Halbzeit in der Saison, Zeit für eine Zwischenbilanz. Der Start in eine neue Ära ist der Formel 1 gelungen. Sie reitet weiter auf der Erfolgswelle. "Jedes Wochenende ein neuer Zuschauerrekord", fasst es Red Bulls Teamchef Christian Horner passend zusammen.
Letzte Beispiele: Kanada zählte über das Wochenende 338.000 Zuschauer. Silverstone 401.000 Fans. In Spielberg waren es zuletzt 303.000. Die Formel 1 begeistert die Massen. Das Publikum wird jünger und vielfältiger. Formel 1: Das ist ein Event, nicht nur für Hardcore-Fans. Auch die nächsten Veranstalter dürfen sich freuen. Die Sonntage bis Monza sind ausgebucht.

7:4 für Red Bull gegen Ferrari
Die neuen Regeln haben die Königsklasse nicht auf den Kopf gestellt. Es gab Auf- und Absteiger, aber keine dramatische Neuordnung im Feld. Statt Mercedes kämpft Ferrari gegen Red Bull um Siege. Es steht 7 : 4 für das Team von Weltmeister Max Verstappen. Nach Pole-Positions ist es umgekehrt: 4 : 7 pro Ferrari. Das gleiche Bild zeichnet sich bei den WM-Kandidaten ab. Charles Leclerc steht bei sechs Poles und drei Siegen. Verstappen bei drei Poles und dafür sechs Erfolgen. Sergio Perez und Carlos Sainz können mit je einer Pole und einem Rennsieg den beiden Hauptdarstellern der ersten Halbzeit nicht das Wasser reichen.
Überraschungssiege blieben bis jetzt aus. Man hat auch nicht das Gefühl, dass es in nächster Zeit zu einem kommen könnte. Red Bull und Ferrari grasen alles ab. Das Team aus Milton Keynes führte mit seinen Fahrern 336 Rennrunden an. Ferrari kommt auf 311 Führungsrunden, Mercedes auf deren zwölf. Das war es. Den Konstrukteurs-Weltmeistern traut man als Einziges zu, die beiden Spitzenteams der Saison einzuholen, und daraus einen Dreikampf zu machen. In elf Rennen sammelte Mercedes sieben Podestplätze. Besser als Dritter waren die Silberpfeile nie.
Der Mercedes W13 ist immerhin zuverlässiger als die Gegner. Lewis Hamilton ist der einzige Fahrer, der immer ins Ziel kam. Wäre George Russell nicht in den Startunfall von Silverstone verwickelt gewesen, würde Mercedes die Rangliste für die meisten Rennrunden überhaupt anführen. Dort ist man auf Platz 3 abgerutscht (1.265 Runden). Red Bull belegt wegen der fünf Ausfälle den sechsten Rang (1.184). Ferrari hat von allen Teams die wenigsten Runden (1.071) in elf Grands Prix abgespult. Sechs Ausfälle trüben die Bilanz.

Auf- und Absteiger im F1-Feld
McLaren führt wenigstens die Liste für die meisten Rennrunden (1.281) und Kilometer an. Ansonsten macht der Rennstall aus Woking gerade die gleiche Erfahrung wie Alpine. Die Topteams sind auch unter den neuen Regeln meilenweit weg. "Sie sind überall besser", sagt Alpine-Einsatzleiter Alan Permane.
McLarens Rückstand von über einer Sekunde hat die Verantwortlichen zum Umdenken gebracht. Eigentlich wollte man den Abstand verkürzen und spätestens 2024 um Rennsiege fahren. Dann sollten die Investitionen in einen neuen Simulator und Windkanal Früchte tragen. Das bisherige Abschneiden lässt die Teamführung die Pläne auf 2025 schieben. "Dann müssen wir zeigen, dass wir den erhofften großen Schritt gegangen sind", so Teamchef Andreas Seidl.
Die Ferrari-Kunden Alfa Romeo und Haas sind aufgestiegen – dank verbesserter Autos und dank mehr Motorleistung. Dafür sind Alpha Tauri, Aston Martin und Williams abgerutscht. Die Motorenhersteller liegen in einem vertretbaren Rahmen zusammen. Ferrari, Honda, Mercedes und Renault sind innerhalb von 15 bis 20 PS. Da blieb bisher das große Geschrei nach einer Angleichung aus.

Überholmanöver: Qualität statt Quantität
Die neuen Autos haben das Rennfahren besser gemacht. Zweifelsohne. Die Fahrer können einander leichter und für längere Zeit folgen. Sie können in den Kurven mit den Linien experimentieren und versetzt fahren, um sich in eine bessere Ausgangsposition zu bringen. Zweikämpfe erstrecken sich über mehrere Runden. Manchmal sind es Fünfkämpfe wie in Silverstone zwischen Leclerc – Perez – Hamilton – Alonso – Norris. Oder, wie in Österreich, zwischen Magnussen – Alonso –Norris – Zhou – Schumacher.
Die 2022er-Rennwagen werfen weniger schädliche Luft nach hinten, die zu Verlust von Anpressdruck beim nachfolgenden Fahrer führen. Die Autos sind berechenbarer geworden. Sie schwanken in "dreckiger Luft" nicht mehr zwischen Über- und Untersteuern hin und her. Das Schöne: Überholen ist dabei nicht zu einfach geworden.
Es reicht nicht, das DRS zu aktivieren und den Blinker zu setzen. Im Gegenteil: Man muss sich Überholmanöver verdienen. Qualität statt Quantität. Der Effekt des Windschattens fällt geringer aus. DRS ist weiter eine unabdingbare Hilfe – nicht unbedingt, weil es zu höheren Geschwindigkeiten als 2021 führt, den Flügel umzuklappen. Es wirkt effektiver, weil die Fahrer schon in den Kurven dichter aufschließen.

Reifen helfen Fahrern
Ein Lob muss nach Italien gehen. Pirelli trägt einen maßgeblichen Anteil zur Show bei. Nur erwähnt das kaum einer. Die Reifen stehen meist nur im Fokus, wenn etwas schiefgeht. Ansonsten heißt es: "Nicht geschimpft ist genug gelobt." Vorbei sind die Zeiten, als die Fahrer vielleicht ein, zwei Runden attackieren konnten und sich dann zurückfallen lassen mussten, damit die Reifen wieder abkühlen.
Die Piloten haben mehr Zeit, sich den Gegner zurechtzulegen und zu überholen, weil es die Reifen erlauben. Sie überhitzen nicht mehr so schnell. Einzig die hohen Luftdrücke lassen Teams und Fahrer stöhnen. In Silverstone beispielsweise mussten die Teams den Vorderreifen mit 26 und den Hinterreifen mit 23 Psi aufpumpen. Mit diesen Maßnahmen betreibt Pirelli Selbstschutz.
Die Italiener haben bereits angekündigt, die 2023er-Reifen robuster machen zu wollen. Erstens, weil die Autos mehr Abtrieb erzeugen werden. Zweitens, weil man mit den Luftdrücken runter will. Darüber hinaus hat Pirelli angekündigt, den Vorderreifen zu stärken, um das Untersteuern zu verringern. Und gewisse Reifenmischungen wie C1 und C2 näher zusammenzuführen.
Der Wechsel der Rennleitung – von Michael Masi zu Niels Wittich und Eduardo Freitas – ging nicht geräuschlos vorüber. Gefühlt an jedem Wochenende hört man Fahrer und Teammanager stöhnen. Mal geht es um Piercings wie in Miami, mal um vermeintlich zu viele Spurwechsel (Alonso) wie in Kanada oder Track Limits wie in Österreich. Die Rennleitung scheint auf stur zu stellen. Von außen gewinnt man nicht immer den Eindruck, dass sie und die Fahrer an einem Strang ziehen. Sebastian Vettel verließ in Spielberg sogar das Fahrer-Meeting, weil man sich im Kreis gedreht hatte.