Die Wiederbelebung der Groundeffect-Autos hat sich gelohnt. Wenigstens für die Fans. Nach unseren Zählungen gab es in den 22 Rennen dieser Saison 802 Überholmanöver nach Abschluss der ersten Runde. Im letzten Jahr waren es 613. Das hob den Schnitt der Überholmanöver von 29,19 auf 36,45. Aerodynamisch wenig sensiblere Autos und stabilere Reifen machen das Hinterherfahren einfacher und damit das Überholen wahrscheinlicher.
Auch in den Startrunden ging es in diesem Jahr hoch her. Was auch daran liegt, dass der Abtriebsverlust der neuen Autos in den Turbulenzen des Startgetümmels geringer geworden ist. Im Schnitt änderten sich in der ersten Runde bei 13 Fahrern die Positionen. Den größten Sprung nach vorne machten Kevin Magnussen in Paul Ricard und Lance Stroll in Suzuka mit jeweils sieben Positionen. Die größten Abstürze fabrizierten Sergio Perez in Spielberg mit 15 Plätzen minus, Daniel Ricciardo mit 13 in Imola und Pierre Gasly mit elf in Spa.

Die Verstappen-Shows
Max Verstappens Saison mit 15 Siegen spricht für eine gewisse Eintönigkeit. Doch selbst der Weltmeister machte sich die Aufgabe manchmal schwer. Startplatzstrafen warfen ihn zu Beginn des Rennens weit zurück. In Ungarn gewann er von Startplatz 10, in Belgien von 14 und in Monza von 7. Aufholjagd inklusive. Die Saison 2022 hatte in dem Punkt viel zu bieten.
Mit Ausnahme von Monte Carlo und Baku gab es in jedem Grand Prix eine Aufholjagd, die die Story des Rennens schrieb. In fünf Fällen sogar zwei. Eine spektakuläre Fahrt durchs Feld bemisst sich nicht immer nur daran, wie viele Plätze beim Start oder während des Rennens gutgemacht wurden. Es können auch eine schlaue Taktik, die perfekte Exekution dieser Strategie und eine gute Übersicht eine Rolle spielen.
Vielleicht ist deshalb Fernando Alonso überproportional beteiligt. Der Spanier war fünf Mal der Fahrer, der sich vom Start bis zur Zielflagge am meisten gesteigert hat. Und er machte bei diesen fünf Aufholjagden insgesamt 46 Plätze gut. Wir erinnern noch einmal an die Highlights des Jahres:
GP Bahrain: Yuki Tsunoda
Platz 16 -> 8: Der Japaner gewinnt beim Start fünf Positionen, ohne anzuecken. Später im Rennen geht Tsunoda, der wie die meisten Fahrer im Feld auf drei Boxenstopps disponiert ist, noch einmal an fünf Kollegen vorbei. Da waren die Perspektiven für Alpha Tauri noch rosig.
GP Saudi-Arabien: Lewis Hamilton
Platz 15 -> 10: Beim Start macht Hamilton nur eine Position gut. Später geht er an sieben seiner Kontrahenten vorbei. Es wäre mehr möglich gewesen als der 10. Platz, doch als Hamilton ein virtuelles Safety Car zu einem halb geschenkten Boxenstopp nutzen will, schließt die Boxengasse. So bleibt ihm der Vorteil verwehrt.

GP Australien: Alexander Albon
Platz 20 -> 10: Albons Rennen ist ein gutes Beispiel dafür, dass man für einen großen Sprung im Feld gar nicht viel überholen muss. Der Williams-Pilot bleibt in der Startrunde Letzter und überholt im Verlauf der Renndistanz nur ein Auto. Dafür hält er mit dem ersten Reifensatz bis zur vorletzten Runde durch und macht Tempo, als die anderen zum Boxenstopp abbiegen.
Die Strecke vor ihm ist die meiste Zeit frei. So hat er genug Luft, um kurz vor Schluss den obligatorischen Reifenwechsel einzulegen. Er verliert nur eine Position, bleibt aber in den Punkterängen.
GP Emilia Romagna: Yuki Tsunoda
Platz 12 -> 7: Schon wieder Tsunoda. Diesmal mit zwei Platzgewinnen am Start und drei weiteren in den restlichen 63 Runden. Es steckt noch nicht einmal eine besondere Strategie dahinter. Tsunoda ist einfach nur schnell. Mit dem richtigen Maß an Aggressivität. Doch für den Rest der Saison hatte er damit sein Pulver verschossen.
GP Miami: Ocon & Russell
Esteban Ocon, P20 -> P8 / George Russell, P12 ->P5: Ocon startet nach einem Trainingscrash von hinten und mogelt sich in der Startrunde auch nur an zwei Kontrahenten vorbei. Auch danach gewinnt er nur noch einen Platz. Doch der Alpine-Pilot fährt konstant schnell und reifenschonend. Das verschafft ihm einen späten Boxenstopp, was in diesem Rennen der Schlüssel ist, weil Ocon eine SafetyCar-Phase nutzen kann.
Auch Russell profitiert davon. Der Engländer macht sich mit einem schlechten Start auf harten Reifen selbst das Leben schwer. Er stürzt um drei Plätze ab und muss danach auf der Strecke an vier Rivalen vorbei.
GP Spanien: Fernando Alonso
P20 -> P9: Alonso macht jeweils fünf Plätze in der Startrunde und danach gut. Das Geheimnis ist das Timing seiner drei Boxenstopps. Der erste früh, der zweite mittendrin und der dritte spät. Alonso fährt in jedem Stint exakt am Limit seiner Reifen.

GP Kanada: Charles Leclerc
P19 -> P5: Eine Motorstrafe verbannt Leclerc auf den 19. Startplatz. Zunächst geht es nur zäh voran für den Ferrari-Piloten, der sich über Traktionsprobleme beschwert. Obwohl Leclerc nach seinen Boxenstopps zwei Mal in einem DRS-Zug feststeckt, überholt er zehn Autos.
GP England: Schumacher & Perez
Mick Schumacher P19 -> P8 / Sergio Perez: P4 -> P2: Alle konzentrieren sich auf das Megafinale an der Spitze nach dem Ende der späten Safety-Car-Phase. Doch im Mittelfeld ist es ähnlich spannend. Mick Schumacher verbessert sich im Verlauf der 52 Runden um elf Plätze. Drei bekommt er durch die Startkollision zwischen Russell, Zhou und Albon geschenkt. Zwei weitere durch die Kollision der Alpha-Tauri-Piloten.
Doch der Haas-Pilot überholt mit Stroll, Vettel und zwei Mal Magnussen auch vier Autos. Perez fällt auf den ersten Blick gar nicht auf wie einer, der sich für eine große Aufholjagd auszeichnet. Der Mexikaner startet auf Platz 4 und kommt als Zweiter ins Ziel. Doch ein unplanmäßiger Boxenstopp in der 5. Runde zum Frontflügelwechsel wirft Perez auf den letzten Platz zurück. Ab da geht es nur noch vorwärts. Perez überholt sechs seiner Gegner und hält mit dem zweiten Reifenwechsel so lange durch, dass ihm das Safety-Car einen Gratis-Stopp schenkt.
GP Österreich: Fernando Alonso
P19 -> P10: Der Altmeister muss wie in Spanien von hinten starten. Sein Renault-Motor will beim Start zum Sprint nicht anspringen. Beim Hauptrennen lässt es Alonso zunächst vorsichtig angehen und gewinnt nur einen Platz beim Start. Später zählt er neun Überholmanöver in einem Rennen, dass ihm einen zusätzlichen Boxenstopp aufzwingt, weil beim zweiten Reifenwechsel ein Rad nicht richtig festgezurrt wird. Wenigstens minimiert eine Safety-Car-Phase den Schaden. Nach dem Re-Start geigt Alonso mit Wut im Bauch groß auf und stößt Bottas in der letzten Runde aus den Top Ten.
GP Frankreich: Carlos Sainz
P19 -> P5: Der Wechsel auf den vierten Motor beschert dem Spanier einen Platz in der letzten Startreihe. Noch nicht einmal die Aufholjagd funktioniert planmäßig. Sainz beschleunigt beim ersten Boxenstopp in die Spur von Albon und muss beim zweiten Boxenhalt fünf Strafsekunden wegen "unsafe release" absitzen. Seine 16 Überholmanöver in 53 Runden sind Saisonrekord.

GP Ungarn: Max Verstappen
P11 -> P1: Der Hungaroring ist eigentlich keine Überholstrecke. Deshalb kann man vom elften Startplatz aus eigentlich auch nicht gewinnen. Max Verstappen zeigt, dass es trotzdem geht. Er macht zwei Positionen beim Start gut und acht später. An Leclerc muss er gleich zwei Mal vorbei. Nach dem ersten Überholmanöver streut der Red-Bull-Pilot einen Dreher ein, der ihn die Position wieder kostet.
GP Belgien: Max Verstappen
P14 -> P1: Verstappen ist der schnellste Mann des Wochenendes, doch wegen eines Motorwechsels wird er auf Startplatz 14 zurückversetzt. Einen Großteil der Strafe kompensiert der Niederländer in der Startrunde, in der er auf Rang 8 springt. Den Rest räumt er wie eine Dampfwalze aus dem Weg. Die Gegner haben keine Chance. Nach 14 Runden liegt Verstappen zum ersten Mal in Führung, nach 18 Runden zum zweiten Mal. Dann für immer.
GP Niederlande: Alonso & Russell
Fernando Alonso P13 -> P6 / George Russell, P6 -> P2: Alonso muss nur zwei Autos überholen, um sieben Plätze zu gewinnen. Er geht mit der Taktik ins Rennen, nur ein statt zwei Mal zu stoppen. Ein Safety Car zum rechten Zeitpunkt verschafft ihm einen Gratis-Stopp. Alonso nutzt die freie Strecke vor seiner Nase perfekt. Russell erlebt eine ähnliche Story wie in Miami. Er gibt beim Start eine Position ab, nur um sich später mit Mühe drei zurückzuholen. Es lohnt sich. Der Mercedes-Pilot wird Zweiter.
GP Italien: Sainz & Verstappen
Carlos Sainz P18 -> P4 / Max Verstappen P7 -> P1: Neun Startplatzstrafen wirbeln die Startaufstellung durcheinander. Verstappen startet von P7, Sainz von P18, Hamilton von P19. Sainz macht die meisten Plätze gut. 14 an der Zahl. Der Spanier gewinnt zwei Positionen beim Start und 13 im direkten Duell. Verstappen taucht schon nach einer Runde auf dem 4. Platz auf. Dann noch zwei Überholmanöver, und der WM-Spitzenreiter liegt vorne.

GP Singapur: Daniel Ricciardo
P16 -> P5: Alle erwarten, dass Verstappen vom 8. Startplatz an die Spitze stürmt, doch der Weltmeister fährt ein unrundes Rennen mit vielen Rückschlägen und Fehlern. Star des Tages ist Ricciardo. Der Australier liegt in der Startaufstellung nur auf Platz 16. Eine Runde später ist er schon Dreizehnter. Und am Ende Fünfter, ohne ein weiteres Auto zu überholen. Doch Ricciardo macht Tempo, wenn es darauf ankommt. Und er wird dafür belohnt, dass er mit dem ersten Reifensatz 36 Runden durchhält. Eine Safety-Car-Phase schenkt ihm fünf Positionen.
GP Japan: Sebastian Vettel
P9 -> P6: Der 9. Startplatz ist für Aston Martin fast eine Punktegarantie. Im Rennen sind die grünen Autos besser als auf eine Runde. Vettel verspielt den guten Start aber durch einen Dreher nach dem Start. Alonso hat ihn angeschoben. Doch beim Re-Start nach einer fast zweistündigen Regenpause macht Vettel das Missgeschick, das ihn sieben Plätze gekostet hat, durch eine mutige Entscheidung mehr als wett. Er kommt zum Boxenstopp als das Safety Car in die Boxen abbiegt und das Rennen freigibt. Die Bahn ist schon gut genug für Intermediates. Alle anderen wechseln später. Vettel rückt bis auf Rang 6 vor. Den verteidigt er bis ins Ziel. Gegen Alonso in einem Fotofinish.
GP USA: Alonso & Vettel
Fernando Alonso P14 -> P7 / Sebastian Vettel, P10 -> P8: Die Gegner von Suzuka sitzen in Austin im gleichen Boot. Beide werden bei ihrer Aufholjagd aus der Bahn geworfen. Alonso startet wegen einer Motorstrafe nur vom 14. Platz und schont bis zum ersten Boxenstopp die Reifen. In der Startrunde kommt er zwei Positionen nach vorne. Vettel dagegen macht aus Platz 10 Rang 5, und er verliert gegen die Spitzenleute kaum an Boden. Eine Safetyö-Car-Phase in Runde 18 belohnt die Fahrer, die lange durchgehalten haben. Darunter Alonso und Vettel.
Als Alonso beim Re-Start Stroll attackieren will, kommt es zur Kollision. Der Alpine fliegt durch die Luft, landet aber wieder auf den Rädern und bleibt wundersamerweise fahrbar. Der zusätzliche Stopp wirft Alonso aber auf Rang 17 zurück. Für den Spanier beginnt das Rennen erst jetzt. Er überholt sechs Autos und wird in der Schlussphase nur von Lando Norris abgefangen, weil der McLaren-Pilot frischere Reifen hat.
Alonsos 7. Platz mutet wie ein Wunder an. Er muss aber noch vier Tage zittern. Alpine geht gegen eine Zeitstrafe nach Protest von Haas in Berufung und gewinnt. Selbst die FIA-Richter sagen: "Es wäre ungerecht gewesen, Alonso nach so einem Rennen zu bestrafen." Vettel verbucht in dem verrückten Rennen sogar zwei Führungsrunden. Doch dann geht sein zweiter Boxenstopp mächtig schief. Er verliert 16,8 Sekunden und reiht sich an 13. Stelle wieder ein. Mit spektakulären Überholmanövern macht er noch den 8. Platz daraus.
GP Mexiko: Daniel Ricciardo
P11 -> P7: Ricciardo gibt in der Startrunde zwei Positionen ab und sieht bei Halbzeit des Rennens nicht wie einer aus, der sich noch Hoffnungen auf WM-Punkte machen darf. In Absprache mit dem Piloten geht McLaren volles Risiko. Ricciardo stoppt spät und fährt auf Soft-Reifen bis ins Ziel. Er ist bis zu zwei Sekunden schneller als die Konkurrenz. Weil er Tsunoda aus dem Weg boxt, gibt es zehn Strafsekunden. Doch Ricciardo hält nichts mehr auf. Er geht an sechs Kollegen vorbei und fährt gegen Ocon genug Vorsprung heraus, dass er trotz Strafe Siebter wird.

GP Brasilien: Fernando Alonso
P17 -> P5: Nach dem Sprint herrscht dicke Luft bei Alpine. Alonso und Ocon fahren sich zwei Mal ins Auto, schenken sichere Punkte her und starten von den Plätzen 16 und 17. Nach einer Runde ist Alonso Fünfzehnter. Alpine beschließt eine Dreistopp-Strategie. Das soll Alonso aus dem Verkehr bringen. Die Taktik funktioniert.
Alonso kann sein eigenes Tempo fahren und hat das Glück, dass sein dritter Reifenwechsel in eine Safety-Car-Phase fällt. Er hat noch einen frischen Satz Soft-Reifen übrig. Im Finale der letzten zwölf Runden hat er dank seines Reifenvorteils ein Auto, mit der er so schnell fahren kann wie Leclerc und Verstappen. Das bringt dem dienstältesten Fahrer Platz 5. Auf dem Weg nach vorne hat er acht Autos überholt. Der alte Mann kann es noch.
GP Abu Dhabi: Lance Stroll
P14 -> P8: Stroll fährt ein unauffälliges Rennen mit der richtigen Taktik. Zwei Stopps sind im Mittelfeld schneller als einer. Vettel startet vor seinem Teamkollegen, kommt aber hinter ihm ins Ziel, obwohl er nur ein Mal stoppt. In Runde 47 überschneiden sich die Wege der Aston-Martin-Fahrer. Zugunsten von Stroll. Der Kanadier, der beim Start wie üblich Boden gewinnt, macht insgesamt sechs Plätze gut. Alle im Zweikampf auf der Strecke. Zwei in der ersten Runde, vier danach.