Fernando Alonso und Sebastian Vettel haben eine Delle in ihrer Erfolgs-Vita. Nicht alle haben gleich darauf reagiert.

Jim Clark flüchtete sich nach seinem erfolgreichsten Jahr 1965 in ein Jetset-Leben als Lotus in der Saison darauf ein konkurrenzfähiger Motor fehlte. Doch der Schotte klagte nicht. Er und Lotus-Chef Colin Chapman waren eine verschworene Gemeinschaft. Clark glaubte an Chapman und seine Geniestreiche. 1966 gewann Clark noch mit Glück den GP USA, und ein Jahr später kämpfte er schon wieder um den Titel.

Lewis Hamilton & Niki Lauda 2016
Wilhelm
Lewis Hamilton und Niki Lauda gemeinsam in der Mercedes-Garage 2016.

Lauda hatte Ziele außerhalb der Formel 1

Jackie Stewart ertrug die Saison 1970 in einem privat eingesetzten March mit Fassung. Er wurde mit einem Sieg immerhin noch WM-Fünfter. Und er wusste, dass sein Chef Ken Tyrrell für 1971 mit einem eigenen Formel-1-Projekt plante. Emerson Fittipaldi stürzte sich selbst in die Erfolglosigkeit. Er heuerte 1976 beim Team seines Bruders Wilson an und verschwand bis zu seinem Formel-1-Rücktritt für fünf Jahre in der Versenkung. Der Nationalstolz war zu groß, noch einmal zu einem Topteam zurückzukehren und den eigenen Rennstall aufzugeben.

Niki Lauda fuhr seine zweite Saison bei Brabham nicht zu Ende. Er steckte in einer ähnlichen Situation wie heute Hamilton. Der Brabham BT48 war schnell, aber unzuverlässig. Und mit Nelson Piquet saß ein Typ wie Russell im anderen Auto. Lauda hatte jedoch einen guten Grund für seine Flucht. Er bastelte an seiner eigenen Fluglinie. Und er rückte die Dinge mit seinem Comeback drei Jahre später wieder gerade. Lauda war immer noch ein Siegfahrer.

Piquet erlebte als dreifacher Weltmeister neun Jahre später selbst, wie es ist, wenn man plötzlich ein Auto hat, mit dem man nicht mehr gewinnen kann. Der Wechsel zu Lotus war ein Fehler. Piquet reagierte auf die Hoffnungslosigkeit mit Dienst nach Vorschrift. Man warf ihm vor, er sei eigentlich schon zurückgetreten, ohne es zu wissen. Der Brasilianer korrigierte den Eindruck mit einer guten Saison 1990 bei Benetton. Piquet wurde mit zwei Siegen Dritter in der WM.

Alain Prost - Alpine F1 - F1-Saison 2021
xpb
Alain Prost setzte 1992 aus, um ein Jahr später ein viertes Mal Weltmeister zu werden.

Prost reagierte mit einem Jahr Pause

Alain Prost wollte sich die Aussicht auf eine sieglose Zeit nicht antun. Ende 1991 provozierte er Ferrari mit despektierlichen Äußerungen über das Auto so, dass man ihn rauswarf. Ein Angebot von Ligier lehnte er ab. Da setzte der Professor lieber ein Jahr aus und arbeitete an seinem Comeback mit Williams, das ihn zum vierten Mal zum Weltmeister machte.

Auch Ayrton Senna akzeptierte Niederlagen nicht. 1992 wurde seine schlechteste McLaren-Saison. Der Brasilianer reagierte mit lustlosen Rennen und kehrte den verwöhnten Superstar heraus, als er merkte, dass ihn Prost im Kampf um das Williams-Cockpit ausgebremst hatte. Aus Ärger über die verpasste Chance verabschiedete er sich ohne eine klare Aussage in den Winter, ob er im darauffolgenden Jahr für McLaren fahren würde oder nicht. Selbst ein Karriereende ließ er offen.

Michael Schumacher hatte gleich drei Phasen in seiner Karriere, die seinen Charakter prägten. Und er kam von allen gefallenen Helden wahrscheinlich am besten mit dem Absturz klar. 1996 trieb ihn der Ehrgeiz an, es allen zu zeigen, dass man irgendwann auch mit einem Ferrari Weltmeister werden kann. 2005 stellte er sich vor sein Team, das nicht nur mit dem Auto verzockt, sondern auch einer Regeländerung zugestimmt hatte, die Reifenwechsel verbot, was Reifenpartner Bridgestone auf dem falschen Fuß erwischte. Schumacher wusste, dass die Krise höchstens ein Jahr dauern würde.

Die drei Jahre bei Mercedes hatte er sich sicher anders vorgestellt. Ein einziges Podium musste zu wenig sein für einen Fahrer, der sieben Mal Weltmeister war und 91 Grand Prix gewonnen hatte. Doch Schumacher kapierte schnell, dass Mercedes noch weit weg war vom Gewinnen und sah sich als einer der Architekten der Wiederaufbauarbeit. Wie seinerzeit bei Ferrari. Nur dass ihm diesmal die Zeit ausging.

Lewis Hamilton - Mercedes - GP Miami - USA - Samstag - 7.5.2022
Wilhelm
Große Aufgabe: Der erfolgsverwöhnte Hamilton muss sich im Mercedes W13 durchbeißen.

Vettel mit gleichem Problem wie Hamilton

Fernando Alonso hatte diese Geduld nicht. Als Renault 2009 in der Versenkung abtauchte, seilte er sich zu Ferrari ab. Als es in fünf Jahren Ferrari nicht klappte, überwarf er sich mit dem Team. Mit dem Wechsel zu McLaren kam der Spanier vom Regen in die Traufe. Seine Taktik war jedes Mal die gleiche: Wenn das Auto nichts taugt, stellt man die eigenen Verdienste in den Vordergrund. Alonso trennte sich auch von McLaren und versucht es nach zwei Jahren Pause wieder mit Renault. Mit erstaunlich viel Geduld. Man erkenne Alonso nicht wieder, erzählen seine ehemaligen Weggefährten.

Sebastian Vettel wurde nach seinen vier WM-Titeln erstmals 2014 damit konfrontiert, dass nicht alles nach Wunsch funktioniert. Sein George Russell war Daniel Ricciardo, der mit dem Red Bull drei Rennen gewann und in der WM zwei Plätze weiter oben rangierte. Das gleiche erlebte Vettel 2019 und 2020 noch einmal mit Charles Leclerc bei Ferrari. Auto schlecht, Teamkollege jung, hungrig und schnell. Nur die neue Herausforderung Aston Martin hielt Vettel in der Formel 1. Und die erweist sich jetzt auch als Charakterprüfung.

Für Hamilton ist 2022 ein ganz entscheidendes Jahr. Er muss zeigen, dass er auch mit Niederlagen umgehen kann. Dass er ein Team mitreißen kann, das genauso wie er vom Erfolg verwöhnt worden ist. Und dass er nicht gleich die Flinte ins Korn wirft, nur weil es mal schlecht läuft. Wenn er jetzt die große Weltverschwörung gegen sich heraufbeschwört, wäre sein Image angekratzt. Wenn er sich durchbeißt, wäre er der Größte.

Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 21 / 2024

Erscheinungsdatum 26.09.2024

148 Seiten